Während die Comicgemeinde 2019 das 80-Jahre-Batman-Jubiläum gefeiert hat, ließ der „Joker“, der kürzlich auf DVD erschien, die Kinokassen klingeln, und nicht nur das: Auch die Feuilletons waren von dem Film sehr begeistert, bei den 76. Internationalen Filmfestspielen von Venedig gewann der Film den Goldenen Löwen. Welcher Weg hat Batman und den Joker, das „diabolische Duo“, bis zu diesem Film geführt?
„I am Batman“ ist die ikonische Catchphrase der Batman-Serien und -Filme: Michael Keaton in den beiden Tim-Burton-Klassikern, Val Kilmer und George Clooney in den Film-Desastern von Joel Schumacher, Christian Bale in der Christopher-Nolan-Trilogie und Adam West in der knallbunten Serie von 1966 bis 1968 – allen legten die Drehbuchautoren diese Worte in den Mund. Was sagt es über eine Figur aus, wenn sie eine so banale Aussage so mantrahaft wiederholt?
Es ließe sich vermuten, dass die ständig wiederholte Phrase Ausdruck einer besonders brüchigen Identität sei. Als maskierter Superheld gehört dieser Makel natürlich zum genrekonstitutiven Standardrepertoire: diese traumatisch bedingte Doppelidentität mit exotischer Maskierung und Künstlernamen. Bei Batman aber scheint dieser Konflikt eine noch größere Rolle zu spielen als anderswo. Lars Banhold hat in seinem sehr empfehlenswerten Buch „Batman – Re-Konstruktion eines Helden“ schlüssig dargelegt, dass Bruce Wayne eigentlich zwei Rollen spiele: den selbstlosen Selbsträcher Batman und den selbstverliebten Playboy Bruce Wayne. Vielleicht ist diese gegensätzliche Konstruktion eine Erklärung dafür, warum Batman stets von einem Gegenpart so abhängig ist: dem Playboy Bruce Wayne einerseits, dem Joker andererseits. „You complete me“ lässt Nolan den Joker in „The Dark Knight“ zu Batman sagen, und das gilt natürlich auch vice versa.
Im Gegensatz zu anderen (keineswegs allen) Superhelden ist Batman schon als schwierige Figur angelegt. Er hat als Dark Knight eben auch eine dunkle Seite, die seit Frank Millers Neuinterpretation „The Dark Knight Returns“ (1986) stärker zutage getreten ist: Batman ist weder strahlender Held noch finsterer Schurke. Dass Batman und der Joker als „diabolisches Duo“ Gut und Böse jeweils in sich tragen, ist schon oft in Szene gesetzt worden: Alan Moore lässt Batman und den Joker am Ende von „The Killing Joke“ (1988) gemeinsam über einen Witz lachen, und er lässt die Grenze zwischen den Kontrahenten im letzten Panel verschwinden. Nolan hat es filmisch umgesetzt, wenn er am Schluss von „The Dark Knight“ (2008) den Joker im Dialog mit Batman zeigt – an einem Seil kopfüber hängend wie eine Fledermaus. Und als würde die Welt nicht eh schon Kopf stehen, vollführt die Kamera nun eine 180°-Drehung, und so sehen wir den Joker, der ein Plädoyer für die Wahrheit hält, während Batman an einer Lüge festhalten muss.
Der Joker hat eine besondere Bedeutung im Superschurkenkosmos des Fledermausmannes. Nicht nur ist er Batmans Gegenspieler in der ersten Ausgabe der eigenen Batman-Serie (1940), in den 713 Ausgaben der Hauptserie ist er mit 118 Auftritten auch Batmans häufigster Widersacher, weit vor Catwoman und dem Pinguin mit 94 bzw. 66 Auftritten. Hinzu kommen natürlich die prominenten filmischen Verkörperungen durch Jack Nicholson und Heath Ledger, ganz abgesehen von diversen Comic-One-Shots wie Brian Azzarellos „Joker“ (2008) oder Alan Moores „The Killing Joke“.
In letzterem gibt Moore dem Joker eine Origin Story, die derjenigen von Bruce Wayne an Tragik in nichts nachsteht: Der Joker beginnt seine fiktive Biografie nicht als Schurke, sondern wird durch ein Unglück erst zu einem gemacht. Ist doch auch eine spannende Frage: Wie kommt das Böse in die Welt?
