Aufruf zum zivilen Ungehorsam

© Universum

„Du bist heute irgendwie ein anderer Mensch“, bekommt Taki (Ryunosuke Kamiki) am Ende eines miesen Dates zu hören und seine Angebetete ahnt nicht, wie richtig sie damit liegt. „Your Name. — Gestern, heute und für immer“ beginnt als Bodyswitch-Komödie. Eines Tages wacht Taki, eigentlich ein ganz gewöhnlicher Schüler aus Tokio, im Körper des Mädchens Mitsuha (Mone Kamishiraishi) in einem Provinznest auf. Ähnlich ergeht es Mitsuha, die sich als Taki in Tokio wiederfindet. Die beiden Teenager kommen rasch dahinter, dass sie ein paar Mal die Woche im Körper des jeweils anderen erwachen und sich tags darauf an nichts mehr erinnern können. Also beginnen sie über die Tagebuchapps auf ihren Smartphones miteinander zu kommunizieren, berichten einander von den Ereignissen des Tages. Die Figuren gewöhnen sich langsam an die Präsenz des jeweils Anderen und der Film nimmt das zum Anlass, noch recht zaghaft mit Genderstereotypen zu spielen: „Pass auf deinen Rock auf, das lernt man doch schon im Kindergarten“, ermahnt eine Freundin die vermeintliche Mitsuha und der neue Taki wird für seine weibliche Seite gelobt.

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Wäre „Your Name.“ allerdings nur ein charmanter Bodyswitch-Film, wäre er sicher nicht zum weltweit kommerziell erfolgreichsten Anime geworden. Der Regisseur Makoto Shinkai („The Place Promised In Our Early Days“), der in diesem Fall auch den zugrundeliegenden Roman verfasste, ist für zwei Dinge besonders bekannt: für emotionale Geschichten, die hart an der Grenze zum Kitsch kratzen. Und für lens flares, die manche Skeptiker gar als aufdringlich bezeichnen. Beides findet sich auch in diesem Film wieder. Licht durchflutet die Räume in den verschiedensten Erscheinungsformen: als Strahlen oder diffuser Schein, kleine Partikel und Reflexe lassen die Animationen beinahe dreidimensional erscheinen. Dem Licht so viel Raum zu geben, passt gut zur Geschichte, denn gewissermaßen legt die Intensität des Lichts in „Your Name.“ die Ausmaße der Dramatik fest. Es zählt wohl nicht als Spoiler, darauf hinzuweisen, dass Shinkai sich für seine Geschichte vom großen japanischen Erdbeben von 2011 inspirieren ließ. Im Film gibt es weder ein Erdbeben noch rollt eine gigantische Flutwelle über das Land. Aber irgendwann ist eine schlimme Zerstörung zu sehen, Absperrband und Stacheldraht. Sofort wird die Assoziation Fukushima wach.

Shinkai geht mit der Katastrophe im Zentrum des Films um, indem er um sie eine Fantasy-Story strickt, die in der Shinto-Tradition Japans wurzelt. Mitsuha stammt aus einer religiösen Familie, erlernt von ihrer Großmutter die Kunst des Kumihimo, des Schnüre Flechtens. Die einzelnen Bänder symbolisieren die Zeit – und wie sie sich verknüpfen, gelöst und wieder zu neuen Formen verbunden werden, so geraten auch im Film die Zeitstränge durcheinander. Bald ändert sich der Ton, die Bodyswitch-Komödie wird zum Zeitreisedrama, in dem die Körper so wild zwischen den Ebenen hin und her springen, dass es stellenweise einiger Konzentration bedarf, um noch zu folgen. Aber auch die Figuren sind verwirrt: Niemand im Film kann sich klarer Erinnerungen bedienen, alles verblasst so schnell und unvermittelt, wie es gekommen ist.

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Der Film thematisiert die Erinnerungskultur, das Aufarbeiten kollektiver Traumata, von Schuld und Pflichtgefühl in einer Gesellschaft, in der man im Zweifel lieber den Kopf einzieht und reibungslos weiter funktioniert, statt sich mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen, die Konfrontation zu suchen. Welche Position Shinkai dabei bezieht, ist klar: Er plädiert für mehr Verantwortungsgefühl. Wechselt eine Figur den Körper, ist sie automatisch mit ihrem Tauschpartner verbunden. Ob sie will oder nicht, sie muss Verantwortung für dessen Leib und Leben übernehmen. Mitsuha steckte in Takis Körper — es betrifft sie, was ihm widerfährt, und andersherum. Shinkai scheint diese Argumentation auf einen Appell an die gesamte japanische Bevölkerung zu überführen.

Konkrete Kritik an Politik und gesellschaftlichen Zuständen ist in Anime und Manga eher selten anzutreffen und auch Makoto Shinkai wählt ja für seine Botschaft den leichter verdaulichen Umweg über eine fantastische Geschichte. Zu guter Letzt formuliert er aber doch so etwas wie einen verklausulierten Aufruf zum zivilen Ungehorsam – wenn es die Umstände, der gesunde Menschenverstand oder das eigene Gewissen erfordern. Diesen Ungehorsam verortet er auf zwei Ebenen: mit Aktivismus im Ausnahmezustand. Oder – und das mag die subtilere Ebene sein, aber vielleicht auch die wirkungsvollere – im Alltag. „Im Anzug siehst du fürchterlich aus, die Dinger stehen dir einfach nicht“, hört Taki während eines Bewerbungsmarathons ständig von seinen Freunden. Wahrscheinlich sollte er das nicht als Kritik, sondern vielmehr als guten Rat auffassen. Der tägliche 9-to-5-Alltagstrott in Arbeitsuniform passt schließlich auch nicht zu jedem.

Diese Kritik erschien zuerst am 10.08.2018 auf: kino-zeit.de

Your Name. — Gestern, heute und für immer
Japan 2016

Regie: Makoto Shinkai – Drehbuch: Makoto Shinkai – Kamera: Masashi Ando – Schnitt: Makoto Shinkai – Musik: Radwimps – Laufzeit: 106 Minuten. Verleih: Universum – Kinostart (D): 11.01.2018

Katrin Doerksen, Jahrgang 1991, hat Filmwissenschaft nebst Ethnologie und Afrikastudien in Mainz und Berlin studiert. Neben redaktioneller Arbeit für Deutschlandfunk Kultur und Kino-Zeit.de schreibt sie über Comics, aber auch über Film, Fotografie und Kriminalliteratur. Texte erscheinen unter anderem im Perlentaucher, im Tagesspiegel oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie lebt in Berlin.