Verschwörung, das heißt: Ein paar Leute (mindestens zwei) tun sich zusammen, um anderen (mindestens einem) zu schaden, mit der Absicht, sie um Identität, Amt, Besitz, Macht oder Ansehen zu bringen, im Zweifelsfall auch ums Leben. Das heißt auch: (Mindestens) zwei wissen etwas, was (mindestens) ein Dritter nicht weiß. Wenn es nicht so dramatisch, unmoralisch und destruktiv wäre, könnte man es ein Spiel nennen. Richtig genießen kann man daher eine Verschwörung am ehesten in einem Spiel-Film.
I
Hier kommt ein drittes Wissen ins Spiel, das von uns Zuschauerinnen und Zuschauern. Halb ist das auf der Seite der Verschwörer, halb auf der ihrer Opfer, und immer bewegt es sich dazwischen. Diese Konstellation hat Alfred Hitchcock „Suspense“ genannt. Die Raffinesse eines Suspense-Films besteht im Wettlauf zwischen Verschwörung, Gegenverschwörung und Aufdeckung. Dieses Spiel ist dem des „Whodunit“ verwandt, allerdings wird es hier keinen Sherlock Holmes, Hercule Poirot oder Jules Maigret geben, von denen wir wissen, dass sie am Ende die Mörder entlarven. Suspense im Verschwörungsthriller entspricht einem Spiel, dessen Regeln immer erst im Verlauf der Handlung offenbar werden und die sich möglicherweise auch ändern. Die Protagonisten müssen immer zugleich der Welt und sich selbst misstrauen, in den eindringlichsten Exemplaren des Genres erlebt der Held oder die Heldin ein „Vertigo“, einen Schwindel, eine Leerstelle in sich selbst (Schuld und Verlust, die sehen lassen, was nicht da ist, und blind machen gegenüber dem, was alle anderen sehen) oder eine Leerstelle in der Welt: „Eine Dame verschwindet“, und wie in so vielen Filmen von Alfred Hitchcock bleibt, wer das Verschwinden bezeugen kann, lange Zeit allein. Der psychologische Thriller erzählt an der Oberfläche von einer (fast) perfekten Intrige, im Inneren aber erzählt er vom Menschen, der einen Bruch zwischen Ich und Welt erfährt.
An Verschwörungen sind wir seit ersten Leseerfahrungen gewöhnt. Die einen mit Alexandre Dumas (ohne Verschwörung wären die drei Musketiere nichts als aufmüpfige Raufbolde), die anderen mit Batman (dessen Feinde sich zu immer neuen Verschwörungen gegen die Ordnung in Gotham City, gegen die letzten Bastionen von freedom and democracy, zusammentun). Die Verschwörung ist neben der Heldenreise, der verbotenen Liebe und der Bewährungsprobe ein Grundelement der populären Mythologie. Und darin verborgen ist auch das radikale Gegenmittel: Der autonome, aufrechte und freie Held (ebenso: die Heldin, das überschaubare Helden-Team) erweist sich am Ende stets als stärker als die umfänglichste Verschwörung. Tatsächlich durchlebt die junge Frau, die die Verschwörung hinter der Dame, die (fast) spurlos verschwand, aufdeckt, erst Augenblicke größter Einsamkeit und findet daraus wahrhaft zu sich selbst. Statt den vorherbestimmten Langweiler zu heiraten, wird sie mit dem Mann zusammenkommen, mit dem sie das Abenteuer durchlebte. Verschwörungen aufzudecken und zu überwinden, ist Teil der mythischen Individuation, mit dem Helden oder der Heldin unternimmt man einen symbolischen Schritt zur Selbstbefreiung.

