Ausstellung: „Will Eisner. Graphic Novel Godfather“

© Torsten Tullius, Dortmund Agentur

Aus der Pressemitteilung:

„Will Eisner – Graphic Novel Godfather“ erzählt vom „Vater“ der Graphic Novel. Es ist die lägst überfällige erste deutschsprachige Retrospektive zu Will Eisner, einem der einflussreichsten Comic-Künstler des 20. Jahrhunderts. Sie zeigt annähernd 70 Originalwerke aus seinem Nachlass und aus Privatsammlungen in Europa und den USA sowie Vintage-Archivalien. Die Retrospektive wird vom „Will Eisner Estate“, seiner Witwe Ann und seinem langjährigen Verleger und Freund Denis Kitchen unterstützt. Zur Ausstellung erscheint vom Kurator der Ausstellung, Dr. Alexander Braun, eine ca. 384 Seiten starke Monographie über Leben und Werk des Künstlers im Avant-Verlag, Berlin.

Will Eisner (1917–2005) gilt als einer der bedeutendsten Gründerväter des modernen Comics. Nicht umsonst tragen die „Oscars“ der Comic-Branche, die seit 1988 jährlich die besten Schöpfungen des Mediums auszeichnen, seinen Namen: „Will Eisner Comic Industry Awards“. Eisner hat diesen Preis weder gestiftet noch initiiert. Die Wahl fiel bei der Namensgebung auf ihn, weil niemand sonst das Medium so umfänglich geprägt und in seinen künstlerischen Möglichkeiten ausgelotet hat.

Will Eisners Verdienste adäquat zu fassen fällt schwerer als bei vielen anderen großartigen Zeichnern oder Textern des 20. Jahrhunderts. Er war nicht nur Zeichner und Texter, sondern auch Theoretiker und Produzent. Und er war der wichtigste Pate der Graphic Novel. Eisner sprengte den Rahmen festgelegter Publikationsformen wie „Zeitungs-Strip“ (ein Streifen pro Tag, bzw. eine Sonntagsseite pro Woche) oder „Comic-Heft“. Eisner gestand Comic-Erzählungen die Form und den Umfang zu, die sie brauchten und verdienten. Dank Eisner durften Comics nun Bücher und Literatur sein.

The Spirit

Als Eisner Mitte der 1930er-Jahre – nicht einmal 20 Jahre alt – die Bühne der Comics betrat, steckte das Comic-Heft noch in seinen Kinderschuhen. Nur im noch jungfräulichen (und von den Comic-Strip-Vertretern) verachteten Bastard-Medium „Comic-Heft“ hatte er als Sohn jüdischer Immigranten eine Chance, zu reüssieren. Eisner hatte die Idee, den Verlagen die Dienstleistung von druckfertig konfektionierten Comic-Geschichten anzubieten, anstatt als unterbezahlter Lohnzeichner zu arbeiten. Das Prinzip funktionierte, und Eisner verdiente gut – mitten in der Großen Depression.

Als man ihm 1939 das (wirtschaftlich riskante) Angebot machte, eine Art Comic-Heft für Zeitungen anstelle der traditionellen Sonntagsseiten zu produzieren, griff er zu: Die Zeitungen als Verteiler zu gewinnen, bedeutete, zu erwachsenen Lesern sprechen und sich entsprechend künstlerisch ambitionierter ausdrücken zu können. Da seit 1938 Superhelden der große Quotenbringer am Comic-Markt waren, verpasste Eisner seinem Gangsterjäger „The Spirit“ kurzerhand eine Augenmaske.

Eigentlich ging es ihm aber weniger um die Kolportage von Heldentaten als vielmehr darum, die Techniken des Erzählens mit Wort und Bild zu ergründen und ein Auge auf die Ursachen von Kriminalität und gesellschaftlicher Dysfunktionalität zu werfen. Eisner, selbst in Brooklyn und in der Bronx in armen Verhältnissen aufgewachsen, wollte von den Rändern der amerikanischen Gesellschaft erzählen, von den Verlierern, den kleinen Leuten im Dunkel der engen Gassen der Mietskasernen. Eisners Welt war ein Noir-New-York: Ziegelwände, Feuertreppen, Regen und Nebel, Verrat und Korruption, die ständige Hoffnung auf ein besseres Leben und die Ernüchterung, an dieser Ambition zu scheitern.

„The Spirit“ lief zwei Jahre blendend, und Eisners Erzähltechniken verfeinerten sich zusehends, bis er 1942 zum Kriegsdienst eingezogen wurde. Als er Ende 1945 seinen Spirit wieder übernehmen konnte, war er menschlich und künstlerisch gereift.

