Muskelspiel der Natur

© Crunchyroll / 2022 "Suzume" Film Partners

Ab heute im Kino: In seinem neuen Anime „Suzume“, der auf der diesjährigen Berlinale zu sehen war, verbindet Makoto Shinkai eine Coming-of-Age-Romanze mit der Historie von Japans Naturkatastrophen.

„Suzume“ ist der erste Anime im Berlinale-Wettbewerb seit „Chihiros Reise ins Zauberland“ – klar, dass der Ort, an dem die Geschichte ihren Ausgangspunkt findet, ausgerechnet die auf der japanischen Hauptinsel Kyushu gelegene Küstenstadt mit dem schönen Namen Miyazaki ist. Makoto Shinkai hat noch nicht ganz Studio-Ghibli-Legendenstatus erreicht (wenn auch „Your Name“ 2016 „Chihiro“ als weltweit kommerziell erfolgreichster Anime ablöste), aber er ist drauf und dran. Auch „Suzume“ feuert von Anfang bis Ende wieder audiovisuell und emotional aus allen Rohren. Das ist speziell dann gar nicht so leicht zu verdauen, wenn man noch frisch einen Kater betrauert.

In Miyazaki also lässt sich die Oberschülerin Suzume von einem schönen jungen Mann von ihrem Schulweg ablenken, der sie nach Ruinen in der Gegend fragt. Einem Impuls folgend sucht sie selbst ein verlassenes Viertel in den Bergen auf und stößt inmitten eines halb verfallenen Badehauses auf eine Tür. Einmal geöffnet, bricht daraus das Unheil hervor und immer mehr solcher Portale öffnen sich in ganz Japan.

Seinen Lebensthemen treu bleibend bettet Makoto Shinkai in „Suzume“ eine Coming-of-Age-Romanze in eine historische Kontinuität epischer Naturkatastrophen vom großen Kanto-Erdbeben 1923 bis zum Tsunami von 2011 und seinen bis heute spürbaren Auswirkungen ein. Zugleich ist der Film auch Teil einer narrativen Kontinuität: In zahllosen Manga und Anime stehen junge Mädchen im Bunde mit Göttern und Naturgeistern, um eine aus den Fugen geratene Welt wieder ins Lot zu bringen. Mindestens ebenso wie an Chihiro erinnern Suzumes Schuluniform und die sprechenden Katzen an Sailor Moon. Wobei, einen entscheidenden Unterschied gibt es: Im Gegensatz zu vielen Magical-Girl-Geschichten ordnet Makoto Shinkai die Kräfte in seinem Film nicht in simple Gut-Böse-Schubladen. Er zeigt die Natur als eine Macht komplett jenseits menschlicher Maßstäbe von Moral und Ethik, in der gegensätzliche Gewalten aneinander zerren wie sich verschiebende Erdplatten. Umso bedeutsamer wird das zutiefst menschliche Vermögen, sich an Verlorenes zu erinnern und Empathie zu empfinden.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 24.02.2023 in Katrin Doerksens Berlinale-Tagebuch auf: CulturMag

Hier und hier gibt es weitere Kritiken zu „Suzume“.

Suzume
Japan 2022

Regie: Makoto Shinkai – Drehbuch: Makoto Shinkai – Produktion: Kôichirô Itô, Genki Kawamura – Musik: Kazuma Jinnouchi, Radwimps – Verleih: Crunchyroll Deutschland – Länge: 122 Min. – Kinostart: 13.04.2023

Katrin Doerksen, Jahrgang 1991, hat Filmwissenschaft nebst Ethnologie und Afrikastudien in Mainz und Berlin studiert. Neben redaktioneller Arbeit für Deutschlandfunk Kultur und Kino-Zeit.de schreibt sie über Comics, aber auch über Film, Fotografie und Kriminalliteratur. Texte erscheinen unter anderem im Perlentaucher, im Tagesspiegel oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie lebt in Berlin.