Jean Dufaux und Jaime Calderón aktualisieren Edgar Allan Poes berühmte Kurzgeschichte „Der Untergang des Hauses Usher“ nicht als werkgetreue Adaption, sondern als augenzwinkernde Metafiktion, in der Poe selbst auftritt.
Damon Price frönt dem Glücksspiel, wird dabei allerdings vom Pech verfolgt. Als er sich wieder einmal Geld bei der Prostituierten Nina leiht, lädt ihn eine finstere Kutsche zum Einsteigen ein, was er erschreckt ablehnt. Als ihm die Gläubiger allerdings zu Leibe rücken, springt er doch in das düstere Gefährt und erreicht nach einer fiebrigen Nacht das Haus seines Cousins Roderick Usher. Der berichtet ihm, dass seine Schwester Madeline vor kurzem unerwartet verstorben sei. In der ersten Nacht glaubt Damon die Tote zu sehen und folgt der Erscheinung, die im See verschwindet. Vom Hausarzt erfährt Damon, dass Roderick dem Opium verfallen war und seit dem Tod der Schwester mehr und mehr in den Wahnsinn abrutscht. Als Damons Gläubiger auf dem Anwesen eintreffen, tötet Usher im Wahn seinen Hausarzt, und die Toten verlassen ihre Gräber.
Mit „The Fall of the House of Usher“ schrieb Edgar Allan Poe 1839 eines seiner bekanntesten Werke. Durchzogen von den Poe-typischen Motiven Adelsdekadenz, Wahnsinn, Wiederkehr einer verstorbenen jungen Frau und Taphephobie, entfaltet sich die Geschichte um das Haus, das den sich auflösenden Realitätssinn des Hausherrn und dessen Verfall bis zum vollständigen Zusammenbruch selbst spiegelt. Statt einer werktreuen Adaption wählen Jean Dufaux und Jaime Calderón bei ihrer Umsetzung einen anderen Weg: Sie lassen Poe selbst auftreten. In einer finsteren Kaschemme trifft Damon den Autor, der alles über ihn zu wissen scheint und behauptet, dass sich seine Figuren selbständig machen. In dem Pub feiert man Poes neuestes Werk „The Raven“, der es – ganz wie in der Realität – wiederholt öffentlich rezitiert. Auch spielt er mehrfach auf weitere Werke aus seiner Feder an und frönt dem Morphium.
So entsteht eine doppelbödige Variante der Motive der Erzählung, die um eine Hommage an die fulminanten Plüsch-Leinwand-Umsetzungen durch Roger Corman ergänzt wird: Damons Nachname Price verweist auf den theatralischen Titan Vincent Price, und auch finale Einstellung des niederbrennenden Hauses ist der Corman-Verfilmung entlehnt. Als Dreingabe findet sich sogar Poes Kurzgeschichte im Anhang – samt dem Gedicht „The Haunted Palace“ und Rodericks entsetztem Ausruf: „Madman! I tell you that she now stands without the door!“ „Das Haus Usher“ ist eine originelle Umsetzung des Stoffs, die den Schauer der Vorlage auf eine neue Ebene hievt.
Dieser Text erschien zuerst auf Comicleser.de.
Jaime Calderon (Zeichner), Jean Dufaux (Autor): Das Haus Usher • Aus dem Französischen von Hanna Reininger • Splitter Verlag, Bielefeld 2025 • 72 Seiten • Hardcover • 19,80 Euro
Holger Bachmann ist Autor diverser Bücher und Aufsätze zur Film- und Literaturgeschichte. Neben Comicleser.de schreibt er auf kühleszeug.de über Konzerte und geistvolle Getränke.