Bob Morane, ein berühmter belgischer Abenteurer, wurde von Henri Vernes erdacht, der im vergangenen Jahr im gesegneten Alter von 102 Jahren verstarb. Vernes schrieb zuerst Romane mit seiner Figur, später auch die Comics, deren berühmtester Zeichner William Vance (1935–2018) wurde. Bei uns erschien „Bob Morane“ zuerst im „Zack Magazin“ des Koralle Verlags. Nach dem Aus der letztendlich glücklosen „Bob Morane“-Gesamtausgabe bei Epsilon, startet der Held nun bei uns durch: zuerst als „Bob Morane Reloaded“ in einer nicht ganz gelungenen modernen Version. Dann erscheinen die klassischen Vance-Alben neu – und chronologisch – im All Verlag. Vor kurzem überraschte ein „Bob Morane“-Album („Operation Equus“) aus der Feder von Gérald Forton in der Reihe Zack Spezial. Dazu gesellt sich nun mit „Die 100 Dämonen des Gelben Schattens“ auch ein Reboot der Reihe beim Splitter Verlag.
Indochina 1954, im Süden der Provinz Annam (ein großer Teil des heutigen Vietnams). Commandant Bob Morane und sein treuer Sidekick Bill Ballantine sind in einer geheimen Mission unterwegs. Gemeinsam mit dem Wissenschaftler Professor Borulnik, Spezialist für Anthropologie und Neurologie, sollen sie diverse Massaker an französische Soldaten untersuchen, die allesamt im feinsten Ninja-Stil von Frauen verübt wurden, die sich bis aufs Haar gleichen. Klone? Doch ehe Morane und seine Mannen die Sache ergründen können, wird ihr Fort von den identischen Furien angegriffen. Nur mit Glück – und mit einem gepanzerten Mad-Max-Vehikel – gelingt die Flucht. Gemeinsam mit ihrer neuen einheimischen Führerin May nehmen sie die Spur der Killerinnen wieder auf. Und die führt zu einem uralten Heiligtum, das in einer verbotenen Zone liegt. Und schließlich zu einem alten Bekannten…
Zuständig für die Story sind zwei Splitter-Stamm-Autoren: Éric Corbeyran und Christophe Bec. Die Zeichnungen stammen von Paolo Grella, der bereits Frank Girouds „Galkiddek“ (dt. auch bei Splitter) illustrierte. Die Geschichte spielt gegen Ende des Indochinakrieges, den die Kolonialmacht Frankreich gegen die aufständischen, kommunistischen Viet Minh verlor, was zur Teilung des Landes führte (Fortsetzung folgte dann im Vietnamkrieg). Zu Beginn lesen wir eine konventionelle Abenteuerstory mit dem ersten Mysterium um die Klon-Ninja-Kriegerinnen (die übrigens nicht die 100 Dämonen aus dem Titel sind). Dann, Richtung Finale – inzwischen musste sich Morane und Ballantine trennen –, gesellen sich fantastische Elemente hinzu, bis die Story zur lupenreinen Science Fiction wird.
Beides also Elemente, die die Reihe auszeichnen – Abenteuer an exotischen Schauplätzen und Science Fiction. Mit Ming, dem „Gelben Schatten“, optisch als Mischung aus Yul Brynner und Luc Orients Doktor Argos, tritt gleich im ersten Band Moranes Nemesis an, der Erzfeind, eigentlich ein brillanter Geist, der jedoch die üblichen Allmachtfantasien verfolgt und damit den nahezu perfekten Schurken mimt, der Abnutzungsgefahr zum Trotz. Das Finale wirkt dabei etwas überhastet. Ein wenig Bec scheint schon durch – versunkene mysteriöse Bauten, in denen das Unheil lauert, erinnern nicht nur an Lovecraft, sondern auch an Bec-Serien wie „Heiligtum“ oder „Olympus Mons“. Dennoch oder gerade deshalb ein gelungener Auftakt (fast) im Stile der klassischen Morane-Abenteuer (wozu auch die Cover-Gestaltung gehört). Daran hat auch Zeichner Paolo Grella seinen Anteil, der in einem feinen, detailliert-realistischen Strich arbeitet, der von Sébastien Gérard nicht minder fein und bisweilen fast zart nuanciert koloriert ist. Vorerst sind drei Bände geplant.
Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de
Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.