Short Stories sind geschwätzig

© Enrique Sanchez Abuli / Jordi Bernet / Cross Cult (2016)

Torpedo ist ein fieser Killer. Bösartig, gemein, ein schlechter Mensch. Viel Versöhnliches finden wir nicht an ihm, aber wir amüsieren uns über seine blutigen Abenteuer. Erfunden hat ihn der Katalane Enrique Sanchez Abuli.

Er schreibe Comics, sagte Enrique Sanchez Abuli einmal, weil er die Short Story für eine geschwätzige Form halte. Das war zwar irgendwann in den 1980ern und Abuli hat inzwischen einen ganzen Band mit Prosaminiaturen veröffentlicht („13 Relatos Negros“), aber die brachiale Lakonie seiner Comics hat unter diesem Ausflug ins Plapperhafte nicht gelitten.

Natürlich stehen die „Torpedo“-Storys, die Sanchez Abuli zunächst mit Alex Toth als Zeichner, dann aber bald mit Jordi Bernet von 1983 bis 2004 realisierte, seit je her im Ruf, hemmungslose Gewaltverherrlichung, ekelhafte Misogynie, dummen Rassismus und menschenverachtenden Zynismus zu pflegen. Das ist durchaus nicht falsch. Die „Torpedo“-Geschichten sind stark pointierte, makabre, gar deviante Miniaturen. Sie sind sehr komisch – und sehr prekär.

Torpedo, das ist der nom de guerre von Luca Torelli, von Beruf Auftragsmörder und -schläger der billigen Sorte. Natürlich muchomacho im uncharmanten Sinn, Vergewaltiger und Rohling, nicht sehr helle und heillos in die Rituale der Gewalt verstrickt, die für das Setting – eine aus allen populärhistorischen Elementen zusammengesetzte USA der 30er- und 40er-Jahre – multimedial und genretypisch verbindlich sind. Die Zeichnungen, die fiese, blut- und spermaspritzende Episoden aus seinem Arbeitsalltag und aus seiner sizilianischen Kindheit erzählen, bauen diese Szenerie detailrealistisch auf. Und unterstreichen genau damit ihren artifiziellen Charakter. Denn die grafische Typisierung des Killers Torpedo, seines komischen Sidekicks Rascal und der diversen anderen Typen der Handlung – schwere Jungs und leichte Mädels, um im Klischee zu bleiben – sind für die Pointenstruktur der einzelnen Episoden unerlässlich. Sie rufen, manchmal schon fast zu Zeichen verkürzt, die kulturellen Codes ab, über die das Publikum verfügen muss – d. h., es muss die Typologien parat haben und richtig einsetzen können, die es aus der geballten medialen Verarbeitung von Zeit und Ort kennt. Insofern sind die biederen (und in ihrem ungelenken Bemühen, „theoretische“ Reflexion zu bieten, eher peinlichen) Nachworte zu den Bänden 5 und 6 der deutschen (derzeit nur antiquarisch erhältlichen) Ausgabe, in denen allen Ernstes versucht wird, reale historische Kontexte geltend zu machen, so ziemlich kontraproduktiv. Denn alles, was bei „Torpedo“ aufgerufen wird und als Gag-Lieferant herhalten muss, ist der Intention Abulis untergeordnet, seine bissigen und zynischen Pointen zu landen. Radikal.

Pointen, die auf den ersten Blick auf der Folie der Trivialmythen von Gangsterleben und Killertum funktionieren, die dann aber letztendlich alle das zum Pathos neigende Weltbild dieser Art von hard-boiled-Perspektive auf die Welt beschädigen. Sei’s durch Lächerlichmachen der dort waltenden Ehrenkodices, sei’s durch Übererfüllung und Exzess (bei den Reizthemen sex ’n‘ violence), sei’s durch komische Spiegelung, wenn sich z. B. Sidekick Rascal den Schuh anzieht, der große Torpedo zu sein und dann furchtbare Niederlagen einstecken muss. Und letztendlich denunziert „Torpedo“ pausenlos seine Hauptfigur und damit den ganzen Typ von „Held“ – als gefühlskalt, intellektuell überfordert, (gewalt-)geil, als feige Ratte und als klarer Depp. Den Tort, den uns Sanchez Abuli dabei antut, ist die Nagelprobe auf den Grad von Einvernehmlichkeit, mit der er sämtliche Geschmacks- und Moralgrenzen übertrampelt: Wie weit sind wir bereit, mit geschmeidiger Interpretation und Auslegung das Eklige, über das wir uns gerade amüsiert haben, wegzuargumentieren? Und wo sollten wir uns schämen, bei all dem Geprügel, der Gemeinheit, dem Schänden, Töten und Morden?

Aber so ist das mit dem Komischen: Es hat immer auch Anteile, die ganz und gar nicht lustig sind, unversöhnlich und, weil gegen das offiziell Geltende gewendet, auch manchmal fatal. „Torpedo“ ist sehr komisch.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 13.08.2008 auf: CulturMag

Thomas Wörtche, geboren 1954. Kritiker, Publizist, Literaturwissenschaftler. Beschäftigt sich für Print, Online und Radio mit Büchern, Bildern und Musik, schwerpunktmäßig mit internationaler crime fiction in allen medialen Formen, und mit Literatur aus Lateinamerika, Asien, Afrika und Australien/Ozeanien. Mitglied der Jury des „Weltempfängers“ und anderer Jurys. Er gibt zurzeit das Online-Feuilleton CULTURMAG/CrimeMag und ein eigenes Krimi-Programm bei Suhrkamp heraus. Lebt und arbeitet in Berlin.

Enrique Sanchez Abuli (Autor), Alex Toth, Jordi Bernet (Zeichner): „Torpedo. Gesamtausgabe“. Deutsch von Silivia Krismann und Joaquim Balada Hartmann. Cross Cult, Ludwigsburg 2016. 720 Seiten. 60 Euro (nur noch antiquarisch erhältlich)