Vor genau dreißig Jahren erschien Tim Burtons „Batman“ – letzten Oktober kam mit ähnlich schlichtem Titel „Joker“ ins Kino. Der Film von Regisseur Todd Phillips mit Joaquin Phoenix in der Hauptrolle erzählt auch eine schurkische Origin-Story, allerdings eine ganz andere als Moore.Der Niedriglohnkomiker Arthur Fleck kämpft mit seiner beruflichen Erfolglosigkeit, seiner unklaren Familienbiografie, seiner medizinischen Vorbelastung, seiner Einsamkeit. Zu Beginn des Films wird Fleck von einer Bande Jugendlicher in eine Gasse gelockt und grundlos zusammengeschlagen. Wir sehen das Opfer am Boden seiner eigenen „Crime Alley2 liegen und beobachten fortan, wie die Umstände ihn allmählich zu einem Täter machen. Seine Mutter hat ihn über seinen Vater belogen, seine Sozialarbeiterin muss nach städtischen Kürzungen seine Betreuung aufgeben, sein zwanghaftes Lachen grenzt ihn sozial aus. Als er von Yuppies in einer U-Bahn angegriffen wird, setzt er sich zur Wehr, tötet die Angreifer und löst damit eine aggressive Protestbewegung unter dem Motto „We are all Clowns“ aus, die an die französische Gelbwestenbewegung erinnern mag. Der Joker tanzt nun ekstatisch die leuchtenden Treppen hinab, die er am trüben Abend zuvor als Arthur Fleck noch mühsam hinaufgegangen war. Die zentrale Eskalation aber ereignet sich, als sein größter (und letzter) Traum platzt: Sein TV-Komiker-Idol Murray Franklin, gespielt von Robert De Niro, verhöhnt Arthur Fleck in seiner landesweiten Late-Night-Sendung und gibt ihm seinen neuen Namen: Joker.
Kennen wir den Joker sonst, in Comics wie Filmen, als versierten Medien-Jongleur, der das Fernsehen für seine Zwecke benutzt, macht Todd Phillips ihn zu einem Opfer der Medien. Überhaupt ist der Joker ein Opfer. Ein Opfer seiner Gene, seiner Erziehung, der sozialen Umstände, politischer Unfähigkeit.
Wer von „Joker“ eine differenzierte Analyse einer Genese des Bösen erwartet, ist in diesem Film ebenso falsch wie Freunde flatternder Capes. Und wer die Opfererzählung Arthur Flecks einfach für bare Münze nimmt, ist dem Film auf den Leim gegangen. Wir sehen die Ereignisse durch Arthurs Augen, und seine Sicht auf die Welt ist alles andere als zuverlässig: Mal phantasiert er, mal träumt er, vielleicht lügt er auch?Weder weiß Arthur Fleck, wer er ist (womöglich Batmans Halbbruder?), noch wer er werden soll. Komiker offenbar nicht, denn die einzige Stelle, bei der ich das Kinopublikum lachen gehört habe, war, als Arthur Fleck versehentlich gegen eine Scheibe läuft. Ist das nicht tragisch für einen Film über einen Komiker, dass dieser nur komisch ist, wo er es nicht sein will? Dass Todd Phillips diese Identitätskrise in das Zentrum des Filmes gestellt hat, zeigt, dass er die Dynamik des diabolischen Duos verstanden hat.
Während Alan Moores Joker seine Biografie gern als „multiple choice“ erinnern wollte und Christopher Nolan seinen Joker konkurrierende Origin Stories erzählen ließ, zeigt Todd Phillips mit unzuverlässigem Erzählen, wie fragil Identitäten (und Erzählungen von Gut und Böse) sind. Nicht einmal seinen Namen hat er sich selbst ausgesucht, denn der stammt von Murray Franklin. „I am the Joker“ zu sagen, wäre ja schon fast eine Befreiung.
„Joker“ lässt sich als Kommentar über soziale Protestkulturen, die Unkontrollierbarkeit sozialer Medien (auch wenn der Film in den 1980er spielt), die Abstiegsängste prekärer Milieus oder als Erzählung über Unzuverlässigkeit und Leichtgläubigkeit verstehen. Vor allem aber ist der Film eine Hymne an die Schönheit der Bilder, auch und gerade dort, wo sie Hässliches zeigen.
Dieser Text erschien zuvor in der Comixene 133 (Winter 2019).
Hier gibt es eine weitere Filmkritik zu „Joker“.
Joker
USA 2019
R: Todd Phillips – B: Todd Phillips, Scott Silver – P: Todd Phillips, Bradley Cooper, Emma Tillinger Koskoff – K: Lawrence Sher – Sch: Jeff Groth – M: Hildur Guðnadóttir – A: Mark Friedberg – V: Warner Bros. Pictures – L: 122 Min – FSK: 16 – D: Joaquin Phoenix, Robert De Niro, Zazie Beetz, Frances Conroy, Marc Maron, Bill Camp, Glenn Fleshler, Shea Whigham, Brett Cullen, Douglas Hodge, Josh Pais – Filmstart Deutschland: 10.10.2019 – DVD-Start: 12.03.2020
Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.