In der satirischen Graphic Novel „Der große Zwischenfall“ der Zeichnerin Zelba entziehen sich die weiblichen Akte im Louvre den lüsternen Blicken des Publikums, indem sie unsichtbar werden.
Rebellion im Louvre! Die weiblichen Akte treten in Streik. Bis zum Hals steht es den unbekleideten Damen, die als Skulpturen oder Gemälde im weltgrößten Museum zu sehen sind. Jeden Tag bohren sich lüsterne Blicke wie Dolchstiche in ihre Blöße. „Es ist zum Kotzen“, klagt etwa die Statue der Psyche, einer Königstochter aus der griechischen Mythologie. Sie und ihre Leidensgenossinnen verbünden sich: Die weiblichen Akte entziehen sich Gaffern, indem sie plötzlich unsichtbar werden. „Der große Zwischenfall“, so die offizielle Sprachregelung, stellt das Direktorium des Museums vor ein Rätsel. Aus Hilflosigkeit und weil der Unsichtbarkeitsstreik viele Kunstwerke betrifft, macht der Louvre dicht.
So weit hätt’s gar nicht kommen müssen. Die Museumsleitung war gewarnt. Eine Angestellte, Servicekraft Teresa, staubt seit Jahrzehnten im Louvre ab und hat ein prima Verhältnis zu den musealen „Mädels“: „Für mich sind sie wie Freundinnen. Ich höre sie reden.“ Teresa hat mitbekommen, wie der Unmut unter den weiblichen Akten wuchs, wie sie klagten und ihren Streikplan schmiedeten. Als sie der Museumsleitung davon berichtete, nahm die es ihr selbstverständlich nicht ab. Sprechende Kunstwerke – so ein Quatsch! Um es abzukürzen: Irgendwann erhört man Teresa, der die Akte auch einen Ausweg aus dem Dilemma eingeflüstert haben: Einlass erhalten erwachsene Männer fortan nur noch splitternackt. Der Louvre wird für sie zum „FKK-Museum“!
Diese Pointe nehmen schon das Titelbild und die ersten Seiten des Comics „Der große Zwischenfall“ vorweg. Darin geht Autorin Zelba in Form einer reichlich turbulenten, überdrehten Satire ein ernstes Thema an: den Umgang mit weiblichen Akten in der Kunst. Eingerahmt von Slapstick, radebrechenden Reimen und hysterischen Fachleuten enthält der Comic auch einen sachlichen, informativen Teil. Hier führt eine fiktive Kunsthistorikerin kurz in die Geschichte der weiblichen Akte ein. Sie stellt heraus, dass solche Kunstwerke „zumeist auf Posen der Unterwerfung und Erniedrigung begrenzt“ seien. Frauen werden dort Männern ausgeliefert, zur Schau gestellt, begrapscht oder gleich vergewaltigt. In einer Zensur, also beispielsweise darin, weibliche Akte aus öffentlichen Hallen zu verbannen, wie es radikale Aktivistinnen wünschen, sieht die Expertin keine Lösung. Sie empfiehlt, den „Werkskontext“ stärker in den Vordergrund zu stellen – was genau hinter der jeweiligen Darstellung einer entblößten Frau steckt. So hofft sie, den kritischen Blick aller Betrachtenden zu schärfen.
Ob damit das Gaffen beendet wäre? Oder eher mit einem Entkleidungsgebot für Männer, wie es Zelba in „Der große Zwischenfall“ vorschlägt? Klar, ernst meint sie das nicht. Ihr drastischer Vorschlag regt aber dazu an, darüber nachzudenken, wie mit weiblichen Akten würdiger umzugehen sein könnte. Das ist wichtig. Darüber, ob es hilfreicher gewesen wäre, die Problematik nüchterner anzugehen, lässt sich sicher diskutieren. Zumal Humor ja immer polarisiert, und hier schleicht er nicht auf leisen Sohlen, sondern poltert kräftig mit teils deftigen Sprüchen. In Frankreich kam das gut an. Dort hat „Le grand incident“, wie der Band im Original heißt, mehrere Auszeichnungen erhalten, darunter 2024 den renommierten Prix Artemisia in der Kategorie Humor. Mit dem Preis würdigt eine Jury jedes Jahr besondere Comics aus Frauenhand.
Auf Deutsch ist „Der große Zwischenfall“ gerade erst erschienen, obwohl Zelba in Deutschland zur Welt gekommen ist. Doch sie lebt seit 1998 im französischen Saint-Etienne. Unter ihrem Geburtsnamen Wiebke Petersen und als Illustratorin betreibt sie eine Website, aber hat sich als Zelba in der Comicszene mit ihrer autobiografischen Wendezeit- und Ruderinnengeschichte „Im selben Boot“ (Schreiber und Leser, 2020) einen Namen gemacht. Darin ging es ernster zu als in ihrem neuen Comic, der gerne ins Absurde abdriftet. Nach dem „großen Zwischenfall“ findet die Wiedereröffnung des Louvre mit nackten Männern statt und mit einer Feier. Auf der wirbt eine Rednerin dafür, dass sich – um der Gleichstellung der Geschlechter willen – auch alle Frauen ausziehen sollten. Sie, die französische Präsidentin, macht es gleich auf der Bühne vor!
Zelba: Der große Zwischenfall • Aus dem Französischen von Silv Bannenberg • Helevtiq Verlag, Basel/Schweiz 2025 • 128 Seiten, Hardcover • 25 Euro
Jürgen Schickinger hat seine ersten Artikel über Comics im Jahr 1981 für das Fachmagazin „Comic Art“ geschrieben. Danach folgte ein Studium, das er zu einem guten Teil mit dem Verkauf von Comics auf Flohmärkten finanziert hat. Zwangsläufig wuchs dabei die eigene Sammlung. In dieser Zeit sind auch weitere Comic-Artikel von ihm in verschiedenen Fanzines und Büchern erschienen. Nebenher hat er einige Jahre im Fachhandel gejobbt. Seit 1999 betreut er für die Badische Zeitung in Freiburg als freier Autor unter anderem das Themengebiet Comics, Graphic Novels, Cartoons und verwandte Grafik.