Der Joker in „The Dark Knight“ (© Warner)
Zwei große Unterscheidungen sind im Verlauf dieser Selbstbefreiung zu erlernen. Die erste Unterscheidung ist die zwischen der Verschwörung und einer Struktur. Eine Mafia-Verschwörung ist möglicherweise von einem heroischen Commissario zu entlarven, die mafiöse Struktur der Gesellschaft, in der er arbeitet und kämpft – das ist eine ganz andere Sache. Verschwörungen richten sich aber auch selbst nicht nur gegen Subjekte, sondern auch gegen Strukturen. Es gibt eine Verschwörung, die jener anzettelt, der (wie in einem berühmten Comicstrip) unbedingt Kalif anstelle des Kalifen werden will, und es gibt Verschwörungen, James Bond oder die Männer von U.N.C.L.E. wissen ein Lied davon zu singen, die ein ganzes System, sagen wir mal, den westlichen Liberalismus oder das internationale Währungssystem, vernichten wollen. Auf der anderen Seite gibt es Verschwörungen, die von einem zentralen Subjekt wie Goldfinger, Dr. Mabuse, Fu Manchu oder dem Joker ausgehen oder von einer Instanz wie, sagen wir, einer kommunistischen Regierung oder einer Unterwelt-Organisation, die immer mal wieder einen gefährlichen Schnüffler durch eine Intrige außer Gefecht zu setzen bestrebt ist. Die zweite wichtige Unterscheidung ist die zwischen der Verschwörung als fiktionalem Spiel und als politischer Wirklichkeit. Auch die ist gar nicht so einfach, wie man denken mag, denn eine leidige Tatsache ist schließlich unbestreitbar: Es gibt Verschwörungen. Richtige, wirkliche und manchmal erstaunlich plumpe Verschwörungen.
Eine Verschwörung basiert auf der Herstellung einer Fiktion (Maskerade, Schauspiel, Narrativ). Sie ist, mit anderen Worten, der Kunst verwandt (und Kunst kann man wiederum als Verschwörung gegen den Wirklichkeitssinn verstehen). Sie ist aber auf der anderen Seite auch einer Krankheit verwandt, jener Form der Paranoia, die der Welt, der ein offener Sinn nicht mehr entnommen werden kann, einen geheimen Sinn unterstellt. Das verfolgte Subjekt, das im gewöhnlichen Leben verloren ging, wird in einer fantastischen, allerdings höchst unglücklichen Weise rekonstruiert: Verschwörungsfantasie und Wahnsystem sind ab einer bestimmten Stufe der Entwicklung nicht mehr zu unterscheiden. Freilich: „Nur weil ich paranoid bin, heißt das nicht, dass es keine Verschwörung gibt“, so sieht es jemand wie der Mel Gibson-Charakter in „Fletchers Visionen“ (engl. „Conspiracy Theory“). Wir leben, hat Nathalie Sarraute einst gesagt, im „Zeitalter des Misstrauens“. Aus dem Misstrauen entstehen sowohl die Verschwörungen als auch die Verschwörungsfantasien, und zweifellos sind Verschwörungsfantasien, ob als Fiktion im Kino oder als „alternative Wirklichkeit“ in den Netzen, Indikatoren für das allgemeine Misstrauen.

„Fletchers Visionen“ (© Warner)
Das heißt, es gibt etwas, das Roland Barthes den „Wirklichkeitsrest“ im Mythos nennt, es gibt eine ästhetisch-semantische und eine psycho-soziale Dimension. Und dann, hier schließt sich der Kreis, gibt es eine ideologisch-propagandistische Dimension. Man könnte das gar eine Verschwörung zum Missbrauch des Verschwörungsfantasmas nennen: Die Verschwörung findet zwar nur im Kopf statt, sie kann aber dennoch verheerende reale Folgen haben. Übrigens findet hier auch die Unschuld der Verschwörungsfantasie im Kino, in Fernsehserien oder in der Pulp Fiction ihr Ende. Spätestens, wenn sie propagandistisch aufgeladen ist, wird selbst die dümmste Verschwörungsfantasie im Kino gefährlich.
