Weltbekannt ist Mary Shelley für ihren stilbildenden Roman „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ (1818), der als einer der ersten Science-Fiction-Romane der Literaturgeschichte gilt. In den 1820/30ern verfasste Shelley etliche Kurzgeschichten und Novellen, teils auch als Auftragsarbeiten. Darunter 1831 die Gothik-Miniatur „Transformation“ („Verwandlung“), für die sie das Romantikmotiv des Doppelgängers spitzfindig variiert. Die Lübecker Comickünstlerin Lara Swiontek hat diese wenig bekannte und doch voller persönlicher Momente gespickte Novelle für ihr Graphic-Novel-Gesellinnenstück (hier eine Comic.de-Kritik) ausgewähnt und Shelleys Gothic-Horror kongenial und prickelnd modern adaptiert. Wir präsentieren das folgende Presse-Interview mit freundlicher Genehmigung des Avant-Verlags.
Liebe Lara, vielen Dank, dass du dir die Zeit für uns nimmst. Bevor wir über dein Graphic-Novel-Debüt „Verwandlung“ sprechen, magst du dich ein wenig unseren Leser*innen vorstellen? Wie bist du zum Zeichnen gekommen und welche Rolle spielt(e) der Comic für dich als Illustratorin?
Mit dem Zeichnen habe ich in meiner frühen Kindheit angefangen. Ich war früher sehr introvertiert und habe viel Zeit allein verbracht, dadurch hat das Zeichnen dann mehr und mehr Raum eingenommen. Comics habe ich auch schon sehr früh gelesen, zuerst das „Lustige Taschenbuch“, „Lucky Luke“, „Marsupilami“ usw. Später auch Manga und dann immer mehr von allem etwas. Es fasziniert mich, auf welche unterschiedlichen Weisen man Geschichten mit Comics und Graphic Novels erzählen kann. Richtig dafür entschieden, selbst Comics zu zeichnen, habe ich mich aber recht spät. Nachdem ich mal Storyboards für ein 2D-Animationsprojekt entwickelt habe, habe ich gemerkt, wie gerne ich Bewegungen und vor allem Gesichtsausdrücke und Gesten zeichne.
Der Comic spielt eine sehr große Rolle für mich. Ich habe das Gefühl, Geschichten, die mich interessieren, endlich so auf Papier zu bringen, wie ich es mir immer gewünscht habe. Einerseits beschreibt man Figuren und Orte sehr genau, andererseits haben die Leser*innen die Möglichkeit, eigenständig mit der Geschichte umzugehen. Sie lesen die Panels, müssen deren Zusammenhang verstehen und sich die Bilder, die im Grunde noch fehlen (die Bilder im Raum zwischen den Panels), selbst ausdenken. Das finde ich toll.
„Verwandlung“ entstand als Diplomarbeit an der Hochschule Wismar. Kannst du uns etwas über die Anfänge des Projekts erzählen? Wie kamst du auf den Stoff? Und warum bot sich die Novelle von Mary Shelley für dich als Grundlage für deine Abschlussarbeit (und gleichzeitig dein Buchdebüt) an?Ich hatte mich entschieden, für meine Abschlussarbeit einen Comic zu zeichnen. Das Medium hatte mich schon immer interessiert und ich hatte schon ein paar kleine kurze Strips und Ähnliches für unterschiedliche Projekte gemacht. Zuerst hatte ich eine eigene Idee für eine Geschichte, aber die war sehr unausgegoren. Meine Professorin riet mir deshalb, einen vorhandenen Text zu nehmen. Und da kam ich dann zu Mary Shelley. Ich habe nach etwas Fantastischem gesucht, etwas, das ein bisschen morbide ist. Im besten Fall auch mal etwas, das von einer Frau verfasst worden ist, weil mir bewusst ist, dass von Frauen geschriebene Bücher auf dem Markt immer noch sehr unterbesetzt sind. Bei dem Text „Verwandlung“ hatte ich dann direkt Bilder im Kopf und bekam Lust, die Figuren aus der Geschichte auf Papier zu bringen. Mary Shelley kannte ich, da ich vor einiger Zeit mal „Frankenstein“ als Hörbuch (gelesen von Katharina Thalbach) gehört hatte. Ich war fasziniert von der beklemmenden und gleichzeitig sehr romantischen Szenerie. Fast ein bisschen kitschig, das ist manchmal genau meins. Zu der Zeit hatte ich auch viel Anne Rice gelesen, die ja auch sehr morbide und ein bisschen kitschige Vampir-Geschichten geschrieben hat. An diesem ganzen romantischen Horror-Vibe hatte ich dann wieder Gefallen gefunden. Und so wurde „Verwandlung“ zu meinem Projekt.
