„Superhero fatigue“: Dieser Kampfbegriff wurde einst in Stellung gebracht, um den angeblichen Ermüdungszustand angesichts des Flächenbombardements der Kinos durch Comicfilme zu benennen und eine aufkommende Blockbuster-Monokultur zu attackieren. Von Fatigue aber keine Spur, wie der Hype um den 22. Eintrag ins Avengers-Franchise beweist. Der heißt zwar „Avengers: Endgame“. Schluss mit lustig ist aber nicht. Oder doch, weil Marvel seit dem Vorgänger „Avengers: Infinity War“ neuerdings einen ausgesprochenen Miserabilismus pflegt, davor war eher lockere Nabelschau-Ironie angesagt.
Dieser erste Abschlussfilm der dritten Phase des Marvel Cinematic Universe bestach durch ostentatives Zurschaustellen von Folter, Leid und Elend. Das sollte ihm Gravitas verleihen, uns vermitteln, dass viel auf dem Spiel steht: etwa das Leben der halben Bevölkerung des Universums und der Heldentruppe, die das lila Ungetüm Thanos im Desaster-Showdown mit einem Fingerschnipp in Pixel-Asche aufgelöst hat.
Ende der Helden
Seit „Iron Man“ 2008 den Urknall des MCU initiierte, hat es das bunte Team auf eine stattliche Anzahl gebracht. Mehr als zwanzig Comic-Charaktere versammelten sich 2018, um ihren Erzfeind daran zu hindern, alle Infinity Stones zu sammeln. Erfolglos: Schließlich gelang Thanos‘ Mission, und er ward unbesiegbar.
Disney hat es also auf eine Totalinventarisierung des Figurenrepertoires abgesehen, für einige der Stammcrew wird es aber vermutlich der letzte Einsatz sein. Fraglich, ob Chris Evans (Captain America) oder Robert Downey Jr. (Iron Man) weiter die (zumindest tonangebenden) Helden spielen werden. Dafür machen sie Platz für neue Heroen aus dem Comic-Kosmos, an denen man sich noch nicht sattgesehen hat. Thanos‘ Vernichtungsfeldzug bedeutet also wahrscheinlich eine Frischzellenkur fürs Franchise. Und nicht nur darin ähneln sich seine und Disneys Interessen. Denn wie er hat auch das Maushaus vor, eine Macht zu erringen, die alle anderen Player überschatten soll. Wie Thanos Steine sammelt Disney Studios: 20th Century Fox, Lucasfilms, Pixar und Marvel.Monopolist macht Druck
Der Möchtegernmonopolist kann mit seiner Marktstellung auch mächtig Druck auf die Kinos ausüben, mehr Prozente vom Ticketpreis oder ein Exklusivrecht auf die größte Leinwand erpressen. Sonst gibt’s keine Jedis oder Avengers. Das kann sich kein Kino leisten, zumal Disneys Produkte laufend Kassenrekorde brechen. Die meisten Vorverkaufstickets innerhalb von 24 Stunden, der vermutlich teuerste Film (womöglich ein 400-Millionen-Dollar-Budget) und das gewinnbringendste Startwochenende aller Zeiten (über 700 Millionen Dollar werden prognostiziert): Wo das Franchise seit „Infinity War“ Miserabilismus zelebriert, beweist es mit „Endgame“ vorab, dass sich auch der Franchise-inhärente Maximalismus immer noch steigern lässt.
Kein Wunder, denn wenn sich die Heldinnen und Helden 20 Filme lang auf die finale Konfrontation vorbereiten und sich die Reihe seit mehr als einer Dekade auf einen Kulminationspunkt zubewegt, müssen große Erwartungen geschürt und erfüllt werden. Und zwar die vieler Kinogänger.
Fast unentdeckter Böser
Als der Oberbösewicht, auf den Captain Marvel, Hulk, Ant-Man usw. nun das letzte Mal treffen werden, in einer Mid-Credit-Szene von „Iron Man“ dem Publikum erstmals entgegengrinste, wussten die wenigsten, wer das überhaupt sein soll, sofern sie überhaupt so lange im Saal verharrt haben. Heute ist das Sitzenbleibritual während des Abspanns allerdings längst Standardisierte Konsumpraxis, Zuschauer sind schon lange zu kategorischen Fans umfunktioniert. Seit 2008 haben sie einen Crashkurs in Sachen Nerd-Wissen erhalten, ohne den die Ensemblefilme ja nicht wirklich zu verstehen wären. Die Story-Verästelungen, Figuren-Crossovers und Querverweise bilden ein für Außenstehende undurchdringliches Dickicht und sind auch als Strategie der Konsumentenbindung zu verstehen, die zum Nachahmen inspiriert.
Warner Bros. hat es mit DC, sprich „Wonder Woman“, „Bat-„, „Superman“ etc. mittlerweile ebenso zum Universum gebracht, nach dem Erfolg von „Venom“ will jetzt auch Sony mitmischen. Und Universal Studios ist mit „The Mummy“ auch schon wieder daran gescheitert, seinen Bestand an klassischen Filmmonstern im Dark Universe zu versammeln.Zeitalter des TV
In dieser Hinsicht lässt sich eine Marvelisierung des Kinos beobachten. Dieses steht wiederum im Zeichen des Fernsehens. Das ja, glaubt man dem Gerede vom „Golden Age of Television“, ohnehin das bessere Kino sein soll: Jeder Film eine Episode, die die nächste „teast“, inklusive „Staffel“-Finale und Cliffhanger, wie das Ende von „Infinity War“ einer ist.
Wie es nun weitergeht, ist Objekt von Fan-Spekulationen. Am ehesten wird „Endgame“ Richtung Zeitreiseplot gehen, denn Disney braucht ja die Brands, die es zerbröselt hat, noch für die Franchise-Zukunft. Eben weil das Powerhouse damit rechnen kann, dass die Ermüdung namens „superhero fatigue“ ein Schmäh ist. Nur für uns ist sie Realität. Denn nach über drei Stunden werden die meisten trotz allem ziemlich müde sein.
Dieser Text erschien zuerst am 19.04.2019 in: Der Standard
Hier findet sich eine weitere Kritik zu „Avengers: Endgame“.
Avengers: Endgame
USA 2019
R: Anthony Russo, Joe Russo – B: Christopher Markus, Stephen McFeely – P: Kevin Feige – K: Trent Opaloch – M: Alan Silvestri – V: Walt Disney – L: 182 Min – FSK: 12 – D: Chris Hemsworth, Robert Downey Jr., Chris Evans, Scarlett Johansson, Brie Larson, Karen Gillan, Elizabeth Olsen, Evangeline Lilly, Josh Brolin, Tom Holland, Don Cheadle – Filmstart: 24.04.2019
David Auer ist gelegentlicher Filmkritiker. Hauptsächlich findet man seine Texte – meist über Blockbuster und Horror – im Wiener Stadtmagazin Falter, manchmal in der Filmzeitschrift kolik.film und auf filmgazette.de.