„Poes ‚Rabe‘ war ein One-Hit-Wonder“

„Der Rabe“ von Edgar Allan Poe ist ein emblematisches Werk der schwarzen Romantik. 1845 erstmals veröffentlicht, machte es seinen Verfasser schlagartig berühmt und wurde seither vielfach interpretiert und zitiert. Der Ruhm sollte nicht von langer Dauer sein – nur vier Jahre nach Erscheinen von „Der Rabe“, im jungen Alter von 40 Jahren, verstarb Edgar Allan Poe unter bis heute ungeklärten Umständen. Zum 175. Todestag des Schriftstellers am 7. Oktober 2024 ist im Splitter Verlag eine illustrierte Ausgabe seines bekanntesten Werks erschienen.

Das Osnabrücker Künstler*innen-Paar Gaby von Borstel und Peter Eickmeyer („Im Westen nichts Neues“) hat zuletzt mit einer grafisch opulenten Hommage an den deutschen Lyriker Heinrich Heine von sich reden gemacht: „Heinrich Heine – Eine Lebensfahrt“. Mit „Der Rabe“ folgt ein weiteres Schwergewicht der Lyrik. Nicht zuletzt ist Eickmeyer und von Borstels Werk auch eine Hommage an den faszinierenden Raben-Vogel an sich und seine mannigfaltigen Rollen in der abendländischen Mythologie. Der Rabe, der für die Illustrationen Modell stand, heißt übrigens Konrad und lebt im Bielefelder Heimattierpark Olderdissen. Im Presse-Interview spricht Peter Eickmeyer über die Hintergründe des Projekts.

Liebe Gaby, lieber Peter, vielen Dank, dass ihr euch die Zeit nehmt, um mit uns über „Der Rabe“ zu sprechen. Zuletzt habt ihr 2023 mit „Heinrich Heine – Eine Lebensfahrt“ eine illustrierte Künstlerbiografie veröffentlicht, für die ihr auf wenigen Seiten einem ganzen Lebenswerk Herr werden musstet. In „Der Rabe“ beschäftigt ihr euch nur mit einem Werk, und trotzdem hatte ich das Gefühl, dass euer gesamtes Poe-Wissen mit hineingeflossen ist. Erzählt uns eingangs, was euch mit Edgar Allan Poe und seinem Werk verbindet: Wie lange begleitet euch dieser Autor schon, und was fasziniert euch so an ihm?

Es war im Herbst im Jahr 2023 – „Heine“ war schon veröffentlicht -, als wir bei einem Spaziergang im Nebel eine Schar Krähen auf einem Stoppelfeld sahen. Vermutlich kennt jeder die unheimliche, morbide Stimmung, die dieses Bild hervorruft. Und so war es nicht mehr weit bis zu „Der Rabe“ von Edgar Allan Poe. Natürlich kannten wir schon einiges von Poe. Aber eine eingehendere Beschäftigung mit seinem Werk begann mit unserer Idee, den Raben als illustriertes Gedicht umzusetzen.

Poe lebte in einer interessanten Zeit des Umbruchs, der sich auch in der Literatur zeigte. Er schöpfte aus der europäischen Bildung und war auch von der deutschen Romantik beeinflusst. Allerdings ist uns der Name Heinrich Heine bei Poe nicht untergekommen. Poe wurde eher eine Beeinflussung von E.T.A. Hoffmann unterstellt, worauf er jedoch unwirsch reagierte: Seine Texte kämen nicht aus Deutschland, sondern aus der Seele. Aber man kann Poe als Brückenbauer der Romantik zwischen Amerika und Europa sehen, denn seine Texte wiederum wurden in Europa von Charles Baudelaire entdeckt und übersetzt. Damit startete Poes Siegeszug in Europa.

Poe ist Wegbereiter der Moderne. Seine unheimlichen Geschichten, seine Schauergeschichten, die ja auch schon auf Sigmund Freud hinweisen, bringt er zur Perfektion. Neben diesen, die übrigens nur einen kleinen Teil seines Werkes ausmachen, gilt er als Vorläufer des Symbolismus, der Science Fiction und – nicht zu vergessen – der Detektivgeschichten. Jules Verne plante Poes einzigen Roman „Arthur Gordon Pyms Abenteuer“ zu Ende zu schreiben. Neben seiner suggestiven Art zu schreiben vertrat er dort ein anderes Vorgehen. Nämlich einer Sache rational auf den Grund zu gehen, und zwar mithilfe der Deduktion. Das war die Steilvorlage der Detektivgeschichten. Sir Arthur Conan Doyle sagte: „Wenn jeder Autor, der ein Honorar für eine Geschichte erhält, die ihre Entstehung Poe verdankt, den Zehnten für ein Monument des Meisters abgeben müsste, dann ergäbe das eine Pyramide so hoch wie die von Cheops.“ Es lohnt sich, im Werk von Poe auf Entdeckungsreise zu gehen. Wir jedenfalls sind fasziniert von seinem Werk. Wer weiß, ob ”Der Rabe“ nicht vielleicht nur ein Anfang ist.

