„Sollte dieser Mann sich zurück ins Präsidentenamt agitieren, sehe ich schwarz für die Demokratie“

Das Jahr 2016 war für viele Menschen in Europa und eine den USA eine Zäsur, ein Moment, der gesellschaftliche Grundfeste und demokratische Errungenschaften in Frage stellte. In Europa war es der Brexit, der zeigte, dass xenophobe Aus-dem-Bauch-Heraus-Politik mehrheitsfähig sein kann, und in den USA stürzte die Wahl Donald Trumps die Linke und die Mitte in eine Sinneskrise. „Save It for Later“ (hier die Comic.de-Kritik) vom US-Comickünstler und Aktivisten Nate Powell ist ein Dokument dieser anhaltenden Krisenzeit. Und es ist eine Kontemplation über Elternschaft, Erziehung und den Kinderblick auf die Welt. Wie soll man den eigenen Kindern die Weltlage erklären, wenn man selbst an ihr verzweifelt?

Nate Powell ist eine Koryphäe des politischen Comics in den USA und der erste Comiczeichner überhaupt, der mit dem National Book Award prämiert worden ist. Viele seiner historischen Comics handeln von der US-Bürgerrechtsbewegung und der Geschichte der Unterdrückung in den USA. Sein größter Erfolg war die Trilogie „March“ über den kürzlich verstorbenen US-Kongressabgeordneten und Bürgerrechtshelden John Lewis. Wir präsentieren das folgende Presse-Interview mit freundlicher Genehmigung des Carlsen Verlags.

© Ben Raines

Lieber Nate Powell, danke, dass Sie sich für uns die Zeit nehmen, wir freuen uns sehr! Könnten Sie uns eingangs ein wenig erzählen, wie Sie zum Comiczeichnen kamen? Wann haben Sie das erste Mal Comics für sich entdeckt und wann wurde Ihnen klar, dass Sie als Comiczeichner Ihren Weg machen wollten?

Comics waren ein Teil meines Lebens, seit ich 2-3 Jahre alt war. Meine eigentliche Einstiegsdroge aber waren Fernsehserien: „Wonder Woman“, „Hulk“ und „Spider-Man“ – all diese Superheld*innen hatten Anfang der 1980er ihre eigenen TV-Serien. Und so kam ich übers TV-Gucken zum Comiclesen. Mit dem Comiczeichnen fing ich in den 1990ern an. 1992 habe ich – damals war ich 14 Jahre alt – meine ersten Comics selbst veröffentlicht. Auch wenn die ersten selbstverlegten Comics reine Superhelden-Storys waren, waren mein Ansatz und meine Art zu zeichnen schon früh mit der regionalen Punk- und Underground-Szene verbunden, wo ich viele andere kreative junge Leute kennenlernte, die alle selbst Musik, Zines und Comics machten. Für mich hatte das Comicmedium schon immer ein offenes, demokratisches Element, und das ist es auch, was diese Branche so attraktiv gemacht hatte. Es ist eine Kunstform, die einem als Zeichner ohne großen Aufwand und Unkosten offensteht und mit der man innerhalb von kürzester Zeit Menschen in allen Winkeln der Welt erreichen kann. Für junge Menschen wie mich damals, die am Anfang ihres Weges stehen, voller Neugier und Enthusiasmus, hat das Comiczeichnen etwas Revolutionäres…

In Ihrem neuen Buch „Save It for Later“ gibt eine Passage, in der Sie über Ihre Kinder erzählen, die mit Zeichnungen von Demonstrationen und Protesten auf Ihrem Schreibtisch aufwachsen. Die „March“-Trilogie, „Das Schweigen unserer freunde“ und nun „Save It for Later“: Sie haben viele Jahre Ihrer künstlerischen Laufbahn damit verbracht, die Geschichte der Bürgerrechtsbewegung und der historischen Kämpfe gegen Rassismus und Ungleichheit in Amerika zu erzählen. Was treibt Sie an, wenn Sie sich mit diesen Themen beschäftigen?

