Das Beil schon in der Hand

© Grandfilm / Absolut Medien

Diese Kritik erschien zuerst am 17.02.2017 im Rahmen der Berlinale-Berichterstattung auf: perlentaucher.de

„Freiheit?“ lacht eine Figur in „Hao Ji Le“ („Have A Nice Day“) einmal verächtlich. Drei Sphären von Freiheit gebe es, erklärt sie dann: die des Bauernmarktes, dort kaufe man, was es gerade gibt. Dann die des Supermarktes, dort hat man die freie Auswahl. Und drittens die Sphäre des Online-Shoppings. Eine Erklärung folgt darauf nicht mehr, aber das Prinzip ist klar.

Eine Tasche voll mit einer Million Yuan steht im Mittelpunkt des einzigen Animationsfilms im Wettbewerb der diesjährigen Berlinale. Am Ende dürfen wir in die Tasche hineinspähen und da lächelt uns von unzähligen blassroten Banknoten Mao maskenhaft entgegen. In der Volksrepublik China, die der Künstler und Animationsfilmer Liu Jian in „Have A Nice Day“ illustriert, ist Mao noch das Gesicht auf den Insignien der staatlichen Macht. Welcher Religion man sich zuwendet, ist völlig gleichgültig. Die Götter, die das Sagen haben, sind aus einem anderen Holz geschnitzt: Steve-Jobs-Zitate als Totschlagargument, die Stimme von Donald Trump schnarrt aus einem Autoradio. Was Liu Jian für seinen Film unters Brennglas legt, ist das Abfallprodukt des Kapitalismus im Allgemeinen und der chinesischen Wachstumsobsession im Speziellen.

Hinter der Tasche voller Yuan sind in einer südchinesischen Industriestadt eine ganze Handvoll Leute her: ein junger Mann will damit die Schönheitsoperation seiner Freundin in Korea bezahlen, ein Gangsterboss mit Hang zur Pseudophilosophie will endlich ausstehende Schulden beglichen wissen. Schwangere, Existenzgründer. Ein Auftragskiller, der – das Beil schon in der Hand – im letzten Augenblick noch innehält, wenn sein Opfer ihm einen lukrativeren Deal bietet. Wenn man es genau nimmt, veranstalten all die verschiedenen Interessengruppen in „Have A Nice Day“ ein ziemliches Gemetzel. Liu Jian hat an detaillierten Stadtansichten aber mehr Interesse als an der Ausgestaltung blutiger Exzesse. Ursprünglich aus der chinesischen Landschaftsmalerei kommend, gleicht sein Stil im Film eher einem Comic in der Nachfolge reduzierter Zeichentraditionen. Einmal beherrscht in einer traumartigen Werbesequenz das charakteristische Punktmuster des Siebdruckverfahrens das Bild. Sonst die ligne claire, schattenlose Farbflächen.

Gesichter setzen sich aus so wenigen Einzelheiten wie möglich zusammen, das Detail steckt in der Umgebung. Überall prangen chinesische Schriftzeichen an den Wänden. Schon während der Opening Credits blinken überall kaputte Lampen, Lichterketten. Smartphonebildschirme und Neonschriftzüge täuschen nicht über die Tristesse der Industriebrache hinweg. Die Häuser so trüb grau wie der Himmel, die Leute hocken zwischen Müllhaufen und Geröllbergen, fahles Licht scheint aus den Fenstern der Garküchen. Als schließlich der Titel aufscheint – „Have A Nice Day“ -, lässt er sich nur noch als Hohn lesen.

Have a Nice Day
(Hao ji le)
VR China 2017

Regie: Liu Jian – Drehbuch: Liu Jian – Produktion: Yang Cheng, Liu Jia – Musik: Bruno Coulais – Kamera: Liu Jian – Schnitt: Minbing Xiaoliu – Musik: The Shanghai Restoration Project – Verleih: Grandfilm (Kino) / Absolut Medien (DVD) – FSK: ab 12 – Laufzeit: 75 Minuten

Katrin Doerksen, Jahrgang 1991, hat Filmwissenschaft nebst Ethnologie und Afrikastudien in Mainz und Berlin studiert. Neben redaktioneller Arbeit für Deutschlandfunk Kultur und Kino-Zeit.de schreibt sie über Comics, aber auch über Film, Fotografie und Kriminalliteratur. Texte erscheinen unter anderem im Perlentaucher, im Tagesspiegel oder der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sie lebt in Berlin.