Ganoven und Fußballstars – „Hau die Bässe rein, Bruno!“

Seit einem Vierteljahrhundert zählt er zu den gern gelesenen und preisgekrönten Stars der Comic-Szene Frankreichs. In Deutschland aber ist Baru, der 1947 als Hervé Barulea in Lothringen geboren wurde, nie über den Status des ewigen Geheimtipps herausgekommen. Woran das liegt? Vielleicht an seinen Sujets, die ein gewisses Interesse an der Kultur und Geschichte unseres Nachbarlandes voraussetzen? Oder daran, dass seine Werke auf Deutsch nur sporadisch und in verschiedenen Verlagen erschienen sind? Inzwischen hat sich die kleine Wuppertaler Edition 52 des Zeichners angenommen und scheint ihm auch treu zu bleiben: Nach „Wut im Bauch“ (2005) und „Elende Helden“ (2008) lag 2011 „Hau die Bässe rein, Bruno!“ vor. Und man darf sagen: Das war einer der Comics des Jahres!

Mehrere Schicksale lässt Baru sich hier kreuzen. Da ist zunächst Zinedine. Mit Zidane, dem französischen Fußballgott, teilt er den Vornamen, ansonsten nichts. Er ist ein kleiner Vorstadtgauner, äußerst gewaltbereit und nicht gerade mit Grips gesegnet. Dennoch hat er einen großen Plan. Kaum aus dem Gefängnis entlassen, gelingt es ihm, den Gangster Fabio, der eigentlich zufrieden im Ruhestand lebt, zum Überfall auf einen Geldtransporter zu überreden. Fabio heuert zwei weitere alte Herrn an: seinen halbseidenen Schwager Paul und Gaby, einen Veteranen des Algerienkrieges, der sich auf Sprengstoffe versteht wie kein Zweiter. Der Job wird perfekt geplant und geht glatt über die Bühne – bis sich herausstellt, dass Zinedine insgeheim immer vorhatte, die erbeuteten acht Millionen komplett für sich zu behalten.

Baru (Text und Zeichnungen): „Hau die Bässe rein, Bruno!“.
Aus dem Französischen von Uwe Löhmann.
Edition 52, Wuppertal 2011. 128 Seiten. 22 Euro

Und dann ist da Slimane. In einem Dorf irgendwo in Afrika fristet er ein kärgliches Dasein als Schneider. Als eines Tages Osman vorbeireist, der es beim FC Metz zu Ruhm gebracht hat, führt Slimane vor, wie genial er mit dem Fußball umgehen kann. Osman ist von dem jungen Mann völlig begeistert und fordert ihn auf, nach Frankreich zu kommen. Also schmuggelt Slimane sich an Bord eines Flugzeuges – nur um im Land seiner Sehnsucht als illegaler Hilfsarbeiter schuften zu müssen, ständig in der Angst lebend, von der Polizei erwischt und abgeschoben zu werden. In einer Nacht schließlich, als er wieder einmal Hals über Kopf auf der Flucht ist, läuft Slimane auf einer einsamen Landstraße vor das Auto von Fabio und Paul.

Die Souveränität, mit der dies alles miteinander verknüpft wird, ist außerordentlich; allein sie bereitet bei der Lektüre schon großes Vergnügen. Sympathisch ist, dass alle genannten Figuren gleich wichtig sind; auf ihre Darstellung wird dieselbe Sorgfalt und Aufmerksamkeit verwendet.

Zugleich versteht Baru sich auf ein raffendes, andeutendes Erzählen, das den Leser zum Mitdenken und Ergänzen auffordert. Um Slimanes Weg von seinem Dorf zum Flughafen in Europa wiederzugeben, genügen 13 Panels auf drei Seiten. In einer späteren Szene versteckt der Junge sich in einem Autowrack, als plötzlich jemand eine Pumpgun auf ihn richtet. Wem die Waffe gehört, wird nicht gezeigt. Erst einige Seiten weiter wird klar, dass Slimane bei einer Gruppe von Frauen untergekommen ist, die einen Schrottplatz leiten.

Auch in visueller Hinsicht geht es ausgesprochen dynamisch zu. Baru fängt seine Figuren gerne in Momenten höchster Bewegung ein. Wenn Slimane seine Gegner ausspielt, gleicht er mit seinen graziösen Sprüngen einem Nurejew des Fußballs, und die Wutanfälle in Zinedines Gesichtszügen verwandeln diesen in die Funny-Version eines Rumpelstilzchens.

Überhaupt ist die Mimik Baru sehr wichtig; Gesichter rücken immer wieder ins Zentrum seiner Panels. Die expressiven Verzerrungen, die er sich gestattet, weisen auf den prägenden Einfluss hin, den José Muñoz hinterlassen hat. Doch liegt Baru die Melancholie des Argentiniers fern; die grotesken Visagen in „Hau die Bässe rein, Bruno!“ zeugen vielmehr von Vitalität und schlitzohriger Lebenslust.

Gegen Ende erinnert Baru einer ganzen Reihe von Leuten, die ihn vor vielen Jahren zum Lachen gebracht haben und dies, wie er versichert, immer noch tun. Es folgt ein „Who’s who“ der französischen Gangsterkomödie der sechziger Jahre, darunter Zeichnungen des Regisseurs Georges Lautner, des Drehbuchautors Michel Audiard, der Schaupieler Lino Ventura und Mireille Darc. „Hau die Bässe rein, Bruno“ ist eine Hommage an sie, aber eben nicht nur. Eine Figur wie Slimane wäre in dieser untergegangenen Kinowelt undenkbar. Das macht Baru zu einem großen Comic-Künstler: In der Vergangenheit ist er so zu Hause wie in der Gegenwart, und die prächtige Unterhaltung, die seine Graphic Novel bietet, schließt den wachen Blick auf soziale Missstände mit ein.

Dieser Text erschien zuerst am 18.6.2011 in der taz.

Christoph Haas lebt im äußersten Südosten Deutschlands und schreibt gerne über Comics, für die Süddeutsche Zeitung, die TAZ, den Tagesspiegel und die Passauer Neue Presse.