Nate Powell: „Save It for Later“.
Aus dem amerikanischen Englisch von Christian Langhagen. Carlsen, Hamburg 2021. 160 Seiten. 24 Euro

Als ich anfing, Superhelden-Comics zu lesen, waren diese Art von Comics für mich vor allem die Geschichten von jungen Außenseiter*innen, die sich zusammentaten, um gegen Unterdrückung und staatliche Willkür zu bestehen. Später kam für mich die Punk-Bewegung als Möglichkeit dazu, das Unrecht in der Welt künstlerisch aufzuarbeiten und sich zu organisieren. Das kreative, politisch-bewusste und sozial-engagierte Potential der Punk-Musik spiegelte sich auch später in meinen Comics wider: den Finger in die Wunde legen und die Probleme unserer Zeit aufzeigen und aus der Vergangenheit zu lernen. Die „March“-Trilogie erzählt ebenso über die Gegenwart der USA, wie sie in unsere Vergangenheit blickt – und inhaltlich wird die Erzählung immer relevanter. Wenn ich mich mit historischen Figuren wie John Lewis in „March“ beschäftige, dann ist mein es Verlangen, sie zu verstehen, was mich antreibt. Und das Comicmedium hilft mir, aus diesen historischen Vorbildern wirkliche, greifbare und auch fehlbare Menschen zu machen, die uns selbst näherstehen als die Ikonen aus dem Geschichtsunterricht. Gleichzeitig gibt es mir einen widerstrebenden, ambivalenten Antrieb, mich mit dem sehr menschlichen Bösen in Form der „White Supremacy“ zu beschäftigen – zu begreifen und in meinen Erzählungen zu vermitteln, dass das keine abstrakten Ungeheuer sind, sondern ganz normale Menschen, die sich für einen Weg entschiedenen haben, der Entmenschlichung, Gewalt und Zerstörung beinhaltet. Diese „Banalität des Bösen“ zu verstehen, und die Entscheidungen, die diese Menschen zu dem machen, was sie sind – das ist die Grundvoraussetzung, um sie und das, wofür sie stehen, zu überwinden.

Wann haben Sie mit der Arbeit an „Save It for Later“ angefangen und gab es einen ausschlaggebenden Moment? Welche Leserschaft hatten Sie für Ihr Buch im Blick?

Ende 2017 wurde mir allmählich bewusst, dass mein individuelles, persönliches Erleben von Amerikas verstörendem Abstieg in totalitäre Untiefen nach und nach schwächer und unbedeutender wurde. Ich hatte das Gefühl, dass die Menschen aufgaben, dass sie still und leise für sich beschlossen, dass es nicht genug öffentliches Interesse dafür gab, um die nagende Furcht, wohin sich dieses Land entwickelt, zu diskutieren. Dass niemand darüber sprach, in welchem Maße sich dieser Rechtsruck in die Familiendynamiken einschlich, wie sich das alles auf die Kinder auswirkte, die gerade erst anfingen, die Welt für sich erfahrbar zu machen. Diese Erkenntnis, dass ich auch schon anfing, mich selbst zu zensieren und bestimmte Gedanken nicht mehr zu denken, war erschreckend und deprimierend. Weil genaue diese Art der Selbstzensur Teil der Normalisierung von autoritärem Wandel ist.

Seite aus „Save It for Later“ (Carlsen)

Ich griff, wie so oft, zu Comics als meinen Rettungsanker. Comiczeichnen half mir, meine Gedanken zu ordnen und die Entwicklungen in meinem Land besser zu verstehen und zu verarbeiten, bevor ich sie ins Unterbewusstsein verdrängen konnte. Anfang 2018 hatte ich so viel gezeichnet, dass sich langsam ein Buch daraus formte. Ich beschloss, die Comic-Essays zu sammeln als eine Art Comic-Kurzzeitgedächtnis-Dokumentation in Echtzeit. Als Comicerzähler bin ich normalerweise nicht daran interessiert, autobiografisch zu arbeiten und mich selbst zum Gegenstand meiner Erzählungen zu machen. Aber ich habe schnell begriffen, dass meine Erfahrungen sehr universell waren, dass es vielen Leuten so wie mir erging.

„Save It for Later“ war für mich eine Möglichkeit, meine Erfahrungswelten und die Augenblicke des (Ver)Zweifelns zu verifizieren und gleichzeitig zu zeigen, dass politische Umwälzungen und sozialer Verfall kein abstrakter Prozess sind, sondern sich im privaten Raum zwischen wirklichen Menschen abspielen. Lange Rede, kurzer Sinn: Ich habe diese Comicessays für mich selbst gezeichnet. Aber ich denke, dass die Dynamiken zwischen der Eltern- und der Kindergeneration, die ich in dem Buch untersuche, eine allgemein gültige Wahrheit beinhalten. Und so ist es ein Buch für alle Generationen geworden: für Jugendliche, die mit älteren Menschen im Dialog sind, oder Erwachsenen, die mit ihren Kindern kommunizieren und mit ihnen über die Zerbrechlichkeit unserer Werte und unseres Systems sprechen wollen.

