Auf dem diesjährigen Comicfestival Hamburg wurden die Preisträger*innen des 7. GINCO Award bekanntgegeben. Dies sind die Gewinner*innen (die Laudationen finden sich auch hier auf der GINCO-Website):
Langcomic/Einzelband
Aglæca
von Michèle Fischels
„Aglæca“ von Michèle Fischels ist nicht nur unser One-Shot Comic des Jahres, sondern eines dieser Werke, welches einen mit einer frechen Leichtigkeit in eine neue Welt entführt. Durch seinen eleganten, fließenden Zeichenstil, der die Panelgrenzen verschwimmen lässt, und die ebenso Hand in Hand gehenden Dialoge ist man mit dieser Geschichte schneller durch, als einem lieb ist. Ist das Ende ein Cliffhanger oder das perfekte Ende für eine Geschichte voller Geheimnisse über Monsterjäger, verwunschene Kinder und mutige Mädchen? Wo bleibt der Netflix-Deal? Wann folgt ein Point & Click-Adventure? Egal in welcher Form, wir wollen mehr von dieser Welt und ihren Figuren erfahren, und ist das nicht das tragisch-schöne an guten One-Shots? Wir bekommen nur einen kleinen Einblick, und wenn er so gut ist wie bei „Aglæca“, wollen wir mehr und wissen, aber es bleibt bei diesem einen verbotenen (An)blick.
Veröffentlicht als Shortbox Comics Fair Beitrag 2024
Kurzcomic
Oozyte
von David Füleki
Man hört ständig die Redewendung “Die besten Geschichten schreibt das Leben”. Aber auch sehr oft die schwersten und traurigsten. Wir lesen Comics, um ins Fremde zu flüchten, mögen aber das Vertraute, Nahbare, Zwischenmenschliche und eine Prise Hoffnung. David Fülekis „Oozyte“ ist ein Short Comic ohne Worte. Und trotzdem spricht er alle Spiegelzellen im Gehirn an. Füleki beschreibt in „Oozyte“ eine Reise, die mit Worten selbst nicht zu beschreiben ist. Ein lange unerfüllter Wunsch, ein ständiges Auf und Ab zwischen Hoffen, Bangen und Enttäuschung. Diese Achterbahn der Emotionen durchlebt der Leser ebenfalls in diesem Kurzcomic. Durch das geschickte Storytelling wird erst mit dem letzten Panel klar, welche Reise hier begleitet werden durfte und trifft dadurch direkt ins Herz. „Oozyte“ ist eine wunderschön gezeichnete Geschichte über die großen Wunder des Lebens und wird damit zu Recht ausgezeichnet mit dem diesjährigen GINCO Award in der Kategorie Kurzcomic.
Veröffentlicht im Magazin „Comics & Mehr“ #108
Fortlaufender Comic
Miles & Sally
von Thilo Krapp
In „Miles & Sally“ nimmt uns Autor Thilo Krapp mit auf eine Reise, in der eine Handvoll Auserwählter der Zerstörung der Erde entkommen und in einem Raumschiff auf dem Weg zu einer neuen Heimat sind. Als aufgrund eines Notfalls die KI den Piloten Miles Brekel unerwartet aus dem Kryoschlaf holt, ist dieser nicht minder überrascht, dass sein Co-Pilot nicht der ist, den er erwartet hatte. Und so darf der Leser Miles und seinen blinden Passagier Sally dabei begleiten, wie diese den widrigen Alltag auf dem Raumschiff meistern und nicht nur Schritt für Schritt mehr zueinander finden, sondern auch Neues über sich selbst herausfinden. „Miles & Sally“ berührt durch sein dichtes und spannendes Kammerspiel, dass von Seite 1 an in seinen Bann zieht. Das bemerkenswerte Storytelling trifft genau das richtige Tempo und wirft diverse wichtige Themen auf, mit denen die Protagonisten lernen müssen, umzugehen. Die berauschenden und atmosphärischen Zeichnungen von Thilo Krapp erinnern an Sci-Fi-Klassiker und geben der bedrückenden Leere des Raumschiffs genug Raum. Und so wird der Leser immer weiter in die Umlaufbahn dieses spannenden Langcomics gezogen, bei dem am Ende das Verlangen nach mehr steht.