II
Verschwörungsthriller sind gern als Krisen-Genre beschrieben worden, und mit einer gewissen Berechtigung kann man die Entwicklung des Sub-Genres Verschwörungsthriller mit politischen Krisenzeiten in Verbindung bringen: Einen ersten Höhepunkt, wenn nicht gar die „Geburt“ der Verschwörungsfilme, kann man in den unsicheren Zeiten der Weimarer Republik in Deutschland beobachten. Prototypisch dafür ist gewiss Fritz Langs Arbeit, vor allem natürlich die Filme um den Superverbrecher in „Dr. Mabuse, der Spieler“ (1922) und „Das Testament des Dr. Mabuse“ (1932). Verschwörungen spielen aber auch in künstlerisch weniger interessanten Filmen dieser Zeit eine Rolle, und natürlich waren sie schon in den Stummfilm-Serials von Louis Feuillade, vor allem in „Fantômas“, allgegenwärtig, wennzwar noch nicht in der raffinierten, „massenpsychologischen“ Ausrichtung des Mabuse. Joseph Goebbels ließ den Film „Das Testament des Dr. Mabuse“ verbieten und notierte dazu in seinem Tagebuch: „Ich werde ihn deshalb verbieten, weil er beweist, dass eine bis zum Äußersten entschlossene Gruppe von Männern, wenn sie es nur ernstlich will, durchaus dazu imstande ist, jeden Staat aus den Angeln zu heben.“ So ernst kann nur ein Verschwörungspraktiker ein Verschwörungsbild nehmen. So wie Fantômas die bürgerliche Welt der Jahre 1913 und 1914 unterminierte, so droht Mabuse (tatsächlich: ein Spieler), den modernen Staat zu unterminieren.

„Das Testament des Dr. Mabuse“ (© Atlas Film)
Die Unsicherheit der Nachkriegszeit, die ein paradoxes Ineinander von wirtschaftlichem Aufschwung und den Ängsten im Kalten Krieg brachte, schlug sich im amerikanischen Kino nicht nur in einer Welle von „Alien Invasion“-Filmen nieder, in denen aggressive Außerirdische Körper und Seele der freien Menschen übernehmen, wie in Don Siegels kleinem Paranoia-Meisterwerk „Invasion of the Body Snatchers“ (1956). Daneben herrschte eine Angst vor Menschen, die einem „Brainwashing“ unterzogen wurden, wie in „The Manchurian Candidate“ (1962), wo sich ein aus koreanischer Kriegsgefangenschaft zurückgekehrter Offizier, der sich auf eine politische Karriere vorbereitet, als durch Gehirnwäsche gefügig gemachter Schläfer erweist. Doch diese Angstlust verband sich rasch mit einer neuen Lebensgier, und ein neuer Archetyp betrat die westliche Leinwand: Der Agent, der allfällige Verschwörungen als Ausrede dafür benutzt, die Welt als großen Abenteuerspielplatz für Sex, Gewalt und geschüttelte, nicht gerührte Martinis zu betrachten.
Späte Auswirkungen des Kalten Krieges waren die James Bond-Filme nach den Romanen des ehemaligen Geheimdienstlers Ian Fleming, der Agent mit der Lizenz zum Töten, der immer wieder eigenhändig Komplotte und Untergrundorganisationen aushebt, seine Kunst der Camouflage ebenso einsetzend wie seine offensichtlich unwiderstehliche Wirkung auf Frauen. Seine unzähligen Nachahmer, die Erbschaftsverschwörungen in den deutschen Edgar Wallace-Filmen oder die Wiederaufnahmen des Dr. Mabuse-Stoffes in den sechziger Jahren scheinen die Sache nicht mehr hundertprozentig ernst zu nehmen. Beim neuen Mabuse war nicht mehr genau zu unterscheiden zwischen den Weltverschwörungsplänen eines Superverbrechers und den Wahnvorstellungen eines Psychiaters, der an seinen eigenen Therapien erkrankt. Die Verschwörer der sechziger Jahre hatten es generell weniger auf die politische Macht als auf die neuen Reichtümer der prosperierenden Wirtschaft abgesehen. Sie folgten weniger der ideologischen Verblendung als der kapitalistischen Gier. Zur gleichen Zeit aber verloren die einstigen Helden der Gegenverschwörung den Boden unter den Füßen. „Der Spion, der aus der Kälte kam“ (1965) war ein psychisches Wrack, dem das Geheimdienst-Spiel Moral und Hoffnung geraubt hatte.
