In diesem November wäre der schon mit 24 Jahren verstorbene Wilhelm Hauff 222 Jahre alt geworden – Sascha Hommer hat dessen bekannteste Erzählung „Das kalte Herz“ als Comic adaptiert.
Hauffs Werk hat die letzten Jahrhunderte nicht ganz unbeschadet überstanden. Die propagandistische Verfilmung seiner Erzählung „Jud Süß“ durch den nationalsozialistischen Regisseur Veit Harlan (1940) verstellt den Blick auf den Ursprungstext, wohingegen die Verfilmung „Das Wirtshaus im Spessart“ (1957) durch Kurt Hoffmann (und mit Liselotte Pulver) sehr positive Resonanz genoss. Allerdings führte dieser Erfolg auch zu skurrilen Filmen wie dem Softporno „Das Lustschloss im Spessart“ (1978). Wilhelms Hauffs Hauptwerk wiederum, seine drei zwischen 1825 und 1827 veröffentlichten Märchen-Almanache, sind nur in Auszügen noch bekannt. Im dritten, nach Hauffs Tod erschienenen Band ist die lange Erzählung „Das Wirtshaus im Spessart“ enthalten, das die Rahmenerzählung für kürzere Prosatexte darstellt. Einer der eingebetteten Beiträge ist „Das kalte Herz“.
In diesem Kunstmärchen, zwischen literarischer Romantik und Biedermeier verfasst, wird uns von dem jungen Peter Munk erzählt, der ohne Vater, dafür aber mit dem harten Los eines Köhlers im Schwarzwald aufwächst. Voller Neid schaut er auf andere Männer, deren Berufe mehr Wohlstand versprechen als das Handeln mit Kohle: Flößer und Glasmacher etwa. Wohlstand ist relativ.
Peter ist aber völlig klar, dass er seine Ziele auf keinem herkömmlichen Karriereweg erreichen kann, denn einen solchen Weg gibt es gar nicht. Nur die magischen Zauberwesen des Schwarzwaldes könnten ihm helfen: das ephemere Glasweiblein etwa oder der überdimensionierte Holländermichel. Während das Glasweiblein demjenigen drei Wünsche zu erfüllen verspricht, der einen Reim richtig aufsagen kann (ganz und gar Märchenmotiv), verlangt der Holländermichel für die Erfüllung unermesslichen Reichtums das Herz des Menschen im Tausch gegen einen kalten Stein – dieser Teufelspakt in der Tradition von Goethes „Faust“ (1772 bzw. 1808) oder mehr noch Adalbert von Chamissos „Peter Schlemihls wundersame Geschichte“ (1814) ist schließlich titelgebend für die Geschichte. Peter Munk wünscht sich vom Glasweiblein natürlich nur materiellen Blödsinn, scheitert aber sozusagen am Kleingedruckten. Der Teufelspakt wiederum lässt seine Gefühle abstumpfen, sein Herz wird kalt, und als er sogar seine Frau im Streit erschlägt, berührt ihn das nicht. Aber zu viel ist zu viel: Letztlich bereut Peter seine Entscheidung und bittet das Glasweiblein um Hilfe.
Der Hamburger Illustrator Sascha Hommer („Insekt“, 2006, „Vier Augen“, 2009, „Spinnenwald“, 2019) hat sich zwar nicht zum ersten Mal an eine Literaturvorlage herangewagt („Dri Chinisin“, 2011), noch nicht zuvor aber hat er sich ein so bekanntes Werk vorgenommen. Der Wortlaut entspricht passagenweise dem Original, ist aber in der Regel sorgsam modernisiert, sodass der Comic nicht unnötig altmodisch erscheint. Immerhin sind behutsame Eingriffe bei allen Literaturklassikern üblich, und wer unbedingt das Märchen im Originaltext (und vor allem Originalkontext mit der Rahmenhandlung) lesen möchte, kann dies hier tun.
Auch inhaltlich nimmt Hommer von Anfang an leichte Veränderungen vor und lässt die Figuren vor unseren Augen handeln, anstatt sie wie bei Hauff bloß in Erzählungen kennenzulernen. Am Ende gebietet er dem Michel nicht mit einem Kreuz Einhalt, sondern mit dem Rauch einer Pfeife (etwas weniger christlich) und ergänzt das Happy End um ein Lob der Kindheit, an Peters Sohn gerichtet: „Der Michel kann nur bestehen durch Neid, Missgunst und Gier der Menschen. Du aber hast noch gar keinen Begriff davon.“ Das findet sich nicht im Original, ist aber durchaus kompatibel, immerhin ist Hauffs Märchen eine Geschichte über Verführbarkeit und Gier wie auch über die Zeit der Adoleszenz. Und wenn Peter mit dem Erwachsenwerden ein „kaltes Herz“ bekommt, wird es allen „Frozen“-Fans oder -Opfern mit Helene Fischer im Ohr klingeln: „Die Kälte ist jetzt ein Teil von mir.“
Aus dem Glasmännlein aus Hauffs Original mach Hommer das Glasweiblein, und es ergibt auch Sinn als Gegenpart zu der dominant-männlichen Gewaltfigur des Michels ein zartes Glasweiblein zu konstruieren. Mehr noch als bei Hauff geht es bei Hommer um dumme Männer und Frauen, die unter ihnen leiden.
2022 gehörte „Das kalte Herz“ zu den Finalisten um den hochdotierten Comicbuchpreis der Berthold Leibinger Stiftung. Hommer, der bei Anke Feuchtenberger an der HAW studiert hat, experimentiert hier nicht so viel wie in „Insekten“, und sein Stil ist weitaus weniger reduziert. Die kindliche Optik der großäugigen Figuren täuscht aber, denn in dieser Welt gibt es neben dem Wald auch ganz tiefe Abgründe.
Sascha Hommer: Das kalte Herz • Reprodukt, Berlin 2024 • 160 Seiten • Hardcover • 24,00 Euro
Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate.de, Alfonz und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.