In ihrer Graphic Novel erzählen der Autor Zidrou und die Comickünstlerin Aimee de Jongh vom Älterwerden und der Einsamkeit, wenn man dabei alleingelassen wird.
Wenn alles einigermaßen gut läuft, werden wir alle alt. Meist früher als es uns lieb ist. So geht es auch Mediterranee Solenza, Anfang 60 und Ulysses Varennes, Ende 50. Sie war früher Model, nie verheiratet, hat keine Kinder und führt in Lens ein Käsegeschäft. Gerade hat sie ihre Mutter bis zu deren Tod betreut. Er war zeit seines Lebens Möbelpacker und wurde gerade vorzeitig in den Ruhestand geschickt. Bereits vor Jahren starb seine Frau, auch seine Tochter lebt nicht mehr. Sein Sohn ist Arzt und viel beschäftigt. Von ihren wichtigen Aufgaben plötzlich entbunden, werden beide in einen luftleeren Raum entlassen, den sie nun wieder füllen müssen. Während Mediterranee in Gedanken versunken über ihr Alter sinniert, versucht Ulysses krampfhaft, neue Beschäftigungen für seine nun reichlich vorhandene Zeit zu finden. Bis sich die beiden im Wartezimmer der Praxis seines Sohnes begegnen. Beide finden sich sofort sympathisch und verstehen sich blendend. Dann besucht Ulysses sie in ihrer Käserei, weitere Dates folgen. Schließlich werden die beiden ein Paar und erleben bald darauf eine faustdicke Überraschung…
In seiner Graphic Novel erzählt der im Moment schwer angesagte und vielseitige Autor Zidrou (u.a. „SHI“, „Die Adoption“, „Die neuen Fälle von Rick Master“) vom Älterwerden und der Einsamkeit, wenn man dabei alleingelassen wird. Dazu schildert er anfangs in parallelen Erzählsträngen wie Mediterranee ihre Mutter und Ulysses seine Arbeit verliert. Beide geben dabei Einblicke in ihr Innenleben und lassen melancholisch prägende Stationen ihrer Geschichte Revue passieren oder sinnieren über das Alter. Dabei ist Ulysses kein Kind von Traurigkeit – regelmäßig besucht er eine Gelegenheitsprostituierte, mit der er inzwischen ein freundschaftliches Verhältnis pflegt. Mehr aber auch nicht. Mediterranee, die in den Siebzigern für ein Männermagazin posierte (das Ulysses in einem Antiquariat später ausfindig und ihr in einer wunderbaren Szene zum Geschenk macht), schätzt seine direkte, manchmal frivole, aber immer liebenswerte Art. Als sie sich in Kapitel 3 begegnen, spüren beide gleich, dass sie gegenseitig die Leere des anderen ausfüllen. Es funkt sofort.Bei seiner Liebesgeschichte geht Zidrou angenehm natürlich und unprätentiös vor. Und nimmt dabei dennoch kein Blatt vor dem Mund. Liebe im Alter, kein Problem. So soll und muss das auch sein. Die Darstellungen, auch die ungeschönten Blicke auf die nackten Körper, kommen ohne jegliche plakative oder gar voyeuristische An- und Absichten daher. Immer ist die Geschichte warmherzig erzählt und voller Details aus dem früheren Leben von Mediterranee und Ulysses, ob tragisch oder eher kurios, die auch gerne mit einem Augenzwinkern aufgearbeitet werden.
Gegen Ende verpasst Zidrou seiner Geschichte einen etwas kuriosen, märchenhaften Touch. Oder ein süßes Happy End. Je nachdem. Und dann wird auch klar, dass der Titel des Bandes alles andere als negativ gemeint ist. Gefühle altern, bleiben aber dennoch gleich und frisch. Gezeichnet ist der Band von der Holländerin Aimée de Jongh, Jahrgang 1988 (Zidrou ist fast im Alter seiner Protagonisten), die einen angenehmen, unkomplizierten, dabei aber ausdrucksstarken Stil pflegt. Und selbst das sonst so markante Splitter-Logo ordnet sich dem Design des Bandes unter.
Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de
Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.