Space Opera meets Neo Noir – „Warship Jolly Roger“

Die Figurenkonstellation ähnelt der des Personals aus „Guardians of the Galaxy“. Der Trupp in Sylvain Runbergs jüngst bei Splitter gestarteten SF-Serie „Warship Jolly Roger“ mag zwar weniger exotisch sein, dafür ist er deutlich kaputter: Vier Outlaws, allesamt menschlich und aufgrund ihrer gemeinsamen Flucht während einer Gefängnisrevolte aneinander gebunden, kämpfen sich durch eine futuristische, als demokratisches Staatenbündnis gerierende Militär-Diktatur. Vier gejagte Charakterköpfe, mehr oder minder: ein Junge ohne Geschichte namens Dreizehn, der nie spricht, über paranormale Fähigkeiten verfügt und den Namen seinem Alter verdankt; die militante Rebellin Alisa Rinaldi; der großmäulige Schmuggler Nikolai Kowalski und schließlich der Charismatiker des Quartetts, der ehemalige Colonel Jon Tiberius Munro, ein Bauernopfer, das für ein Massaker des Regimes der Öffentlichkeit als Verantwortlicher verkauft wurde und deswegen auf Rache am skrupellosen Präsidenten Vexton sinnt. Seine tragische Biografie prädestiniert ihn zur Hauptfigur des abtrünnigen Haufens.

Mit „Orbital“ (ebenfalls bei Splitter erschienen) hat Autor Runberg eine der interessantesten französischen SF-Serien der letzten Jahre geschaffen. Auf deren deutlich politischeren Fokus – in „Orbital“ wird die Frage, mit welchen diplomatischen Krisen sich eine spezienübergreifende Konföderation im Innern konfrontiert sieht, sehr ernst mit jedem Band variiert – verzichtet er in „Warship Jolly Roger“ zugunsten eines dynamischen Action-Settings. Die Schusswechsel und Verfolgungsjagden, das zentrale Rache-Motiv, kurzum alles, was die Erzählung in diesem Genre-Sinne in Bewegung hält, stabilisiert Runberg zugleich mit einem Schuss Suspense: Einer der vier Delinquenten entpuppt sich, vom Rest unbemerkt, als sadistischer Psychopath, was uns Lesern die unbequeme Rolle der stillen Mitwisser zuweist.

Seine Herkunft aus dem Animationssektor ist den Zeichnungen Miki Montllós deutlich eingeschrieben, der bereits für die Kurzgeschichtensammlung „Orbital: Aufzeichnungen„ mit Runberg zusammenarbeitete. Komplexe Hintergründe, die durch das Spiel mit Licht und Tiefenschärfe einen Wahrnehmungsnebel andauernder Bedrohung evozieren, verbreiten in Verbund mit dem stets etwas gehemmten Farbeinsatz eine harte Neo-Noir-Atmosphäre. Von Jon Tiberius Munro, dem einäugigen Last Boy Scout mit großer Mission, lässt man sich gerne durch diese moralisch marode Zukunft, die den Gipfel ihres Verfalls hinter monumentale Technik verbirgt, navigieren.

Sylvain Runberg, Miki Montlló: Warship Jolly Roger. Band 1: Ohne Wiederkehr. Splitter, Bielefeld 2015. 56 Seiten. 14,80 Euro