Das „Cinema di denuncia“, das Kino der Anklage in Italien, zeigte immer wieder das Scheitern der Aufklärung und des Gesetzes an der mafiösen Struktur der Gesellschaft. Das Gift von Erpressung, Gewalt und Korruption hat hier schon alle Systeme der Gesellschaft erfasst, die Macht des organisierten Verbrechens reicht in den Filmen von Francesco Rosi oder Damiano Damiani bis tief hinein in Politik, Justiz, Polizei, Kirche und Gewerkschaft. Aus der Verschwörung ist Struktur geworden und aus der Krankheit die Grundlage einer Gesellschaft. Ganz anders als im US-amerikanischen Film hat hier der aufrechte Einzelkämpfer keine Chance. Deutlicher als in anderen europäischen Ländern wurde im italienischen Verschwörungsthriller der sechziger und siebziger Jahre auf den Preis der wirtschaftlichen und politischen Modernisierung hingewiesen. Das Wirtschaftswunder war erkauft mit einer doppelten Struktur der Macht, und die Anklage ging schließlich so weit, der italienischen Regierung postum in „Die Affäre Aldo Moro“ (1986) zu unterstellen, man habe den Tod des von den Brigate Rosse entführten Politikers billigend in Kauf genommen.

„Der Dialog“ (© StudioCanal)
In den siebziger Jahren hatte der Verschwörungsthriller wohl am ehesten ein kritisches, politisches Bewusstsein entwickelt. Francis Ford Coppola zeigte in „Der Dialog“ (1974) das zerstörerische Potenzial eines kommenden Abhör- und Überwachungsstaats, lange bevor er gleichsam zur resigniert hingenommenen allgegenwärtigen Wirklichkeit wurde. Gene Hackman ist ein Abhörspezialist, der sein Metier perfekt beherrscht, vielleicht zu perfekt, denn als er dabei zufällig einen Mord enthüllt, gerät er zuerst in ein moralisches Dilemma und danach in die Fänge seiner Auftraggeber. Am Ende hat er auf der Suche nach Abhörgeräten seine eigene Wohnung zerlegt und sitzt einsam und geschlagen im Badezimmer, und nur das Saxophon ist ihm als Ausdrucksmittel geblieben, weil jedes Wort zum Verrat werden muss.
Im Kino der achtziger Jahre herrschte trotzige Härte und Ernüchterung. In den „Die Hard“-Filmen musste Bruce Willis immer wieder als Einzelner gegen terroristische Verschwörungen antreten, von denen sich mit schöner Regelmäßigkeit herausstellte, dass die ideologische Ausrichtung nur Tarnung war für Verbrecher, denen es am Ende nur um eins ging: ums Geld. Umgekehrt wurden etwa die Verschwörungen der Linksterroristen aus der „Bleiernen Zeit“ einer kritischen, eher psychologischen Untersuchung unterzogen. Bis hin zu Volker Schlöndorffs „Die Stille nach dem Schuss“ aus dem Jahr 2000 reihen sich Versuche, sowohl die linke als auch dann die rechte terroristische Szene als Verschwörung der verlorenen Kinder zu verstehen.

„JFK“ (© 20th Century Fox)
Das letzte Stadium schien ein Angriff auf die materielle Wirklichkeit selbst. Die einen, wie der Protagonist in David Finchers „Fight Club“ (1999), verfielen ihrem paranoiden Wahn, die späten Nachfolger von James Bond, wie ein gewisser Bourne, verloren Identität und Erinnerung, und die nahe Zukunft schien, wie in der „Matrix“-Serie, eine einzige Simulationswelt bereitzuhalten. Aber dieses Spiel mit der Wirklichkeit hatte früher begonnen. Roman Polanski hatte in „Rosemary’s Baby“ (1968) das Modell dafür geliefert, indem er für seine Geschichte zwei Lesarten anbot: Die eine ist die von einer Sekte von Teufelsanbetern, die sich verschworen haben, das arme Kind der Titelheldin für die Wiederkunft ihres satanischen Herrn zu missbrauchen. Die zweite Lesart ist die von einer jungen Frau, die, von der bevorstehenden Geburt, einer Beziehungskrise und dem Leben in der Stadt überfordert, einem Verfolgungswahn verfällt und ihre Umwelt mit den Dämonen ihres Inneren füllt. Genauer, vielleicht auch zynischer, kann man kaum das Verschwörungsfantasma als Bruch zwischen Psyche und Welt beschreiben. Und welche Kraft dabei die stärkere ist, bleibt offen.
