Hauptsache Arbeit

Schiffbruch erleiden ist immer unschön. Richtig brenzlig wird die Sache, wenn das einer Expeditionstruppe passiert, die als Teil einer Besiedlungsarche im tiefen Raum unterwegs ist und sich per Landemodul zur näheren Inspektion eines Planeten aufmacht. Alles scheint selige Zuversicht, nur der weibliche Android Ellis mahnt, dass man doch nicht alle Vorsicht fahren lassen solle beim Anflug. Es kommt, wie es kommen muss, das Schiff stürzt in einen riesigen Ozean – wo die unverhoffte Rettung in Form von tintenfischartigen Wesen naht, die die Besatzung an die Oberfläche befördern. Dort staunen die Raumforscher nicht schlecht, als ihnen ein Volk von Menschen entgegentritt, die zwar die irdische Sprache beherrschen, sonst aber in einem durchaus primitiven Entwicklungsstand verharren.

Denis Bajram (Autor), Valérie Mangin (Autorin), Thibaud de Rochebrune (Zeichner): „Inhuman“.
Splitter Verlag, Bielefeld 2021. 104 Seiten. 24 Euro

Man wir zwar durchaus freundlich aufgenommen, aber bald treten seltsame Verhaltensweisen zu Tage: Mit fast schon sektenhafter Einigkeit wird zu gleichen Zeiten gegessen, geschlafen und anderen Tätigkeiten nachgegangen. Mantra-haft verkünden die Dorfbewohner die Kunde von „Großen Behüter“, der das alles genau so wolle. Nach wenigen Tagen entwickelt diese Lebensweise eine seltsame Anziehungskraft: Immer mehr der Schiffbrüchigen wollen sich diesem genormten Ablauf der Dinge anschließen und auch dem „Behüter“ dienen. Ausgenommen scheinen nur der Android Ellis sowie die Kapitänsdame, die sich schwer am Arm verletzt. Auch Schmerz scheint der hypnotischen Kraft des Behüters zu widerstehen. Erstaunt folgen die Gestrandeten dem emsigen Treiben der Bewohner, die in einer riesigen Lagune das Meerwasser entsalzen, das in einen gewaltigen Vulkan gelenkt wird. Von dort her scheint die unversiegbare Versorgung mit Nahrung in Form eines grünen Gewächses zu kommen, das man konsumiert – wenn nicht gerade Fleisch in Form eines Kranken oder Verstorbenen auf der Speisekarte steht.

Mit „Inhuman“ legen die SF-Veteranen Denis Bajram („Universal War One“) und Valérie Mangin („Alix Senator“), die bereits bei „Death Experience“ zusammenarbeiteten, eine scharfsinnige Dystopie vor, die sich irgendwo in der Schnittmenge zwischen der düster-satirischen Zukunft von „Zardoz“, „1984“ und Stanislaw Lems „Solaris“ bewegt: Ein ganzes Menschenvolk wird gleichgeschaltet und lebt in symbiotischer Abhängigkeit (Volk 1 entsalzt Wasser, Volk 2 verwendet dieses Wasser zur Pflanzenzucht, während Volk 3 für die Belüftung sorgt und Volk 4 den Vulkan am Leben erhält). Das finden die meisten Teilnehmer gar nicht so schlimm, immerhin bewahrt es vor universellem Leiden. Keiner muss nachdenken, einfach nur funktionieren, und der große Behüter kümmert sich um den Rest. Und der große Bruder schaut zu dabei.

Dass der telepathische Herrscher des Planeten die Wasserwesen der Tiefe sind (wie der ganze Ozean bei Lem), zu dieser Erkenntnis gehört nicht viel Kombinationsgabe, aber der Reiz der Story entsteht aus der Frage, ob bewusstes Leben mit allen Konflikten wirklich besser ist als eine sorgenfreie geistige Vollkasko-Versklavung (Antwort: Klar, ist zwar unbequemer, aber die andere Variante hat nachweislich nicht funktioniert und dient immer nur einer kleinen Herrscherkaste). Optisch inszeniert ist das Geschehen aufwändig-opulent von Thibaud de Rochebrune in oft großformatigen, leicht stilisierten Panels, deren symbolisch aufgelaadenen Farben die alptraumhafte Reise ins Innere des Vulkans stimmig spiegelen. Eine beeindruckende Reise zu zentralen Fragen des sozialen Gefüges, die zum Nachdenken anregt – als abgeschlossene Geschichte in einem voluminösen Band.

Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben dem Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.

Seite aus „Inhuman“ (Splitter Verlag)