Aufklärung mit Unterhaltungswert – „Busengewunder“

Wer bei dem Begriff „feministische Kolumne“ an wütende Kampfreden denkt, wird bei den Comic-Episoden von Lisa Frühbeis, geboren 1987, eines Besseren belehrt. Zwischen 2017 und 2019 erschienen ihre persönlichen Beobachtungen des Alltags monatlich im Sonntagsmagazin des Tagesspiegel. Nun sind sie unter dem Titel „Busengewunder“ bei Carlsen in einem Sammelband erschienen.

Für diejenigen, die sich bisher noch nicht mit Feminismus beschäftigt haben und mit der Ungleichheit zwischen Männern und Frauen noch nicht in Berührung gekommen sind, sind die Kolumnen ein guter Einstieg in die Thematik. Unterhaltsam und witzig geleitet die sympathische Protagonistin die Leserinnen und Leser durch ihren Alltag und macht sie Stück für Stück mit der Position der Frau in der heutigen Gesellschaft bekannt.

In ihren 30 Episoden verbindet Frühbeis geschickt Autobiografisches mit Einblicken zum Beispiel in die Geschichte des Büstenhalters oder das nicht ganz neutrale Gesetzbuch. Sie gibt ihren eigenen Erfahrungen als Frau Raum und verleiht ihnen durch wissenschaftliche Fakten und Studien Tiefe und Relevanz.

Lisa Frühbeis (Autorin und Zeichnerin): „Busengewunder. Meine feministischen Kolumnen“.
Carlsen, Hamburg 2020. 128 Seiten. 15 Euro

In einem Interview erzählte sie kürzlich, dass sie von der etwa einwöchigen Arbeit an einer Episode etwa zwei Tage mit Recherchen verbringe. Damit bietet sie ihren Lesern zusätzlich zum Unterhaltungswert der Kolumnen auch lehrreiche Inhalte und greift eventuellen Vorwürfen, dass es sich hier lediglich um ihre subjektive Sichtweise handele und nicht um fundierte Inhalte, voraus.

Rosa und Hellblau für Genitalnamen

Lebendig, leicht und schnörkellos kommen Gestaltung und Aufmachung daher. Jede Kolumne hat ein eigenes Farbschema. Die schwarzweißen Zeichnungen erhalten in der Regel durch zwei Farben Dynamik und Tiefe.

Frühbeis verwendet Farben sparsam, um Unterschiede zu verdeutlichen, zum Beispiel Rosa und Hellblau für weibliche und männliche Genitalnamen oder zur visuellen Abgrenzung von historischen oder juristischen Einschüben. Die Panels sind teils schwarz gerahmt, teils heben sie sich nur durch ihre farbliche Fassung von der Seite ab.

„Busengewunder“ wurde jetzt auch für einen Max-und-Moritz-Preis nominiert, die alle zwei Jahre beim Internationalen Comic-Salon Erlangen vergebene Auszeichnung für die besten Comics aus dem In- und Ausland. Da der Salon in diesem Jahr wegen der Coronakrise ausfallen musste, wird die Preisverleihung am 10. Juli online durchgeführt. Auf der Website des Comic-Salons finden sich alle 25 nominierten Titel für die Auszeichnungen.

Beinbehaarung, Frauenquote, Gender Pay Gap und die Periode

Lisa Frühbeis arbeitet als Graphic Recorder, sie fertigt live gezeichnete Protokolle von Veranstaltungen an. Ihr Zeichenstil in den Kolumnen ist dem der Graphic Recordings sehr ähnlich.

Doppelseite aus „Busengewunder“ (Carlsen)

Die Figuren und ihre Settings wirken souverän und schnell gezeichnet, kleine Details wie ein Teebeutelschildchen, das aus der Teekanne herausschaut, oder das Petersilienblatt auf dem Teller mit französischen Spezialitäten spiegeln Frühbeis‘ Blick fürs Detail, von dem ihre Kolumnen auch inhaltlich profitieren. Ob es um Beinbehaarung geht, Frauenquote, Gender Pay Gap, die Periode, Kleidungsfragen oder gezeichnete Brüste im Comic – sie schaut sich diese Punkte genauer an und geht zeichnerisch darauf ein.

Möglicherweise darauf Bezug nehmend bezieht sie sich bei ihrer Selbstdarstellung auf Laokoon, den „auf das Volk Achtenden“, der der Sage nach als Einziger ahnte, was sich in dem trojanischen Pferd verbarg, und seinen vergleichsweise winzigen Speer auf das riesige Bauwerk warf.