Welchen Stellenwert hat „Der Rabe“ im Oeuvre von Poe? Was macht dieses kurze Gedicht (nur 18 Strophen) so zeitlos und universell?

Auf Neudeutsch würde man „Der Rabe“ ein One-Hit-Wonder nennen. Zeit seines Lebens kämpfte Poe um Anerkennung. Als Dichter lebte er von der Hand in den Mund, führte ein Hungerleben, immer auf der Jagd nach dem nächsten Dollar. Nur mit seiner Arbeit als Zeitschriftenredakteur und -kritiker konnte er überleben. Vergütet wurde ihm sein Gedicht übrigens lediglich mit 10 Dollar. Der Erfolg des „Raben“ hing auch direkt mit Poes Art des Vortrages, seiner Performance zusammen. Hier zitieren wir uns selbst: „Ein wenig wirkt Edgar Allan Poe selbst wie ein Rabe, wenn er sein Gedicht ‚The Raven‘ vor seiner Hörerschaft beschwörend deklamiert. Gänzlich schwarz gekleidet schlägt er einen geradezu hypnotisierenden Sprechgesang an, der die Zuhörer sofort in seinen Bann zieht. Gemeinsam heben sie ab!“

In Poes Werk und speziell in „Der Rabe“ geht es oft um subtile, diffuse, aber umso zerstörerischere Emotionen und Leidenschaften – in der Psychoanalyse würde man auch vom Unterbewussten sprechen. Wie seid ihr dabei vorgegangen, diese sehr spezielle Art des Grusels in Bilder zu übertragen? Könnt ihr uns ein bisschen über die Umsetzung und die Seitenarrangements erzählen, die zwischen Rabenstudien und einer Art „rotem Faden“ changieren, der dem namenlosen lyrischen Ich folgt?

Von Anfang an wollten wir das Gedicht zweisprachig veröffentlichen, im amerikanischen Original und in der deutschen Übersetzung. Wobei man von der deutschen Übersetzung nicht reden kann, denn es gibt zahlreiche, mehr oder weniger gelungene. Wir haben uns für Carl Theodor Ebens Version entschieden, da ihr Klangbild dem Original am ehesten entspricht. Rhythmus und Klang waren Poe – und dies speziell beim „Raben“ – besonders wichtig. Seine Kritiker nannten ihn sogar verächtlich den „Jingleman“.

Grundidee der visuellen Umsetzung war eine primär schwarz-weiße Bildsprache. Wobei der „Rabe“ das zentrale Bildelement werden sollte. Hinzu kam, dass in der deutschen Version der „Rabe“ schwarz auf weiß – also in seiner natürlichen Erscheinung – dargestellt wird und im amerikanischen Original die Rabenillustrationen negativiert werden. Was übrigens unserer Ansicht nach den Gruselfaktor noch erhöht. Die eigentliche Handlung des Gedichts wird anhand des roten Fadens umgesetzt. Viele linear miteinander verbundene Illustrationen bilden diesen wortwörtlichen roten Faden.

Generell ist der Rabe ein gern gesehener Gast in Mythen, Sagen und Prosa – ob als Bote aus dem Totenreich oder als Kompagnon von Odin. Was macht diesen Vogel so attraktiv für Dichtkunst? Was verbindet den Menschen mit dem Raben?

Sein Erscheinungsbild prädestiniert den Raben zwar für die Verkörperung des Bösen, zumindest scheint das in der westlichen Kultur so zu sein. Aber natürlich hat das mit dem Raben selbst nichts zu tun, sondern ist nur unsere Projektion auf ihn. Auch wird der Rabe global betrachtet wesentlich positiver gesehen. Unser Verhältnis zum Raben ist also höchst ambivalent. Der Rabe hat seinen schlechten Ruf nicht verdient. Im Anhang unseres Buches versuchen wir uns an einer Wiedergutmachung.

Peter, du hast in den letzten Monaten sicherlich so viele Raben gezeichnet wie noch nie zuvor. Was ist die größte Herausforderung beim Zeichnen eines Raben? Welcher der vielen Raben in eurem Buch ist deiner Meinung nach besonders gut gelungen?

Da können wir auf unseren Raben hinweisen, denn wir haben das Glück, dass in unserer Nähe im Heimattierpark Olderdissen ein stattlicher Kolkrabe namens Konrad lebt. Er diente als Modell und ließ sich im Gehege – mal mehr, mal weniger gut – in Pose zeichnen. Wir mögen sehr die Illustrationen des Raben auf der Büste. Und natürlich auch die, auf denen er „Nevermore“ schreiend den Schnabel aufreißt.

Habt ihr schon ein neues Projekt in der Mache?

Nach wie vor sind wir an unserem Langzeitprojekt Grimmelshausens „Simplicissimus“ dran. Ein weiteres Projekt ist in Planung, aber noch nicht spruchreif.

Peter Eickmeyer, Gaby von Borstel: Der Rabe/The Raven • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 64 Seiten • Hardcover • 18,00 Euro