Die Welt als Verschwörung spielte auch in den Filmen des neuen Jahrtausends wieder eine Hauptrolle. Nach den Bestsellern von Dan Brown und mit Tom Hanks in der Rolle eines berühmten „Symbolologen“ wurden noch einmal alle Muster klassischer Verschwörungsfantasmen bis zur Karikatur durchgespielt (einschließlich der in der „Mona Lisa“ verborgenen Geheimbotschaften). Parallel dazu waren die Filme der „Mission: Impossible“-Serie mit Tom Cruise vergleichbar erfolgreich. Das Gegenbild dazu lieferten die Verschwörungsthriller, die aus dem „Scandinavian Noir“ ins Weltkino kamen: In der berühmten Trilogie von Stieg Larsson, die sowohl eine europäische als auch eine US-amerikanische Verfilmung erlebte, verbindet sich, düster genug, die Verschwörungsfantasie mit dem Familienroman. Und vielleicht offenbart sich darin eine weitere psychische Quelle des Genres. Noch bis in die märchenhaften „Star Wars“ reicht die Gleichung von Familiengeheimnis und (kosmischer) Verschwörung.

„Homeland“ (© Showtime)
III
Auch das Genre des Verschwörungsthrillers ist aus verschiedenen Komponenten und Neben-Motiven zusammengesetzt, die einmal dominant im Vordergrund stehen, das andere Mal im Hintergrund wirken. So tritt manchmal ganz direkt der Spiel-Charakter in den Vordergrund, wie etwa in David Finchers „The Game“ (1997), wo Michael Douglas von seinem Bruder zu einem Psychospiel eingeladen wird, in dem sich die Realität vollkommen in der Spielhandlung verliert. Damit verbunden ist das Spiel der Decodierungen und der Geheimbotschaften. In „Das Mercury Puzzle“ (1998) hat der US-amerikanische Geheimdienst NSA einen neuen Supercode entwickelt, der nach den Vorstellungen seiner Schöpfer von keinem Menschen und keinem Computer geknackt werden kann. Ein Test soll helfen, die Sicherheit des Codes zu beweisen. Er wird in einem öffentlichen Rätsel mit dem (bescheidenen) Versprechen eines Zeitschriftenabos zur Lösung angeboten. Der einzige, der den Code knackt, ist ein autistischer neunjähriger Junge. Der gerät prompt ins Fadenkreuz der verschworenen Entwickler. Schließlich spielt man schon im Jahr 1990 mit der Konstruktion des von der Verschwörungsparanoia befallenen Menschen: In „Conspiracy Theory“ erscheint Mel Gibson als der typische, von Verschwörungstheorien besessene Wirrkopf, dem entsprechend auch die Staatsanwältin (Julia Roberts) keinen Glauben schenkt, bis sich die Mord-Agenten auch an ihre Fersen heften. Alle diese Filme haben einen gewissen post-mortem-Effekt des Genres Verschwörungsthriller aufzuweisen. Das Spiel ist enttarnt, die Krankheit ist benannt, der soziale Effekt zum Klischee geronnen. Und doch ist das Fantasma nicht verschwunden. Es erhebt sich im Gegenteil an den Rändern zu neuer Kraft. Das Verschwörungsfantasma überlebt seine Überwindung in der Mitte (der neue James Bond glaubt weder an geschüttelte oder nicht gerührte Martinis noch an die Sinnhaftigkeit seiner Mission, er ist ein klassischer Held des Trotzdem-Weitermachens geworden), indem es an den Rändern umso heftiger hervortritt.
Das Misstrauen gilt zunächst der Politik. Der amerikanische Präsident als Zentrum politischer Verschwörung zum Beispiel ist ein allzu attraktives Thema, um nicht immer wieder aufgegriffen zu werden: Im Zweifelsfall zettelt da ein Präsident, wie in „Wag the Dog“ (1997), schon mal einen Krieg an, um von den eigenen Verfehlungen abzulenken. Ansonsten erzählt das amerikanische Kino von Mordkomplotten, Sex-Affären oder Entführungen, die allesamt von verschwörerischen Machenschaften gedeckt werden. Auch die Ermordung von Abraham Lincoln wird retrospektiv als Komplott nachgestellt, so in „Die Lincoln-Verschwörung“ (2010).