Gibt es im US-amerikanischen Comic eine Tradition von Comics und politischem Aktivismus? Und inwieweit beziehen Sie sich darauf?

Es gibt definitiv viele Beispiele für Comics, die eine soziale oder politische Agenda verfolgen, auch wenn sie sicherlich mehr im Independent-Bereich anzutreffen sind. Von einflussreichen Comic-Memoiren wie „Maus“ und „Persepolis“ über Punk-beeinflusste Arbeiten wie die der langjährigen Anthologie „World War III Illustrated“ oder den Comics von Seth Tobocman bis zu den außergewöhnlichen Büchern von Eric Drooker wie „Flut!“. Jüngere Beispiele wären die unglaublich populären Coming-of-Age-Comics von Raina Telgemeier oder eben auch meine eigene „March“-Reihe. All diese Comics haben den Weg bereitet für jüngere Comicschaffende, und ich bin sehr stolz, dass ich meinen kleinen Teil dazu beitragen konnte, der nachfolgenden Zeichner*innen-Generation den Zugang zu diesen Themen und dem Publikum, das ich und andere über die Jahre aufgebaut haben, zu erleichtern.

Seite aus „Save It for Later“ (Carlsen)

Man sollte aber auch nicht außer Acht lassen, dass das politische Material nur einen gewissen Prozentsatz meiner Arbeit ausmacht. Die Hälfte von meinen Erzählungen sind schräge, magisch-realistische Storys. Das Comicmedium ist eine Spielwiese für unzählige künstlerische Ausdrucksweisen. Und meine seltsamen fiktionalen Erzählungen speisen sich ebenso aus meinem sozialen und politischen Engagement, wie sich meine Non-Fiction-Comics auf subjektive und persönliche Erfahrungen und Erinnerungen stützen.

Es gibt natürlich auch Comics, die den gegenteiligen Effekt haben und rassistische Stereotype bedienen und antidemokratisches Gedankengut fördern. In einem Kapitel in „Save It for Later“ sprechen Sie zum Beispiel darüber, wie der Punisher, eine gewalttätige Vigilanten-Figur aus dem Marvel-Comics-Fundus, und sein Logo unter amerikanischen Rechten populär geworden sind. Welche Rolle spielen Comics dabei, negative Trends in der Gesellschaft zu begünstigen und setzt sich die Comic-Industrie mit diesen Phänomenen auseinander?

Ich glaube, ich muss an dieser Stelle fast eine Lanze brechen für den Punisher. Gegen die Figur an sich habe ich nichts. Man muss wissen, dass obwohl das ikonische Punisher-Totenschädel-Logo seit 2013 vielerorts in die der amerikanischen Kultur Einzug erhalten hat, es wohl nur Comic-Nerds wie wir sind, die es überhaupt als Comic-Symbol erkennen oder es mit der Punisher-Figur verbinden. Das Logo wurde komplett abgekoppelt von der Comicvorlage und neu kontextualisiert, einer der Gründe, warum es als Symbol für mich so faszinierend war.

Als visuelles Massenmedium wurden Comics definitiv immer wieder auch eingesetzt, um rassistische und kulturelle Stereotype zu verbreiten. Ein frühes Beispiel dafür wäre gleich in der Anfangszeit des Comics, als Superhelden-Comics während des Zweiten Weltkriegs explizit oder indirekt als Propagandamittel genutzt wurden, um den Zuspruch für die Kriegsbemühungen zu steigern. Ein Aspekt dieser Comiczeichnungen im Staatsdienst waren das rassistische Verunglimpfen des japanischen Gegners und die heute noch eigesetzten rassistischen Karikaturen von Menschen dunkler Hautfarbe. Wenn man heute auf die Zeit des Zweiten Weltkriegs zurückblickt, dann sticht es schon ins Auge, wie heuchlerisch es war, mit rassistischen Stereotypen gegen die mörderischen Faschisten in Nazi-Deutschland in den Kampf zu ziehen, und natürlich auch, wie omnipräsent diese Vorurteile in Amerikas (vielleicht) rassistischster Ära zwischen 1890-1940 in der Bevölkerung waren.

