Excelsior – 60 Jahre Marvel Comics

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Die Marvel-Kolumne von Bernd „Marvel Boy“ Borchers & Martin „MJ“ Jurgeit erinnert an das Erscheinen von „The Fantastic Four“ #1 vor 60 Jahren.

Der August 1961 war ein ganz besonderer Monat, der weltweit Schlagzeilen machen sollte mit dem Bau der Berliner Mauer. Nur wenige Tage zuvor, nämlich am 8. August 1961, tauchte an den amerikanischen Kiosken – zumindest jenen im Nordosten der USA – in einer ersten Auslieferungswelle ein Comic-Heft mit dem Cover-Datum „Nov.“ auf, in dem der Kalte Krieg ebenfalls eine große Rolle spielte. Es handelte sich um „The Fantastic Four“ #1 von Stan Lee und Jack Kirby, die sich damals kaum ausgemalt haben dürften, dass sie mit diesem Heft gerade ein neues Zeitalter einläuteten, nämlich „The Marvel Age of Comics“.

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Die Ersten im Weltall

In der ersten Hefthälfte mit dem Titel „The Fantastic Four!“ lesen wir die Origin-Story eines neuen Superheldenteams: Der amerikanische Wissenschaftler Reed Richards unternimmt mit seiner Verlobten Sue Storm, deren Bruder Jonathan/Johnny und dem Testpiloten Ben Grimm den ersten bemannten Flug ins Weltall. Dabei bewirken die kosmischen Strahlen, dass Reed fortan als Mister Fantastisch seinen Körper beliebig dehnen und strecken kann, Ben sich in das monströse Ding verwandelt, Sue die Unsichtbare wird und Johnny eine lebende Fackel.

Der eigentliche Flug ins All wird dabei als Rückblende in die Handlung eingebettet, was seine ganz besondere Bewandtnis hat. Denn bereits vier Monate vor Erscheinen des Heftes, nämlich am 12. April 1961, hatte der sowjetische Kosmonaut Juri Gagarin die Erde mit einem sowjetischen Raumschiff umrundet – eine unglaubliche Schmach für die USA, die die Fantastischen Vier (so ihr deutscher Titel über viele Jahrzehnte) quasi rückwirkend mit ihrem in die Vergangenheit verlegten Raumflug tilgen sollten.

Wie sehr der Wettstreit im Kalten Krieg eine Rolle spielte, zeigt auch diese Anmerkung von Stan Lee in der Synopse für das Heft: „Bei der Geschwindigkeit, mit der die Kommunisten ins All vorstoßen, sollten wir daraus vielleicht besser einen Flug zu den Sternen machen, statt nur zum Mars. Denn bis dieses Magazin im Handel auftaucht, könnten die Russen womöglich schon zum Mars geflogen sein.“ Eine Faksimile-Veröffentlichung der Synopse findet sich auch im virtuellen Jack Kirby Museum.

Die Vorbilder für „Marvel’s First Family“

Um das Entstehen der ersten großen Silver-Age-Helden von Marvel ranken sich zahlreiche Mythen und ebenso viele Kontroversen, in deren Mittelpunkt vor allem die Zuschreibung der Urheberschaft steht, die mal stärker dem „Texter“ Stan Lee und dann wieder mehr dem „Zeichner“ Jack Kirby zugebilligt wird.

Angeblich beschloss 1961 Verleger Martin Goodman, eine Serie um eine Gruppe von Superhelden herauszubringen, nachdem er bei einer Golfrunde mit einem Kollegen von DC Comics oder aber des Vertriebs Independent News gehört hatte, wie gut dort die „Justice League of America“ liefe, in der DC-Helden wie Superman, Batman oder Wonder Woman als Team agierten. Die JLA war im Jahr zuvor zunächst in drei Ausgaben der Anthologie-Reihe „The Brave and the Bold“ veröffentlicht worden und hatte jetzt sogar ihre eigene Heftserie erhalten. Beauftragt von Goodman setzten sich Stan Lee und Jack Kirby recht überstürzt an die Planung eines vergleichbaren Titels für ihren Verlag.

Dabei griffen sie als maßgebliches Muster auf die DC-Serie „Challengers of the Unknown“ zurück, die Jack Kirby ab 1956 mitentwickelt hatte und für die er zeitweilig sogar die Szenarios verfasste. Bei den „Herausforderern des Unbekannten“ handelte es sich um vier Männer mit unterschiedlichen physischen und intellektuellen Höchstbegabungen, die gemeinsam einen Flugzeugabsturz überlebten und beschlossen, die ihnen „geborgte“ Zeit fortan sinnvoll zum Nutzen der Gesellschaft einzusetzen.

