Die Anfänge der Universal-Monster: Eine Comicbiografie beleuchtet Aufstieg und Fall des berühmten Dracula-Darstellers Bela Lugosi.
Hollywood 1955: Der abgehalfterte Horror-Darsteller Bela Lugosi liefert sich selbst ins Motion Picture and Country House Hospital ein. Diagnose: Seit Jahren ist er abhängig von Morphium, Barbituraten und sonstigen Drogen. Während er eine Entziehung durchmacht, breitet sich vor seinem geistigen Auge seine Lebensgeschichte aus. Geboren als Bela Blasko, bereitet er seiner Familie mit seinen schauspielerischen Ambitionen keine Freude. Dennoch landet er 1917 tatsächlich in Budapest beim Nationaltheater. Als 1919 kurzzeitig die kommunistische Revolution das Land erschüttert, übernimmt er eine führende Rolle in der Schauspielergewerkschaft – und flieht aus genau diesem Grund noch im selben Jahr, als das Regime wieder gestürzt wird, mit seiner Frau nach Wien. Als der Schwiegervater den Geldhahn endgültig zudreht, macht sich Bela, der sich inzwischen nach seinem Geburtsort Lugosi nennt, auf ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten, nur um wieder auf Amateurbühnen zu stehen, nicht zuletzt, weil er kein Englisch spricht.
1927 ergattert er die Hauptrolle in einer Theateradaption des „Dracula“-Romans. Dank seiner Interpretation als galanter, bedrohlicher und gleichzeitig attraktiver Aristokrat wird das Stück ein großer Erfolg, der Bela bis nach Los Angeles führt, während er abseits der Bühne durch Alkoholeskapaden und Frauengeschichten von sich reden macht. Der neue Universal-Boss Carl Laemmle jr. kauft die Rechte am Theaterstück und engagiert, nachdem der eigentliche Wunschkandidat Lon Chaney verstirbt, den ungarischen Bühnendracula für seinen ersten Horrorfilm.
Der Erfolg des Streifens ist phänomenal, aber Bela wird mit einer mageren Gage abgespeist, weil er noch kein Star ist. In der nächsten Universal-Produktion soll Lugosi Frankensteins Monster spielen, man fertigt Screentests an, aber der arrogante Künstler fürchtet, das schwere Make-up, das klobige Kostüm und die Grunzerei der Kreatur könnten seinem Stil schaden. Eine folgenschwere Fehleinschätzung, mit Frankenstein avanciert Boris Karloff zur hochbezahlten Horror-Ikone, während Bela mehr und mehr vom Pech verfolgt wird. Filme wie „Murders in the Rue Morgue“ werden aus Zensurgründen umgeschrieben und floppen, wegen seiner körperlichen Gebrechen nimmt Lugosi außerdem regelmäßig Morphium. 1932 muss er Bankrott anmelden, sein luxuriöser Lebensstil fordert Tribut. Fortan muss er alle Rollen annehmen, die man ihm anbietet – nach durchaus achtbaren Produktionen wie „White Zombie“ oder „The Black Cat“ rutscht Lugosi immer tiefer in die B-Movie-Welt, bis er schließlich weitgehend vergessen von einem jungen, euphorischen Möchtegern-Regisseur namens Ed Wood wiederentdeckt wird.
Koren Shadmi Comicbiografie zeichnet die die Karriere eines Immigranten nach, der durch die Verkörperung eines Mythos seiner alten Heimat zu Ruhm gelangte, diesen Erfolg durch Maßlosigkeit, Selbstüberschätzung und Drogensucht aber wieder zerstörte. Für die Darstellung hat sich Shadmi auch zeitgenössische Zeitungs- und Magazinartikel berücksichtigt, was sich in zahlreichen authentischen Szenen niederschlägt, etwa das pressewirksam aufbereitete erste Treffen mit Karloff, die Sauftouren mit Clara Bow, die zahlreichen Ehen, die immer von Affären überschattet waren, und die chronischen Geldsorgen, die sich als Kombination aus realitätsblindem Glamour („Wenn ich wie ein Star lebe, dann werde ich auch einer“, erklärt Bela noch in Ungarn seiner ersten Ehefrau) und Ausbeutung durch die Filmindustrie erklären lassen (beispielsweise bekommt Karloff am Set von „Son Of Frankenstein“ eine Gage von 4000 Dollar die Woche, während Lugosi, immerhin Darsteller der zentralen Figur des Igor, sich mit 500 Dollar zufriedengeben muss).
Der filmgeschichtliche Hintergrund ist gründlich recherchiert, von Carl Laemmle jrs Kalkulation, hochwertige Horrorfilme zu produzieren, über den europäischen Einschlag dieser Produktionen und die beklemmenden Szenen in heute anerkannten Produktionen wie „Murders In The Rue Morgue“, „Island Of Lost Souls“ und „White Zombie“ bis hin zu den katastrophalen Auswirkungen des Hayes-Codes, der das Horror-Genre für einige Jahre weitgehend erledigte. Auch der Abstieg in die Billigfilme wird beleuchtet, bevor dann die Zeit mit Ed Wood als letzter Hoffnungsschimmer erscheint.
In atmosphärischem Schwarzweiß gehalten, baut Shadmi wiederholt berühmte Filmeinstellungen wie die Treppe in Draculas Schloss oder auch Szenen aus „The Raven“ und „The Black Cat“ ein, greift zentrale Dialogstellen auf und orientiert sich bisweilen auch an Tim Burtons genialem „Ed Wood“. Somit ein mehr als würdiges Biopic, das die Lebensgeschichte eines Mannes nacherzählt, der letztlich an sich selbst, aber auch am System Hollywood scheiterte und dennoch eine bleibende Ikone der Film- und Kulturgeschichte schuf. Denn noch heute gilt: Karloff rules. Aber Lugosi rult auch, wenigstens ein bisschen.
Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.
Koren Shadmi: Lugosi • Aus dem Englischen von Claudia Kern • Panini, Stuttgart 2022 • 160 Seiten • Hardcover • 25,00 Euro
Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.