Seite aus „Save It for Later“ (Carlsen)

Auch viele der Underground-Comix der 60er und 70er (vor allem die von Robert Crumb) sind in dieser Hinsicht nicht wirklich schön gealtert, aber hier würde ich argumentieren, dass man diese Comics im Kontext der Kultur und der Symbole der 60er lesen und bewerten muss. Für mich sind viele dieser Comics eine Art Zerrbild der hässlichen Gesellschaft ihrer Zeit. Zeichner wie Crumb haben, so wie es der Punk später auch gemacht hat, rassistische und sexistische Ikonographie überhöht und sie den Leser*innen als Spiegel ihrer eigenen Hässlichkeit vorgesetzt. Und für mich können beide Fakten ko-existieren: die Underground-Comix haben wichtige kulturelle Arbeit geleistet UND viele von ihnen sind nicht gut gealtert. Wir haben das Glück, dass wir in einer Zeit leben, in der sich immer mehr Menschen unterschiedlichster Herkunft Gehör verschaffen können. Und auch das Comic-Medium befindet sich in einem demokratischen Wandel, was ich mehr als begrüße.

Bleiben wir noch kurz bei dem Punisher-Logo: Sie sprechen in Ihrem Comic viel über Symbole, Flaggen und andere Formen der Ikonographie. War war es Ihnen wichtig, diese grafisch-gestalterischen Ausdrucksweisen des politischen Extremismus zu beleuchten?

Es war mir wichtig, diesen ästhetischen Verbindungslinien zu folgen, weil ich das Gefühl hatte, dass diese Art von Symbolen seit 2016, 2017 für diese politischen Strömungen immer wichtiger wurden, aber sich bislang noch niemand die Mühe gemacht hatte, autoritäre und paramilitärische Symbole aus einer popkulturellen Perspektive zu analysieren. Für mich war dieser Zusammenhang glasklar. Und ich wollte etwas dazu lesen, einen Essay oder so, der diese Verbindungen zwischen Popkultur und rechter Ikonographie aufdeckte. Und weil es das den nicht gab, habe ich es ihn halt selbst gemacht.

Die Gefahr in dieser Art der grafische Selbstdarstellung ist, dass diese Symbole für das ungeübte Auge so alltäglich und allgegenwärtig wirken. Das hat natürlich Methode – so können die Faschisten sich mehr in unserer Mitte breitmachen und gleichzeitig ihre Präsenz kaschieren.

Ich fand es interessant, dass Sie in Ihrem Buch die sozialen Medien in Ihrer Analyse der politischen Lage in den USA weitgehend ausklammern. Gab es dafür einen besonderen Grund?

Im Laufe des letzten Jahrzehnts habe ich mich ausgiebigst mit der Rolle, die soziale Medien in unserer Gesellschaft spielen, beschäftigt und viele Werke dazu gelesen. Ich hatte das Gefühl, dass zu diesem Aspekt schon viel geforscht und gesagt wurde, und ich dem wenig Neues hinzuzufügen hätte, außer vielleicht der Reflexion meiner eigenen Rolle als Medienkonsument. Nach 2016 habe ich meinen Social-Media-Konsum drastisch reduziert, um nicht komplett verrückt zu werden. Nicht zuletzt auch, weil sich nach den Wahlen herausstellte, dass viele der Tweets, auf die ich im Wahlkampf reagiert und mit denen ich interagiert hatte, Teil der manipulativen Kampagne von Cambridge Analytica und Facebook waren, als sie zwischen 2014-2016 aus Profitgier unsere demokratische Grundordnung demontierten. Im Grunde hatten aber soziale Medien während der Trump-Jahre weniger Einfluss auf mein Leben als das tatsächliche Erleben des sozialen Verfalls und des Rechtsrucks während meiner Lesereisen quer durch die USA. Soziale Medien spielten für mich und die Entstehung des Buchs weniger eine Rolle als die Unterhaltungen mit meinen Kindern und das Hineinversetzen in ihre Perspektive und ihre Fragen zum Stand der Welt.

Seite aus „Save It for Later“ (Carlsen)

Und letztlich musste ich mich auch der Einsicht stellen: Wenn man versucht, einen bestimmten Zeitabschnitt in einem Buch einzufangen, wird man niemals alle Aspekte dieser Zeit abdecken können. Während der Arbeit an dem Buch, hat sich mein Fokus ständig verschoben und neu justiert und das Buch konnte nur das abdecken, was mich in dieser Phase meines Lebens interessiert hat.