© DC Comics – Gruppenbild mit Dame: Prof Haley, Ace Morgan, Red Ryan und Rocky Davis sowie June Robbins

Schon die Grundkonstellation von vier Protagonisten passt zu den späteren Fantastischen Vier bei Marvel. Einzelne Figuren ähneln sich auch in Charakter und Aussehen sehr stark – allen voran der olympische Ringer Rocky Davis dem Ding alias Ben Grimm. Sogar ein aufgerücktes weibliches Vollmitglied im Viererteam hätten die Challengers fast gehabt, bis ein unter ihnen tot Geglaubter doch wieder zurückkehrte. So reichte es für die Wissenschaftlerin June Robbins dann doch nur zur unterstützenden Tätigkeit von der Heimatbasis aus.

Auffällig war auch, dass die Challengers mit ihren bürgerlichen Namen in der Öffentlichkeit für ihr Handeln einstanden und deshalb keine Verkleidung wie andere Helden benötigten, sondern eine uniform gehaltene Trikotage trugen. Das sollte später auch die Fantastischen Vier auszeichnen. Gewissermaßen offiziell beglaubigt wurde die „Verwandtschaft“ zwischen den Challengers of the Unknown und den Fantastischen Vier, als beide Gruppen in den Amalgam-Crossovers von Marvel und DC 1997 zu den „Challengers of the Fantastic“ fusionierten. Das aufgrund der vielen Insiderbezüge nur schwer lesbare Heft ist auf Deutsch als Ausgabe 3 von „Marvel DC Crossover“ bei Panini/Marvel Deutschland erschienen.

Das gewisse Extra

Das alles spricht für einen sehr großen Anteil von Jack Kirby an der Urheberschaft der Fantastischen Vier. Allerdings ist auch anzumerken, dass Kirbys „Challengers“-Ausgaben (nachgedruckt in Amerika bei DC Comics u. a. in zwei „Archives“-Bänden) allenfalls durchschnittlichen Unterhaltungswert aufweisen. Gerade die oftmals staubtrockenen Dialoge sind Welten von dem Konversationsfeuerwerk entfernt, das die „Fantastischen Vier“ unter Texter Stan Lee zum „World’s Greatest Comics Magazine“ machen sollten.

Man muss trotzdem anerkennen, dass sich die „Challengers“-Hefte mit der Zeit höchst vielversprechend entwickelten  – gerade in der Periode, als Kirby zunehmend bei den Szenarios mit eingebunden war. Zudem greift Kirbys Artwork für die „Challengers“ stellenweise bereits seinen phantastischen Weltentwürfen vor, die er kurze Zeit später für Marvel-Helden wie die „Fantastischen Vier“ und „Thor“ realisieren sollte. Die „Challengers of the Unknown“ können also eindeutig als ein höchst interessanter Testlauf für die „Fantastischen Vier“ betrachtet werden.

Doch damit nicht genug! Nicht nur dass die Fantastischen Vier bei ihrem Start teilweise wie die (bessere) Kopie einer anderen Serie aussahen, selbst ihren Titel als „erste“ Marvel-Helden des Silver Age kann man ihnen wohl streitig machen. Was es hiermit auf sich hat, könnt ihr in kürze in einer weiteren Folge dieser Kolumne nachlesen. Jetzt aber abschließend noch zu unseren …

Lesetipps

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Beginnend 1969 mit der deutschen Erstveröffentlichung in „Hit Comics“ (bsv) 129 dürfte „The Fantastic Four“ #1 zu den auf Deutsch am häufigsten veröffentlichten Marvel-Heften gehören. Zuletzt aufgelegt wurde es in Die offizielle Marvel-Comic-Sammlung Classic I: Marvel Origins – Die Sechzigerjahre von Hachette und Marvel Klassiker: Fantastic Four bei Panini. Beide Ausgaben sind aber nur noch antiquarisch erhältlich, wobei zumindest die Softcover-Version von „Marvel Klassiker: Fantastic Four“ relativ leicht zu finden sein dürfte.
Und bereits 1999 brachte Panini noch unter der Firmierung Marvel Deutschland das Einzelheft „The Fantastic Four“ 1 heraus. Quasi in Faksimile-Anmutung wurde hier dieser Meilenstein der Comic-Historie präsentiert. Erhältlich war das Heft als Extra innerhalb des 8. Marvel Jubiläum Packs zur „Die Wiedergeburt der Helden“, es wird heute aber auch immer wieder einzeln angeboten.

Bernd „Marvel Boy“ Borchers vertreibt sich vor allem als Moderator im Panini Fan-Forum die Zeit und unterhält zudem im NUFF!-Forum seinen Marvel Boy’s Rezi Thread.

Martin „MJ“ Jurgeit war in einem früheren Leben einmal Chefredakteuer des Superhelden-Magazins „Hit Comics“ und führt heute den Branchendienst die neunte.