Das Risiko, das Laokoon bei seinem Speerwurf einging, ist in Frühbeis‘ Darstellungen jedoch weniger zu finden. Sie bleibt bei der Betrachtung der kleinen Unstimmigkeiten im Alltag, die sie an der Hand ihrer beinahe niedlichen Protagonistin überaus vorsichtig benennt. Zwar gehen einzelne Blicke etwas näher auf die Geschichte ein oder stellen grundsätzliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Rechtsprechung heraus, doch werden die Themen letztlich nur an der Oberfläche berührt.

Aktuelle Diskurse spielen kaum eine Rolle

Sie geht kaum auf aktuelle gesellschaftliche Diskurse und Ereignisse ein, obwohl der Feminismus durch die #MeToo-Debatte ab 2017 neue Aktualität erlebte. Auch geht es im Feminismus nicht mehr nur um Frauen, wie der Begriff nahelegt, sondern um Menschen jeglichen Geschlechts.

In „Busengewunder“ ist davon jedoch nichts zu finden. Dies mag damit zusammenhängen, dass die Kolumnen auf autobiografischen Erfahrungen basieren. Doch lässt Frühbeis auch die gesellschaftliche Position von Müttern aus – obwohl Mütter in ihren Darstellungen erscheinen.

Doppelseite aus „Busengewunder“ (Carlsen)

„Busengewunder“ bezieht sich somit recht begrenzt auf einzelne Ebenen des Feminismus. Hier zeigt sich, dass eine Kolumne nur einen kleinen Rahmen bietet, in dem ein Thema vorgestellt, vertieft und abgeschlossen werden kann.

Lisa Frühbeis bleibt bei aller Persönlichkeit sachlich, das ist angenehm für das Leseerlebnis, allerdings fehlt den Kolumnen auch der Biss, den das Thema Feminismus erwarten lässt. Hier haben bereits vor Jahrzehnten Zeichnerinnen wie Claire Bretécher, Julie Doucet, Bettina Bayerl oder Amelie Glienke alias Hogli – auch in wenigen Bildern – stärker auf alltägliche Ungerechtigkeiten gegenüber Frauen hingewiesen und Heldinnen jenseits der genormten Vorstellungen gezeigt.

„Die nächste Generation wird das besser machen“

In diesem Zusammenhang wirkt die letzte Kolumne, der „Epilog“, in der es in einem fiktivem Tagesspiegel-Artikel heißt, dass es noch über 217 Jahre dauere (einem realen Tagesspiegel-Artikel zufolge sind es sogar 257 Jahre), bis die Gleichstellung der Frau in Sachen Lohnzahlung hergestellt sei, wie ein Hinnehmen der gegebenen Umstände.

Frühbeis weist zwar darauf hin, dass „die unbewusste, gedankliche Vorprägung“ wissenschaftlich nachgewiesen sei. Dies zeigt auch eine aktuelle Studie, die besagt, dass gerade in Familienunternehmen seltener Frauen in Führungspositionen eingesetzt werden. Enttäuschend sind aber ihre abschließenden Worte: „Noch 217 Jahre. Unsere Prägung aufzulösen ist ein generationenübergreifender Prozess. […] Die nächste Generation wird das sicher besser machen.“

Auch wenn sie in einem Interview mit dem ARD-Campusmagazin sagt, dass das Private immer politisch sei, bleibt in dieser Sammlung von Kolumnen eine tiefergehende Kritik aus. Die Protagonistin arrangiert sich mit ihrer Umwelt, obwohl sie erlebtes Unrecht nicht akzeptieren wollte. Dafür, die Aufgabe an die nächste Generation weiterzugeben, für mehr Gleichheit einzutreten und sich gegen Ungerechtigkeit und Diskriminierung zu wehren, ist sie aber noch zu jung.

Diese Kritik erschien zuerst am 27.06.2020 in: Der Tagesspiegel

Hier gibt es eine weitere Kritik.

Rilana Kubassa, geb. 1980, ist Literatur- und Medienwissenschaftlerin und lebt als Journalistin, Autorin und freie Lektorin in Berlin. Ihre Texte über Comics erscheinen auch im Tagesspiegel und bei Closure.

Szene aus „Busengewunder“ (Carlsen)