Kommende Woche vom 4. bis 6. Oktober findet das renommierte Comicfestival Hamburg statt, das seit bald 20 Jahren grafische Kultur an alltägliche Orte der Hansestadt bringt. Vor allem die sorgfältig kuratierten Ausstellungen, die deutschsprachigen, aber auch internationalen Comickünstler*innen eine Bühne für ihre Arbeiten bieten, haben das Festival über die Grenzen Hamburgs bekannt gemacht.
Sascha Hommer zählt zu den umtriebigsten Akteuren und Netzwerkern der deutschsprachigen Comicszene. Nachdem er selbst unter Anke Feuchtenberger an der Hamburger Talentschmiede HAW studiert hat, unterrichtet er dort schon seit etlichen Jahren selbst die nächsten Comic-Generationen. Er war Herausgeber der Comicanthologie „Orang“, die über viele Jahre deutschsprachige und internationale Zeichner*innen zusammengebracht hat. Und er ist seit der allerersten Ausgabe im Jahre 2006 der Cheforganisator des Comicfestivals Hamburg. Das Comicfestival Hamburg widmet Sascha Hommers neuer Graphic Novel „Das kalte Herz“ eine eigene Ausstellung. Ein weiteres Projekt Hommers wird zudem als Teil der Gruppenschau „Jüdische Geschichte im Comic: Vier aktuelle Positionen“ gezeigt werden. Im folgenden Presse-Interview spricht Hommer über die Hintergründe des Festivals.
Lieber Sascha Hommer, vielen Dank, dass Sie sich für unser Gespräch ein bisschen Zeit nehmen. Vom 4. bis 6. Oktober läuft die bereits 18. Ausgabe des Comicfestivals Hamburg, und Sie begleiten das Festival schon seit den Anfangstagen als Teil der über die Jahre oft wechselnden Organisationsteams. Wie kam es 2006 zu der Gründung des Festivals, welche Vorbilder, Ansprüche und Ziele hatten Sie damals? Und wie hat sich das Festival über die Jahre gewandelt?
Ich war damals Student und ein großer Fan des Fumetto-Festival in der Schweiz. In Hamburg gab es eine viel kleinere jährliche Comicbörse, die ich auch sehr gerne mochte, die Veranstaltung „Heftich!“. Als die Organisatoren der „Heftich!“-Börse das Handtuch warfen, habe ich gemeinsam mit dem Zeichner und Musiker Heiner Fischer beschlossen, dass wir das einfach in die eigene Hand nehmen wollen. Im Laufe der Jahre ist das Festival, das zu Beginn noch ein vorweihnachtliches Fest mit dem Namen „Äpfel, Nüsse, Fink und Star“ war, mehr und mehr gewachsen, und ich würde im Rückblick sagen, ab etwa 2010 war es wirklich ein Festival. Je nachdem wer gerade im Organisationsteam aktiv war, hatte das Festival mal mehr, mal weniger hoch gesteckte Ziele. Ab 2012 wurden viele Abläufe deutlich professioneller, kurze Zeit später wurde der Verein Comicfestival Hamburg e.V. gegründet.
In der COVID-Zeit hat das Festival wie fast alle anderen regelmäßigen Kultur-Events pausiert bzw. sich in veränderter Form angepasst. Wie haben Sie die COVID-Zeit als Veranstaltungsmacher erlebt? Gab es Veränderungen, die das Festival bis heute noch prägen?
Das Wichtigste für uns sind die vielen persönlichen Begegnungen, die im Rahmen von Ausstellungen, Workshops und anderen Events stattfinden und einen Gegenpol bilden zur oft zurückgezogenen Arbeit von Comiczeichner*innen. Insofern kann ich eigentlich keine positiven Effekte nennen. Die COVID-Zeit war für das Festival eine existenzielle Krise, die auch 2022 noch einige unschöne Auswirkungen hatte und aus meiner Sicht erst mit dem sehr erfolgreichen Jahr 2023 völlig überwunden wurde.
Im Mittelpunkt des Festivals steht immer das Ausstellungsprogramm. Könnten Sie uns einen Blick hinter die Kulissen geben? Nach welchen Kriterien wählen Sie bzw. das Festival-Team die Künstler*innen aus? Inwieweit ist das Orga-Team kuratorisch in die Entstehung der Ausstellungen involviert? Wie wichtig ist Ihnen der Blick ins Comic-Ausland und der Austausch mit internationalen Künstler*innen und Festivals in anderen Ländern bei der Programmarbeit?
Das Programm des Festivals wird von den jeweiligen Mitgliedern des Teams bestimmt. Wie die Entscheidungen vonstattengehen, variiert etwas. Während es in früheren Jahren Abstimmungen und lange Diskussionen über einzelne Programmpunkte gab, ist im Moment eine kleine Gruppe innerhalb des Teams für die Auswahl eigenverantwortlich zuständig. Es ist aber durchaus möglich, dass sich das bald wieder ändert. In der Regel versuchen wir als Festival nicht einfach das abzubilden, was ohnehin bereits auf dem Markt präsent ist. Einerseits fällt es uns durch die Anbindung an studentische Milieus sehr leicht, neue Talente zu präsentieren, insbesondere natürlich aus Hamburg. Gleichzeitig sind wir auch international vernetzt und versuchen auch in diesem Bereich Positionen zu zeigen, die nicht unbedingt allen Comicfans in Deutschland und Hamburg bereits geläufig sind. Ein gutes Beispiel für diese Praxis ist Aminder Dhaliwal, die wir für unser Festival 2018 gewinnen konnten, oder die Ausstellung „Bitte übersetzen!“ aus dem letzten Jahr mit Beiträgen von Leopold Prudon, Zane Zlemeša und Tereza Šiklová. 2024 ist Anne Simon aus Frankreich unser internationaler Gast, die zwar im deutschsprachigen Raum bei Rotopol eine verlegerische Heimat hat, aber wie wir finden bislang trotzdem deutlich zu wenig wahrgenommen wird.