„Vergiftete Wahrheit“ (© Tobis Film)
Nicht ganz so nahe an der konkreten Wirklichkeit, aber durchaus prophetisch, war 1978 „Coma“ von Michael Crichton, in dem eine junge Ärztin einem Komplott um Koma-Patienten auf die Spur kommt, denen die Organe entnommen werden. Natürlich geht es mittlerweile vorrangig um die globalen Elektronikfirmen, von denen Verschwörungen ausgehen, wie in „Start Up“ (2017).
Wenn wir in solchen Filmen der Wirklichkeit schon beinahe in dokumentarischer Form nahekommen, bleiben die fantastischen Variationen doch ebenso wirkungsvoll. Auch hier gibt es eine Reihe von Grundmodellen:
Die gewohnte Wirklichkeit ist eine Machination von mächtigen Kräften, eine umfassende Simulation wie in „Matrix“ oder die Simulation einer kleinen, überschaubaren Welt wie in der „Truman Show“.
Fremde aus dem Weltall haben unsere Welt schon unterwandert und müssen aufgespürt werden wie in „Akte X“ oder „Men in Black“. Sie haben die Menschen mit unterschwelligen Botschaften im Griff wie in „They Live“ oder übernehmen die Menschenkörper, wie in den zahlreichen Varianten der „Körperfresser“-Geschichte.
Denkende und handelnde Maschinen verschwören sich gegen die Menschen, revoltieren, führen Kriege und täuschen. Sie schicken den „Terminator“, um menschlichen Widerstand im Keim zu ersticken, sie brechen die ehernen Gesetze der Robotik wie in „I, Robot“, und seit Fritz Langs „Metropolis“ bis hin zu „Eva“ gibt es die verführerische Schönheit der Maschinenfrau, während in den Varianten der „Stepford Wifes“ die unbotmäßigen Vorstadt-Ehefrauen durch perfekt funktionierende androide Duplikate ersetzt werden.
Digitalisierung, Privatisierung und Globalisierung, die Triebkräfte des Neoliberalismus, haben auch das Genre des Verschwörungsthrillers verändert. Der Angriff kommt aus den Netzen, er wird politisch und ökonomisch gleichermaßen verstärkt und er gilt der letzten Bastion der Freiheit: der Identität. Der Mensch, der nicht einmal wie Jason Bourne ein Agent sein muss, wacht eines Morgens auf und weiß nicht mehr, wer er ist. Oder er begegnet sich selbst, vielleicht wie in „Moon“ auf einer Weltraumstation. Irgendjemand, irgendetwas muss doch die Fäden in diesem Spiel ziehen, irgendjemand, irgendetwas muss doch wissen, wohin das alles führen soll… Es gibt etwas, was schlimmer ist als eine Verschwörung, hinter der fremde Mächte oder korrupte Instanzen der eigenen Kultur und Ökonomie stecken, schlimmer als die Verschwörungen von Außerirdischen, gefallenen Göttern, wiederkehrenden Illuminati oder teuflisch intelligenten Maschinen: Verschwörungen, hinter denen nichts und niemand steckt, außer das Prinzip Verschwörung selbst.
IV
In den Szenen und Demonstrationen, die in der Corona-Krise als „Querdenker“ und „Corona-Leugner“ entstanden, zeigt sich auf eine besonders drastische Weise, wie sehr auch moderne Gesellschaften wie die unsere für ein toxisches Ausbreiten von Verschwörungsfantasmen anfällig sind. Natürlich taucht dabei rasch die Frage auf, wie sehr das Kino, wie sehr, allgemeiner gesprochen, Erzählungen und Bilder der Pop-Kultur Anteil an der Verbreitung haben.