„Save It for Later“ ist die Geschichte der vier Trump-Jahre, Sie beenden Ihre Narration aber im August 2020, etliche Monate vor den Wahlen 2020. War es Ihnen schwergefallen, einen passenden „Schlusspunkt“ für Ihre Graphic Novel zu finden? Und warum haben Sie sich für den Sommer 2020 als das Finale Ihre Erzählung entschieden und nicht noch den Ausgang der Wahlen abgewartet?

Tatsächlich habe ich mit dem geplanten Teil des Buchs schon im Januar 2020 abgeschlossen, kurz bevor die Covid-Krise begann und die Welt in den Lockdown ging. Dann habe ich von Juni-August noch das Kapitel „Tornado-Kinder“ nachgeschoben, um die Ereignisse der ersten Covid-Zeit festhalten zu können. Zu diesem Zeitpunkt war die Deadline, zu der das Buch in den Druck musste, November 2020, wenige Tage vor den Wahlen. Ich stand also vor einer schweren Entscheidung. Ich wollte, dass das Buch relevant und allgemeingültig zu lesen ist, unabhängig vom Ausgang der Wahl. Seine zentrale Botschaft sollte losgelöst von der Amtszeit Donald Trumps zu verstehen sein: die systematisch Krise unserer Werte und die Fragilität unseres politischen Systems, die es ermöglichten, faschistische Tendenzen zu normalisieren und einen so widerwärtigen Menschen wie Donald Trump zum Kopf unserer politischen Kaste zu erheben. Ich habe also das Kapitel „Tornado-Kinder“ nachgereicht und dann den Rest meiner Essays so überarbeitet und lektoriert, dass sie inhaltlich Bestand haben würden, egal, ob Biden oder Trump die Wahlen gewinnen würde. Für mich sind das Buch und seine Botschaft zeitlos, und ich denke, dass das Leser*innen in zehn oder zwanzig Jahren ähnlich sehen werden.

Wir nähern uns gerade dem Ende des ersten Amtsjahres von Präsident Biden. Das Jahr 2021 hat mit der Stürmung des Capitol-Gebäudes am 6. Januar begonnen, und die Gesellschaft wirkt auch ein Jahr nach Trump so gespalten wie eh und je. Was erwarten Sie vom Rest der Biden-Regierungsperiode und wie optimistisch blicken Sie in die Zukunft?

Nicht sehr… Das politische Establishment scheint das Ausmaß der Krise immer noch nicht begriffen zu haben, und mir ist bewusst, dass das politische Erbe Trumps nicht einfach von selbst verschwinden wird. Für mich liegt die gesellschaftliche Entwicklung, die ich in „Save It for Later“ dokumentiere, noch nicht hinter uns. Wir werden die nächsten zehn Jahre daran arbeiten müssen, die faschistischen Kräfte aus der gesellschaftlichen und politischen Mitte wieder zurückzudrängen. Man kann schon beobachten, wie viele weiße Amerikaner*innen wieder so tun, als wäre nie etwas passiert – das ist die gefährlichste Phase, weil sie es den autoritären Kräften erlaubt, Wurzeln zu schlagen und zum Teil unserer Normalität zu werden. Aber wem erzähle ich das? Meine Freundinnen und Freunde in Deutschland wissen besser als alle anderen, wohin diese Entwicklungen führen können. Es wird immer Menschen geben, denen antidemokratischer und faschistischer Wandel nichts ausmacht, weil er nichts oder wenig an ihrem Alltag ändert.

Es gibt aber natürlich auch Hoffnungsschimmer. Ein positiver Aspekt dieser Krise ist, dass es immer offensichtlicher wird, dass die White-Supremacy-Ideologie des 20. Jahrhunderts überholt ist. Eine Minderheit klammert sich verzweifelt an die Überreste ihres eingebildeten Herrschaftsanspruchs, während die Mehrheit der Gesellschaft sich weiterentwickelt. Diese Minderheit weiß das, und sie hat nichts zu verlieren – während der Rest der Bevölkerung, die überwältigende Mehrheit, alles zu verlieren hat, wenn man diese Ideologie nicht wieder zurückdrängt unter den Stein, unter dem sie hervorgekrochen ist. Auf die Gefahr hin alarmistisch zu klingen: Sollte dieser Mann sich wieder zurück ins Präsidentenamt agitieren, sehe ich schwarz für die amerikanische Demokratie. Das dürfen wir nicht zulassen!

Seite aus „Save It for Later“ (Carlsen)