Ein Schwerpunkt wird in diesem Jahr das Thema/Genre „funny animals“ sein, u. a. mit der Ausstellung der Leipziger Künstlerin Anna Haifisch im MKG und der Ausstellung der französischen Zeichnerin Anne Simon. Sie widmen der Thematik auch einen ganzen Symposiumstag. Vermenschlichte Tiere im Comic – das kennt mal als Durchschnitts-Leser*innen aus dem „Lustigen Taschenbuch“… Ist das etwas Besonderes? Warum hat Sie diese Comic-Tradition so gereizt, und was ist das Spannende an den Künstler*innen, die Sie in Hamburg präsentieren?
Ich glaube dass die „funny animals“ ein selbstverständlicher Teil unserer Kultur sind, der viel zu wenig hinterfragt wird. In einem gewissen Sinne lebt in den lustigen Tiere weiter, was bezüglich der Comics für lange Zeit ganz allgemein angenommen wurde: Sie sind lustig, also müssen sie oberflächlich sein. Künstler wie Charles Schulz haben aus dieser Zuschreibung Profit geschlagen und mit ihren Figuren auf überraschende Weise Fragen zum menschlichen Dasein formuliert. Art Spiegelman hat die Tradition auf das Grauen der Shoa angewendet und damit eine ganz neue Erzähltradition im europäischen Comic begründet. Heutige Künstler*innen wie Anna Haifisch und Anne Simon sind sich ihrer Vorgänger bewusst, finden aber eigene Formen, die Tiere in Dienst zu nehmen. Nicht zuletzt soll auf unserem Podium auch die Frage gestellt werden, unter welchen Voraussetzungen diese Indienstnahme ethisch vertretbar ist, denn die Tiere werden natürlich nicht gefragt, ob sie in unserer Popkultur zu Projektionsflächen der menschlichen Selbstbetrachtung werden wollen.
Eine weitere Ausstellung wird sich mit Werken von Hamburger Debütant*innen beschäftigen: „Stadt, Wald, Ozean – 6 Comic-Debüts aus Hamburg“. Die sechs jungen Künstler*innen sind allesamt HAW-Absolvent*innen. Könnten Sie uns mehr über diese Schau und die beteiligten Künstler*innen verraten?
Die Tatsache, dass wir sechs Debüts in einer Ausstellung zeigen können, und diese in sechs verschiedenen Verlagen erscheinen, ist für sich betrachtet bereits bemerkenswert, weil es noch vor wenigen Jahren nicht möglich gewesen wäre. Die Anzahl der Künstler*innen, die sich auf Graphic Novels spezialisieren, hat sich erhöht, und auch die Möglichkeiten zur Veröffentlichung sind vielfältiger geworden. Inhaltlich sind die Geschichten von Jot Vetter, Julia Steinmetz, Kerstin Wichmann, Lena Steffinger, Noëlle Kröger und Sina Arlt sehr breit aufgestellt: von der Recherche zur eigenen Familiengeschichte über Fantasy und Science Fiction ist hier alles vertreten.
Wie in den letzten Jahren wird es auch 2024 wieder ein Familien-/Kinderprogramm geben. Der Kindercomic ist ein wachsender Markt in Deutschland und wird inzwischen auch vom Kulturbetrieb und der Pädagogik wahrgenommen – auf welche Weise hält dieser Trend in die Festivalarbeit bei Ihnen Einzug? Auf welche Programmpunkte dürfen sich die ganz jungen Festivalbesucher*innen und ihre Eltern freuen?
Unser Festival versucht, möglichst viele unterschiedliche Leser*innen anzusprechen, und Kinder zu erreichen ist uns besonders wichtig. Glücklicherweise entstehen durch Zeichner*innen wie Tanja Esch und Ayse Klinge tolle aktuelle Kindercomics in Hamburg, und mit dem noch jungen Verlag Kibitz haben sie in der Hansestadt auch eine verlegerische Heimat. In diesem Jahr kooperieren wir zudem noch enger als zuvor mit dem Lesefest Seiteneinsteiger und bespielen gleich zwei neue Orte: den Teepavillon Große Wallanlagen und die Rathauspassage.
Und zum Schluss noch: Ich werde Sie nicht nach einem Favoriten im Festivalprogramm fragen, aber hätten Sie vielleicht einen Geheimtipp für uns, einen Programmpunkt, den wir unter den vielen Veranstaltungen nicht übersehen dürfen?
Wir sind total glücklich, unsere Verkaufsmesse jedes Jahr im Kölibri am Hein-Köllisch-Platz abzuhalten, aber haben seit langer Zeit das Problem, dass wir vielen Aussteller*innen absagen müssen, weil der Platz einfach beschränkt ist. In diesem Jahr kommt mit dem Butt Club zum ersten Mal ein zweiter kleiner Ort dazu, und ich bin sehr gespannt, wie erfolgreich dies verlaufen wird. Gerade für Besucher*innen, die nicht in Hamburg wohnen, möchte ich zudem auf die Führungen hinweisen. Künstler*innen und Organisator*innen des Festivals erklären hier niedrigschwellig ihre Ausstellungen auf einem kleinen Spaziergang durch die Stadt, bei hoffentlich gutem Wetter. Alle Details zum Programm gibt auch auf unserer Webseite: comicfestivalhamburg.de.