Die (schon etwas ältere) Comicadaption von Robert Louis Stevensons „Der Selbstmörderclub“ findet für den literarischen Text kein ästhetisches Äquivalent.
So kann’s gehen – Comics heißen heute aus distinktionsgewinnlerischen Gründen Graphic Novels und dann wird aus einer etwas längeren Story, einer novelette, wie der Engländer sagt, gerne mal auf Deutsch ein Roman. So steht es auf jeden Fall auf dem Cover der Comic-Adaption von Robert Louis Stevensons Erzählung „Der Selbstmörderclub“, die Clément Baloup (Text) und Eddy Vaccaro (Bilder) veranstaltet haben. Der durchaus kompliziert gebaute Text von Stevenson ist allerdings beim besten Willen kein Roman, sondern ein Baustein seiner Sammlung „New Arabian Nights“ von 1882, die, wenn man so will, zu den Gründungsdokumenten der Kriminalliteratur, verstanden als Vertextungsvariante der Poesie der Urbanen, gehört. Die Comic-Adaption, die dem zeitgeistigen Konzept der „Klassiker-als-Comics“ (äääh, als graphic novelette, neeee, als graphic novel) folgt, funktioniert hier gar nicht.
Das liegt nicht nur an den Bildern, die zwischen albern-karikaturhaft und „realistisch“ hin- und herschwanken, mal mit Proportionsverzerrungen spielen, manchmal mit ungewöhnlichen „Einstellungen“ und manchmal auch nicht, aber nie irgendwelche Stragien erkennbar sinnhaft einsetzen; es liegt auch an der misslungenen Verfugung der disparaten Elemente von Stevensons Text, die man eben nicht aufs reine Narrativ reduzieren kann. Wie gesagt, „Der Selbstmörderclub“ mit seinen Elementen von décadence und Satire, von Action und Moral, von den beiden Stadtlandschaften London und Paris (a tale of two cities, sozusagen) und zwei verknüpften Handlungssträngen – von all dem bleibt im Comic eine reichlich wirre, vermutlich ohne Kenntnis der Vorlage kaum verständliche Abenteuer-Schote übrig. Komplexionsreduktion ist dem Falle Simplifikation, die auch durch eine besonders gelungene Bildästhetik nicht egalisiert wird und schon gar nicht ästhetische Autonomie über den Text gewinnt. So schlicht war Stevenson nun wirklich nicht. Au contraire.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 11.08.2012 auf: CulturMag
Clément Baloup (Szenarist), Eddy Vaccaro (Zeichner): Der Selbstmörderclub • Aus dem Französischen von Tanja Krämling • Splitter Verlag, Bielefeld 2012 • 96 Seiten • Hardcover • 19,80 Euro
Thomas Wörtche, geboren 1954. Kritiker, Publizist, Literaturwissenschaftler. Beschäftigt sich für Print, Online und Radio mit Büchern, Bildern und Musik, schwerpunktmäßig mit internationaler crime fiction in allen medialen Formen, und mit Literatur aus Lateinamerika, Asien, Afrika und Australien/Ozeanien. Mitglied der Jury des „Weltempfängers“ und anderer Jurys. Er gibt zurzeit das Online-Feuilleton CULTURMAG/CrimeMag und ein eigenes Krimi-Programm bei Suhrkamp heraus. Lebt und arbeitet in Berlin.