Mit „Frankenstein oder Der moderne Prometheus“ hat Mary Shelley einen der berühmtesten und meist adaptierten Romane der Literaturgeschichte geschrieben. Sie selbst war ein Freigeist, reiste mit ihrem Mann Percy Shelley um die Welt, feierte mit Lord Byron, kämpfte aber auch zeitlebens gegen Depression und Verlustängste. Welches Verhältnis hattest du zu Shelley, als du dich daranmachtest, ihre Novelle zu adaptieren? Was macht sie für dich als Autorin so spannend und modern?
Als ich die Geschichte auswählte, wusste ich eigentlich fast nichts über Mary Shelley. Ich habe mich erst beim Zeichnen mit ihrer Person auseinandergesetzt und herausgefunden, was für eine faszinierende, starke Frau sie war. Sie hat lange versucht, ein gleichberechtigtes Leben zu führen, und wenn es ihr schlecht ging, verlor sie sich in ihrer Arbeit. Außerdem war sie sehr leidenschaftlich und hat sehr intensiv gefühlt. Das hat mich berührt und es erklärt auch, wie sie so traumhafte Szenerien erschaffen konnte. Ich finde, sie war sehr modern, weil sie sich ihren Leidenschaften (Schreiben und Lieben) hingeben und sich keinen gesellschaftlichen Zwängen unterwerfen wollte. Es ist auch heute nicht einfach, so zu leben. Damals war es wahrscheinlich fast unmöglich, und trotzdem hat sie es gemacht. Deshalb war sie sehr besonders und könnte auch heute ein Vorbild sein.Welchen Stellenwert nimmt „Verwandlung“ im Werk von Mary Shelley ein? Was sind die Themen der Novelle und in welchem Kontext liest man die Geschichte in Bezug auf ihr Leben und ihre anderen Arbeiten?
Shelley selbst hat ihre Kurzgeschichten nicht sonderlich gemocht. „Verwandlung“ war eine von vielen Auftragsarbeiten. Nachdem ich mich intensiv mit „Verwandlung“ befasst hatte, stellte ich fest, dass auch in dieser kleinen Geschichte viele Details aus ihrem Leben enthalten sind. Sie wollte vermutlich eine Geschichte schreiben, die nicht zu anspruchsvoll sein sollte. Und doch finden sich, meiner Meinung nach, einige unerwartet tiefe Einblicke in dieser Arbeit. Guido scheint Percy Shelley sehr ähnlich zu sein. Percy war in vielen Momenten seines Lebens ebenfalls hitzköpfig und egoistisch, außerdem spielte Geldnot eine große Rolle. Mary musste oft die Zwistigkeiten zwischen ihrem Vater und Percy ertragen und immer ging es um Geld und schwindendes Ansehen. Juliet fühlt sich von ihrem Guido im Stich gelassen, genauso wie Mary sich vielleicht damals fühlte, als sie ihre Kinder verlor und Percy ihr „Verbitterung“ vorwarf und sich anderweitig mit Frauen beschäftigte. Juliet ist eine Randfigur und Mary hatte sich womöglich auch oft so gefühlt. Mir kommt es vor, als wäre „Verwandlung“ ein kleines Theaterstück mit bekannten Akteuren, ein Lufthauch ihrer Vergangenheit. Ein bisschen was von „Frankenstein“ (auch hier: ein allwissendes Monster, das seinen Gegenspieler zurechtweist), dazu ein bisschen von den Abenteuern, die sie in ihren Anfangsjahren erlebt haben könnte, als sie mit Percy Shelley durchgebrannt und durch die Welt gezogen ist.
