Schöne hohle Welt – Edgar Rice Burroughs‘ „Das vergessene Land“

„Das vergessene Land“ ist der Auftakt einer Reihe mit Comic-Adaptionen der Pulp-Klassiker von Edgar Rice Burroughs. Gerade ist mit „Tarzan bei den Affen“ ein zweiter Band erschienen.

Mit „The Land That Time Forgot” lieferte Edgar Rice Burroughs 1917 das neben “The Lost World” von Arthur Conan Doyle sicherlich bekannteste Beispiel des Pulp-Motivs einer Urzeitwelt, die sich in einem versteckten Winkel der Erde erhalten hat und von modernen Forschern erobert wird. Burroughs, der sich 1911 mit dem John-Carter-Abenteuer „A Princess of Mars“ und 1912 mit den ersten Tarzan-Storys zu reüssieren begann, setzte auf ein bewährtes Muster: Ein westlicher, bevorzugt amerikanischer oder englischer Abenteurer gerät in eine exotische Welt (John Carter erkundet den Mars, Tarzan – bekanntlich der englische Adlige Lord Greystoke – ein frei erfundenes Afrika), muss sich gegen Kroppzeug und Feinde aus den eigenen Reihen erwehren, verliebt sich in eine hübsche Frau (wahlweise ebenfalls Forscherin oder Ureinwohnerin) und bringt die Werte der alten Welt in die Wüstenei.

So fand sich das in Variation nicht nur 1914 schon in Burroughs‘ eigener Romanreihe „At the Earth’s Core“, in der Forscher im Hohlerde-Land Pellucidar allerlei Kreaturen antreffen, sondern auch bei einem illustren Kollegen: Was bei Conan Doyles Professor Challenger das unzugängliche Hochplateau in Südamerika, das ist bei Burroughs ein lange erloschener Vulkan, der weiterhin für Wärme sorgt. Gewürzt wird das Geschehen mit antideutscher Tendenz, die Burroughs nationalistischer Überzeugung geschuldet ist: Die Deutschen erscheinen als Barbaren, die ohne zu zögern ein ziviles Schiff versenken (was tatsächlich 1915 mit der Zerstörung des Passagierschiffs Lusitania geschehen war) und auch sonst den Ehrenkodex gerne mal missachten.

Spannend erscheint vor allem der Kunstgriff, dass auf Caprona menschliche Wesen in verschiedenen Entwicklungsstadien existieren, sprachfähige Alus neben mehr oder weniger menschenähnlichen Galus: Die Evolution von Affenmenschen über Cro Magnon bis hin zum Neandertaler wird quasi im Brennglas gleichzeitig vorgeführt, was durchaus populären zeitgenössischen Theorien der Anthropologie entnommen sein dürfte. Burroughs, der seine Romane niemals als hohe Literatur, sondern als reine Unterhaltung sah, konzipierte die Caprona-/Caspak-Saga in drei Teilen, in denen jeweils ein anderer Protagonist agiert und die ab August 1918 im Pulp Magazin „Blue Book“ erschienen, bevor dann 1924 die erste Gesamtausgabe herauskam. 1974 versuchte sich das auch Kino – allerdings recht erfolglos – an einer Umsetzung (Kevin Connors Leinwandfassung zeichnet sich vor allem durch hölzerne Darstellung und ungelenke Plastiksaurier aus).

1975 erschien eine erste Comic-Fassung, gefolgt von dem bizarren Crossover „Zorro in the Land That Time Forgot“ (kein Scherz!) und weiteren Umsetzungen. Vielschreiber Éric Corbeyran bringt nun in „Das vergessene Land“ die beiden weitgehend in sich abgeschlossenen ersten Storybögen um den Entdecker Bowen und den Verwalter Billings, der sich auf seine Spuren begibt, nutzt die wirksamen Pulp-Elemente (exotische Settings, atemlose Handlungssprünge, Action auf jeder Seite) und schmiedet daraus ein flottes, unterhaltsames Lesevergnügen. Die Umsetzung durch Gabor (dahinter verbirgt sich der Spanier Gabriel Lopez) gefällt dabei im klassischen Abenteuer-Stil, der die prähistorische Welt eindrucksvoll zum Leben erweckt. Die vorliegende Ausgabe bringt als Splitter Double beide Bände in einem Aufwasch. Sehr schön! Soeben ist mit „Tarzan bei den Affen“ der nächste Band der Burroughs-Reihe erschienen.

Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.

Eric Corbeyran (Autor), Gabor (Zeichner): Das vergessene Land • Splitter Verlag, Bielefeld 2024 • 120 Seiten • Hardcover • 25,00 Euro

Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.