Die Liebe zu Büchern und die Abgründe des Literaturbetriebs sind der Stoff, über den der Brite Tom Gauld Comic-Strips für den „Guardian“ und den „New Yorker“ zeichnet. Nun legt er mit „Die Rache der Bücher“ den zweiten Themen-Sammelband seiner Buchkunst vor.
Warum nehmen Bücher Rache? Und was ist überhaupt deren Rache? Das lässt Tom Gauld offen, aber er zeigt schon im ersten Comicstrip, dass Bücher so sehr fesseln können, dass einem alles andere egal ist: Da steht ein Schloss auf einem Berg, umgeben von dichtem Wald. Im nächsten Bild sieht man einen Mann und eine Frau in einer Bibliothek. Der Mann sagt: „Du gehörst jetzt mir, wenn Du fliehst, erwartet Dich nur Schrecken und nachts verwandele ich mich in ein blutdürstiges Monster.“ Die Frau inspiziert unterdessen die Bibliothek und sagt am Ende: „Okay, ich seh dich dann im Morgengrauen.“
An diesem ersten Strip wird deutlich, was die Arbeit von Tom Gauld auszeichnet: Er spielt mit literarischen Genres – hier mit dem Vampirroman. Er spielt mit tradierten Geschlechterrollen – die Frau lässt sich nicht zum Opfer machen. Und er macht immer wieder das leidenschaftliche Lesen zum Thema.
„Die Rache der Bücher“ versammelt all das, was Fans von Tom Gauld lieben. Und er ist groß darin, den Rahmen, den er sich gesteckt hat, mit verspielten Ideen variantenreich zu füllen. Für seine Literatur-Comic-Strips hat Tom Gauld sich verschiedene Rubriken ausgedacht: Grafiken zu Literaturstatistiken gehören dazu, Analysen von Romanhandlungen, Genreparodien, alternative Buchtitel, Freud und Leid von Buchliebhaber*innen und die Typisierung von Schriftsteller*innen. Eine Rubrik, die mir besonders gefällt, sind weiterentwickelte Klassiker. Zum Beispiel denkt er sich Titel für Prequels aus, die heißen dann „Der junge Mann und das Meer“, „Der erste Mohikaner“ oder „Howards Anfang“.
Für jede Rubrik findet Tom Gauld einen eigenen Stil. Die Grafiken zu den zum Teil erfundenen Literaturstatistiken sind Diagramme, aber auch Zeichnungen zu Schnittmengen. Etwa wenn es um das persönliche Buchjahr geht, dann gehören zur Menge der Bücher, die empfohlen werden, auch jene, die man gar nicht selbst gelesen hat. Diese Grafiken sind klar und übersichtlich. Verspielter wird der Strich dagegen bei Stoffanalysen, etwa häufigen Fehlern von Autoren bei Liebesromanen: zu viele Figuren, zu viele Hindernisse oder schlicht zu prüde. Die Bilder dazu zeichnet Tom Gauld mit schraffiertem Strich und überbordenden Details.
Buchliebhaber*innen können sich in den Comic-Strips fortwährend wiedererkennen. Menschen, die in einer Buchhandlung nur schnell ein Geburtstagsgeschenk kaufen wollen und dann mit drei Büchern für sich selbst rausgehen, werden „Violetts erfolgreiche Weihnachtseinkäufe“ lieben. Und zum Ende der Maskenpflicht in öffentlichen Verkehrsmitteln passt der Comic-Strip „Verhaltensregeln für die Corona-Pandemie aus einem viktorianischen Roman“. Dazu gehört „Zuhause bleiben – wie eine junge Dame, bestraft für ihr unziemliches Benehmen“, aber auch „Maske tragen – wie ein Gentleman auf dem Weg zu einem Treffen im Mondlicht“.
Einen poetischeren Grund fürs Masketragen kann man wohl kaum finden. Und zugleich ist das ein wunderbar ironischer Kommentar zur Akzeptanz von Regeln. Die Comicstrips von Tom Gauld sind trockener Humor für alle Lebenslagen – und für Buchliebhaber*innen, die gern über jedweden Tellerrand blicken.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 02.02.2023 auf: kulturradio rbb
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.