Der Frage ist mit einer einfachen Gleichung wohl nicht beizukommen. Auf den ersten Blick erscheinen die derzeit kursierenden Verschwörungsfantasien gegenüber den immer komplexer und gebrochener werdenden Narrativen aus den entsprechenden Filmen und Serien geradezu erschreckend einfältig, gleichförmig und ignorant. In der Fixierung auf die immer gleichen Bilder und immer gleichen Chiffren ist nichts mehr von der Spiel-Fantasie, der Decodierungslust, den sinnlichen Rückkopplungseffekten (die Verschwörung, die als Spiegel deines Inneren kenntlich wird) oder der kritischen Intention zu spüren (vom blitzraschen Andocken der verbreiteten Verschwörungsfantasmen an rechtspopulistische, antidemokratische und gar antisemitische Ideologien gar nicht zu reden). Weder gibt es hier das freie Spiel der Fantasie noch den Zweifel an den Frontverläufen zwischen Gut und Böse, sodass man den gängigen Verschwörungserzählungen sowohl den Anspruch einer „Theorie“ als auch den einer „Fantasie“ absprechen müsste.
Ist das Kino, ist die Pop-Mythologie also fein raus? Ganz so einfach ist es auch wieder nicht. Wenn die Annahme stimmt, dass Verschwörungserzählungen als (pop)kulturelle Ablösungs- und Befreiungsfantasien wirken, so wie es einst Bruno Bettelheim für das Märchen insgesamt diagnostiziert hat (so setzen wir „Kinder brauchen Märchen“ mit „Jugendliche brauchen Verschwörungsfantasien“ fort), dann schöpfen beide, sowohl die fiktional-spielerischen bis skeptisch-dokumentarischen als auch die „realen“, vernetzten und politisch instrumentalisierten Verschwörungsfantasien, aus derselben Quelle psychischer Energie. Die Verschwörungsfantasie ist eine Reise (zurück) an einen bestimmten Punkt der Entwicklung einer Person und ihres Verhältnisses zur Welt, eine hier lustvolle und dort zwanghafte Regression. Und dasselbe gilt für den Status einer politischen Kultur. Sogar dort, wo die wirklichen (kleinen und nicht mehr ganz so kleinen) Verschwörungen in der Wirklichkeit auftauchen, können wir nicht umhin, das Unreife in ihnen zu entdecken. Verschwörungen in einer demokratisch-humanistisch-aufklärerischen Welterzählung sind ein zivilisatorischer Rückfall. Sie sind auf tückische Weise kindisch.
Ein möglicher Schnittpunkt der kinematographischen und der realen Verschwörungsfantasie ist daher in einem anderen, schillernden Passepartout-Wort zu finden: Infantilisierung. In der Verschwörungsfantasie steckt der Übergang vom kindlichen Urvertrauen zum erwachsenen Selbstvertrauen. Und es steckt die Gefahr darin, in dieser symbolischen Transition hängen zu bleiben. Die Welt als Verschwörung sieht, wer ursprüngliches Vertrauen verloren hat, Vertrauen in die eigene kritische Wahrnehmung und kommunikative Reflexion aber nicht gewonnen hat. Im Kino kann das eine kathartische, erregend-lustvolle Rückbindung sein. In der Wirklichkeit ist es ein Desaster.
Dieser Beitrag erschien zuerst in: Aus Politik und Zeitgeschichte 35-36/2021
Georg Seeßlen, geboren 1948, Publizist. Texte über Film, Kultur und Politik für Die Zeit, Der Freitag, Der Spiegel, taz, konkret, Jungle World, epd Film u. v. a. Zahlreiche Bücher zum Film und zur populären Kultur, u. a.: Martin Scorsese; Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität (zusammen mit Markus Metz); Tintin, und wie er die Welt sah. Fast alles über Tim, Struppi, Mühlenhof & den Rest des Universums; Liebe und Sex im 21. Jahrhundert; Das zweite Leben des ›Dritten Reichs‹. (Post)nazismus und populäre Kultur (3 Bände); Trump! Populismus als Politik; Der Rechtsruck; Coronakontrolle. Nach der Krise, vor der Katastrophe. Kürzlich erschien von ihm Wir Kleinbürger 4.0 bei der Edition Tiamat.