Ein Serienkiller in der Franco-Diktatur

Madrid 1956: Der knorrige alte Falangist (also Sympathisant der anfänglichen faschistischen Ideen) Emilio Sanz arbeitet als Lokalreporter bei der Zeitung „La Capital“. Er ist zutiefst systemkritisch und weiß, dass die herrschende Franco-Diktatur vermeintliche Verbrecher hinrichtet, um den Eindruck der schönen neuen Welt nicht zu stören. In die passt es nämlich gar nicht, dass seit 1938 eine Serie von Frauenmorden die Hauptstadt erschüttert, die immer wieder unter den Teppich gekehrt werden.

Als die nächste Leiche aufgefunden wird, macht er sich mit dem Neuankömmling Léon Lenoir, der aus Frankreich in die Heimat zurückgekehrt ist, ans investigative Werk. Die Indizien lenken die Fährte in Richtung des Krankenhauses San Carlos und den dort angestellten Krankenschwestern und Ärzten. Die Ermittler stoßen auf ein Netz faschistischer Brutalitäten: Ärzte, die einst Menschenexperimente in Konzentrationslagern durchführten und nun Euthanasie-erprobte Behandlungsmethoden anwenden, Krankenschwestern, die sexualisierter Gewalt ausgesetzt sind. Schließlich wird auch ein Arzt, der eine Geburtsklinik betreibt, in der auffällig viele Kinder angeblich tot geboren werden und verschwinden, ermordet aufgefunden.

Bild aus „Contrapaso“ (Splitter Verlag)

In einer spektakulären Mischung aus Detektivgeschichte, Psychothriller und historischem Zeitbild schildert Teresa Valero in der auf zwei Bände angelegten Graphic Novel „Contrapaso“ das ganz düstere Kapitel, dem Spanien von 1936 bis 1975 unter der Knute des faschistischen Diktators Francisco Franco ausgesetzt war. Auf Schildern und Fenstern wird „Brot und Gesang“ propagiert, dafür bezahlt man mit Repression, Terror und Willkür, weshalb die Mordserie natürlich erst einmal totgeschwiegen und umgedeutet wird.

Das Handeln der Ärzte ist den Prämissen der sogenannten „Rassentheorien“ verpflichtet, die auch vor perfiden Geschäften nicht zurückschrecken: Tatsächlich lässt man in der Geburtsklinik Kinder von minderjährigen Müttern verschwinden, um sie reichen Familien zu verkaufen. Mitten in diese Gemengelage platzt der „hard boiled“-Journalist und im Grunde auch Detektiv Sanz, der versucht, seine moralische Enttäuschung mithilfe der Suche nach Wahrheit zu heilen. Sein ungleicher Sidekick Léon – ganz klassisch erwächst aus dem anfänglich ruppigen Umgang letztlich die Akzeptanz von Buddy Sanz – verkörpert das Leitmotiv des Bandes: Als Halbwaise, der in Spanien bei seinem Onkel, einem Armeeoffizier, aufwuchs, ist auch er eines der „Kinder der Anderen“, um die sich die Verschwörung maßgeblich rankt, deren Spur bis ins Gefängnis nach Malaga führt.

Packend, spannend, empörend und zeitgenössisch treffend fügt sich dieser erste Band zu einem Sittenbild einer vergessen geglaubten Welt, die aus heutiger Sicht irreal und zugleich ebenso bedrohlich scheint wie das faschistische Griechenland in „Z“ von Constantin Costa-Gavras. Bleibt zu hoffen, dass wir noch mehr von Teresa Valero zu sehen und lesen bekommen werden.

Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.

Teresa Valero: „Contrapaso. Die Kinder der Anderen“. Splitter Verlag, Bielefeld 2021. 152 Seiten. 25 Euro