Es ist so eine Sache mit der Quantenphysik: Kaum hat man das Gefühl, es hat Klick gemacht und man hat jetzt wirklich verstanden, worum es geht, gleitet sie einem schon wieder durch die Finger und man fragt sich: Wie war das noch einmal? Da ist es beruhigend zu wissen, dass auch die Koryphäen der Quantentheorie mitunter ziemlich verwirrt waren. „Seltsamerweise machte es mir Angst“, sagt der junge Werner Heisenberg im Comic „Das Geheimnis der Quantenwelt“, „ich hatte den Eindruck, hinter den atomaren Vorgängen zum ersten Mal ein tieferes Phänomen zu erblicken, von einer solch merkwürdigen inneren Schönheit, dass mir schwindlig wurde.“
Der Comic-Heisenberg hat eine Stupsnase und große abstehende Ohren und sitzt im Schneidersitz hoch oben auf einem Felsen auf Helgoland. Er blickt über ein Meer aus den unendlichen Tabellen, die er entwickelt hat, um Quantenzustände von Atomen zu beschreiben „Hmm! Also… ich hatte nicht erwartet, dass die Quantenphysik so … esoterisch sein kann…“, erwidert Bob, der Heisenberg auf seinem Felsen aufgesucht hat. Bob ist jene Figur, die den Leser durch die Welt der Quanten und ihrer Mysterien führt. Selbst ein abgehalfterter Comic-Held, stürzt er sich mit seinem totgeglaubten Hund Rick noch einmal in ein Abenteuer, um dem „ultimativen Rätsel“ der Quantenwelt auf die Spur zu kommen.
Um mehr zu erfahren, besucht Bob zunächst die 25. Solvay-Konferenz in Brüssel (die 2011 tatsächlich der „Theorie der Quantenwelt“ gewidmet war) und wird buchstäblich aufgesaugt – nämlich von einem Stuhl während eines ziemlich ermüdenden Vortrags. Er taucht aus seinem eigenen Nasenloch wieder auf und landet auf einer Wiese, wo er unter einem Baum Max Planck antrifft, der über einer kleinen Feuerstelle Crêpes backt. Im Zwiegespräch mit Bob plaudert Planck aus dem Nähkästchen, wie er fast zufällig das Tor zur Quantenwelt aufgestoßen hat. Ausgehend von der Farbe der Glut des Feuers erklärt er Schritt für Schritt, wie er zu seiner berühmten Konstante „h“ kam und damit einen Grundstein der Quantentheorie legte.
Es wird schnell klar: Die leicht absurd anmutenden Settings, in denen Bob auf eine Reihe von Pionieren der Quantenphysik stößt, stecken voller beinharter Theorie. Die aufzudröseln in für den Normalverbraucher verdauliche Happen – darin besteht die Kunst von „Das Geheimnis der Quantenwelt“. Den Autoren, dem Zeichner Mathieu Burniat und dem theoretischen Physiker Thibault Damour, gelingt es auf immer wieder bemerkenswerte Weise, die Prinzipien der Quantenphysik auf anschauliche Beispiele herunterzubrechen, ohne zu stark zu verkürzen. Im Gegenteil, sie schaffen es, für kleinste Details einfache Bilder und Worte zu finden. Da werden schon einmal Zuckerwürfel an eine Horde Kinder verteilt (als Analogie für die Aufteilung der Gesamtenergie von Materie). Oder eine Schaukel wird herangezogen, um den diskontinuierlichen Verlauf von Energie in quantifizierten Zuständen vor Augen zu führen.
Den Leserinnen und Lesern bleiben nur wenig Verschnaufpausen, während sie mit Bob durch die Quantenwelt taumeln: In einem Wald trifft er auf den jungen Albert Einstein (der übrigens der Cartoonfigur „Mostdipf“ aus den OÖ Nachrichten frappierend ähnelt), er cruist mit Louis de Broglie in einer Limousine durch die Gegend und wird von Erwin Schrödinger aus dem Meer gefischt, der ihm anhand der Wellenausbreitung im Wasser seine Theorien darlegt. Gemeinsam mit Niels Bohr und Max Born werden die Widersprüche der Quantenwelt diskutiert, und darüber, ob Materie nun wellenförmig ist, und wie das mit in Experimenten eindeutig nachweisbaren Teilchen vereinbar ist – und was das alles mit Einsteins „Geisterfeld“ zu tun hat. Als es darum geht, was die Quantentheorie uns nun über die Realität sagt, wird es philosophisch, bis (der nunmehr gealterte) Einstein bekennt: „Keine Ahnung … in meinen Augen bleibt das Ganze ein Rätsel.“ Danach schickt Einstein Bob und Rick auf eine Zeitreise in die Zukunft, wo sie zuletzt auch noch über Hugh Everett stolpern, Begründer der „Viele-Welten“-Theorie.
Noch wird die Comic-Form viel zu selten genutzt, um wissenschaftliche Inhalte zu vermitteln. Hier gelingt das Experiment mit einigen gewitzten Kniffen, auch wenn viele der „lustigen“ Passagen sehr bemüht wirken. Der Ligne-claire-Stil in schwarz-weiß mit wenigen Farbtupfern bleibt recht konventionell – was aber nicht weiter stört bei dem ohnehin ausreichend verrückten Inhalt.
Wem der Kopf noch nicht genug raucht nach der Erzählung, der kann sich noch in ein umfangreiches Glossar samt Formeln am Ende des Buches vertiefen. Auch Hinweise auf die Alltagstauglichkeit von Quantenphysik sind erst hier hinten versteckt. Auf eine Quellenangabe für verwendete Zitate der Physiker wird allerdings leider verzichtet. Am Schluss bleibt man ziemlich schwindlig zurück inmitten des Multiversums – und weiß doch um einiges mehr als zuvor.
Diese Kritik erschien zuerst am 22.02.2017 auf dem „Der Standard“-Comicblog Pictotop.
Karin Krichmayr arbeitet als Wissenschaftsredakteurin für Der Standard. Außerdem betreibt sie für die österreichische Tageszeitung den Comicblog Pictotop.