Veröffentlicht im Eigenverlag
Manga Spotlight
Sturm ist erst Band 4
von Mandy Jensen
„Sturm ist erst“ ist die Geschichte der Studenten Jonas und Fritjof und ihrem liebenswerten Freundeskreis vor der Atmosphäre einer nördlichen Hafenstadt. Es erzählt von einer innigen Freundschaft, aus der sich eine einseitige Liebe entwickelt. In Band 4 wird sich Jonas seiner Gefühle bewusst, und sie verleiten ihn, etwas zu wagen… (aber shht). Mandy Jensen hat verstanden, warum wir Manga lieben, und das Geheimnis des Manga-Zeichnens entschlüsselt. Und ja, wir haben gelächelt und eine Menge Herzklopfen bekommen. Mandy Jensen weiß ganz genau, wie sie uns mit ihrem warmen und harmonischen Stil, der durch die gekonnten lässigen Schattierungen nur noch unterstrichen wird, verzaubern kann. Sie erlaubt uns, in die intimsten Gefühle ihrer Figuren einzutauchen, die wir unbedingt noch lange im Herzen behalten wollen.
Veröffentlicht auf Animexx
Zine
Silence 1+2: SciFi + Horror
von Nikolai Solowjow, Isago Fukuda, Audrey Lefebvre, Frieda Kunert, Bruno Giannori, Wilbert van der Steen sowie Natalie Heinrich & Paul Winck (Cover)
In der Kategorie Zine hat sich die GINCO-Jury entschieden, „Silence“, herausgebracht im Berliner MOOM Verlag von Lukasz Majcher, auszuzeichnen. Sechs unterschiedliche SciFi- und Horror-Comics überzeugen durch einfühlsame Geschichten und eine eindrucksvolle Bildsprache, die keiner Sprechblasen und Texte bedarf. ‘Silence’ – die Stille – ist die große Stärke dieser Anthologie. Sie ist ein großartiges Beispiel dafür, dass spannende, berührende und unheimliche Erzählungen keiner großen Worte bedürfen. Die künstlerische Leistung der Arbeiten ist jedoch alles andere als still oder schweigsam. Jede*r einzelnen Comic-Künstler*in, die zu diesem Band beigetragen hat, gelingt es auf nur wenigen Seiten, Verletzlichkeit, Verzweiflung, Liebe, Lust und Hoffnung im ganz eigenen Stil grafisch darzustellen und den queeren Charakteren eine Stimme zu geben. Die Geschichten der aus den Niederlanden, Deutschland und Großbritannien stammenden Künstler*innen Nikolai Solowjow, Isago Fukuda, Audrey Lefebvrein, Frieda Kunert, Bruno Giannori und Wilbert van der Steen werden von den einprägsamen Cover-Gestaltung von Natalie Heinrich (SciFi) und Paul Winck (Horror) eingerahmt. Alle Künstler*innen spielen gekonnt mit den Merkmalen des jeweiligen Genres: dystopische Landschaften, futuristische Technologien, Raumfahrt, Ekel, Body Horror, verwunschene Schlösser und groteske Monster. Der Verzicht auf Text in „Silence“ bedeutet das Überwinden von Sprachbarrieren und eröffnet die wunderbare Möglichkeit einer internationale Leserschaft. „Silence“ stellt auf eindrückliche Weise die Stärke des Mediums Comic dar, indem die Bildsprache zur lingua franka wird. Damit wird diese Anthologie dem Motto des Verlags „Queer Comics for Everyone!“ mehr als gerecht.
Veröffentlicht im Indie-Verlag „Moom Comics“ (Lukasz Majcher)
Herzenscomic
Meute
von Noëlle Kröger
Noëlle Kröger erzählt in „Meute“ eine Allegorie darüber, wie eine Gesellschaft mit Vielfalt umgeht – gewaltsame Abgrenzung, wissenschaftliche Erforschung, Solidarität oder vollkommene Akzeptanz und Integration. Kröger verdeutlicht über die Metapher der Werwölfe, dass die Akzeptanz von Menschen mit diverser Genderidentität nicht über Unterdrückung und Anpassung an binäre Normen geschehen kann, sondern dass die Gesellschaft sich öffnen und ihre binären Normen hinterfragen muss. Krögers Graphic Novel ist bereits durch dieses vielschichtige Storytelling und das relevante gesellschaftliche Thema als ein „wichtiger Comic“ anzusehen. Aber auch auf zeichnerischer Ebene ist „Meute“ vielseitig und beeindruckend konstruiert. Die Kombination der Verwendung von wiederkehrenden Farbthemen und eine wechselnde Linienführung, die zwischen wild, lebendig, sanft und witzig hin- und herschweift, transportiert die Atmosphäre intuitiv. „Meute“ ist rundum stimmig und verdient deswegen die Auszeichnung als „Herzenscomic“.
Veröffentlicht bei Reprodukt