Mit Guido Carrega hat „Verwandlung“ einen ziemlich unsympathischen, egozentrischen Protagonisten, der andere ausnutzt und verletzt und erst durch die titelgebende Verwandlung geläutert werden kann. War es für dich als Autorin eine Herausforderung, eine Geschichte aus der Perspektive einer Figur zu erzählen, mit der man sich als Leser*in nicht unbedingt identifizieren will?Ja, es war für mich anfangs sehr schwer, Guido zu beschreiben. Vor allem der erste Part, wo er sein Geld verprasst. Als er dann alles verloren hat, verzweifelt und verrückt wird, gefiel er mir besser und es war einfacher, seine Geschichte zu erzählen und sich in ihn hineinzuversetzen. Das war auch der Teil, auf den ich mich am meisten gefreut hatte. Meine Herangehensweise für den Anfang war schließlich, ihn zu überzeichnen und mit ein bisschen Witz zu arbeiten, weil es ja ein lächerliches Auftreten ist, so arrogant und verschwenderisch zu sein. So auch am Ende, wo er reumütig mit Juliet redet beim „Happy End“: Er bleibt auf jeden Fall der Verlierer und man findet ihn nicht sympathischer als am Anfang.
Du hast das Setting stark modernisiert – es gibt u. a. Handys und Autos –, aber vieles an deinen Designs und Landschaften wirkt noch sehr rustikal und altehrwürdig, vor allem die Szenen in Genua. Das Ergebnis ist eine faszinierende, aus der Zeit gefalle Mischform. Wie kamst du auf diesen Look und was war dir dabei wichtig?
Ich wollte die Geschichte aus der Zeit, in der der Originaltext spielt (ca. Anfang des 15. Jahrhunderts), herauslösen, um den Leser*innen den Zugang zu erleichtern. Wenn die Figur genervt auf ihr Handy schaut, kann ich den Leser*innen viel besser vermitteln, was ich erzählen will. Genauso mit dem Rauchen, ich liebe es, rauchende Figuren zu zeichnen: Wenn jemand raucht, kann es nachdenklich und abwesend wirken, oder die Person fühlt sich besonders cool und will herausstechen. Verlobungen im Kindesalter sind im Gegensatz dazu nicht sehr zeitgemäß. Das ist aber, was ich mir vorstelle, dass die besonders reiche Oberschicht, die Welt des Pomps und der Verschwendung, auch heute sehr in der Vergangenheit behaftet sein kann. In dieser Welt gibt es durchaus noch abgesprochene Hochzeiten und natürlich übertrieben große, altbackene Villen und Anwesen und irrsinnige, kitschige Statuen.
Der „Freaky Friday“-Körpertausch ist ein klassisches Horror-/Fantasy-Motiv. Was hat dir an diesem Konzept gefallen?
In dieser Geschichte gibt es den Schönling, der einen miesen Charakter hat und seinen Körper mit einem weniger hübschen Zauberer tauscht, dessen Wesen etwas edler ist. In Wirklichkeit also wird durch den Körpertausch jeder Figur das richtige Aussehen verpasst. Das finde ich sehr interessant und es war für mich sehr spannend, eine Figur zu beschreiben, die verschiedene Rollen einnimmt und zu der man als Leser*in verschiedene Gefühle entwickeln kann.
Hast du schon ein neues Comicprojekt in der Mache? Woran arbeitest du gerade?
Hier und da habe ich ein paar Ideen für kurze Comicstrips, aber noch nichts Konkretes und vor allem auch nicht in so einem Umfang wie „Verwandlung“. Ich habe aber Lust, möglichst bald wieder so ein Projekt zu starten.