Bis 1950/51 überschlugen sich die erzähltechnischen Innovationen. Eisner rang dem Medium alles ab: ausgeklügelte Dramaturgien, spektakuläre Perspektiven, subjektive Sichtweisen, ungewöhnliche Schnitte, formale Experimente bis hin zu selbstreferenziellen Spielereien, die das Comic-Machen selbst zum Gegenstand des Comics machten. „The Spirit“ wurde für Eisner, was „Citizen Kane“ (1941) für Orson Welles war: ein Laboratorium der Möglichkeiten.

Education

Eisner wäre nicht Eisner gewesen, wenn er sich Anfang der 1950er-Jahre mit dem Erreichten zufriedengegeben hätte. Schon während seiner Militärzeit hatte er das Medium Comic genutzt, um in Armee-Publikationen Lernprogramme und Gebrauchsanweisungen schlüssiger und nachhaltiger zu gestalten. Jetzt wollte Eisner noch umfänglicher mit Comic-Formen in der Gesellschaft wirken. Mit seiner Firma „American Visuals“ arbeitete er die nächsten 20 Jahre in diesem Sinne – und wurde dadurch für die eigentliche Comic-Gemeinde unsichtbar. Will Eisner wurde zu einem Enigma. Die „Altvorderen“ der 1940er-Jahre führten seinen Namen gleichermaßen respektvoll wie enthusiastisch im Munde. Er war der Mann, der alles erfunden hatte, aber niemand wusste, was aus ihm geworden war. Auch die Lektüre seiner Geschichten beschränkte sich – in Ermangelung von Reprints – auf Flohmarktfunde.

Graphic Novels

Dann kamen die 1970er-Jahre. Eisner hatte 1969 seine 16-jährige Tochter zu Grabe tragen müssen, die an Leukämie erkrankt war: eine heftige Zäsur. Brotjobs fürs Pentagon oder große Firmen wurden Eisner nun mehr und mehr zuwider. Gleichzeitig hatte sich die Comic-Szene nach mehr als einem Jahrzehnt Stagnation (in Folge des 1954 verabschiedeten Zensur-Codes) emanzipiert: Underground, Independent und Selbst-Distribution waren die Schlagworte der Zeit. So etwas hatte er sich immer für das Medium gewünscht.

Eisner ließ sich wieder in der Comic-Öffentlichkeit blicken – mit ungeahnten Folgen. Eine junge, selbstbewusste Comic-Generation interessierte sich zu seiner eigenen Überraschung für „den Mann, der alles erfunden hatte“. „The Spirit“ erfuhr – dank Eisners gut gepflegten Archiv – zahlreiche Reprints, so dass man endlich selbst lesen konnte, wovon man immer nur gehört hatte.

Zudem war Eisners Rat und Auskunft gefragt. So leckte der fast 60-Jährige wieder Blut. 1978 erschien ein 196 Seiten starkes Comic-Buch mit dem Titel „A Contract with God and Other Tenement Stories“ (Ein Vertrag mit Gott und andere Mietshaus-Stories aus New York). Neben dem Titel prangte auch gleich die Definition dieser neuen Comic-Gattung: „A Graphic Novel by Will Eisner“. Keine Magazinveröffentlichung, keine Lektüre in Fortsetzung, sondern ein Buch in Erstveröffentlichung, wie jeder andere Roman auch. Womit Harvey Kurtzman 1959 mit seinem „Jungle Book“ noch gescheitert war, verfing jetzt: Der Comic war autonomes Buch geworden.

Eisner hatte nun noch 27 Jahre Lebenszeit, in denen er nicht nur diverse Anthologien, Literatur-Adaptionen und Sachbücher zum Thema der „Sequenziellen Kunst“ vorlegte, sondern 16 weitere, höchst ambitionierte Graphic Novels. Dieses „Spätwerk“ hatte es tatsächlich in sich.

Kampf gegen Antisemitismus

Will Eisners Eltern waren vor dem Ersten Weltkrieg aus Österreich und Rumänien nach Amerika ausgewandert, um Krieg und Elend, aber auch einem latent antisemitischen Klima zu entrinnen, das schnell in Pogrome umkippen konnte. Letztere waren in den USA nicht zu befürchten, aber Juden galten auch im „Land der Freiheit“ nicht viel und wurden aus vielen Bereichen des öffentlichen Lebens ausgegrenzt.

Eisners Elternhaus war nicht besonders gläubig, so dass eine Assimilierung und Säkularisierung vermutlich schnell vollzogen gewesen wäre, wenn Eisner nicht immer wieder auf antisemitische Vorurteile gestoßen wäre. So begann er, sich immer stärker mit seiner Herkunft und seinen Wurzeln auseinanderzusetzen. So standen die letzten Jahre seines Lebens im Zeichen des Widerstandes gegen den Antisemitismus. Seine beiden letzten großen Graphic Novels „Ich bin Fagin“ (2003) und „Das Komplott“ (2005) waren der Revision der Klischeefigur des Juden Fagin in Charles Dickens‘ Roman Oliver Twist und der Fälschungsgeschichte der sogenannten „Protokolle der Weisen von Zion“ gewidmet.
Katrin Pinetzki