Psychedelische SF-Klassik neu entdeckt – „Lone Sloane“

Die_sechs_Reisen_Cover_mittelDie 70er Jahre waren, je nach geografischer Lage, ein Jahrzehnt der ästhetischen Aufbruchsstimmung – oder ihrer Konsolidierung. In Frankreich begann der Glanz der Nouvelle Vague bereits etwas zu verblassen, in den USA hingegen markierte das New Hollywood die aufregendste kreative Phase des amerikanischen Films. Im Comic mischte Robert Crumb mit seinen selbstverlegten „Zap“-Comix den Betrieb auf, Art Spiegelman veröffentlichte erste „Maus“-Versuche und Will Eisner labelte 1978 seinen Comic „A Contract with God“ als Graphic Novel, um dem Medium nicht nur neue Märkte, sondern auch eine angemessene Reputation zu erschließen.

Der europäische Comic steckte seinerzeit knietief in den Konventionen der Genreformeln fest. Dies und der Rückenwind der 68er-Kämpfe sollte ihn letztlich im besonderen Maße zu neuen Höhen treiben. In der französischen Jugendcomiczeitschrift Pilote, damals unter der Chefredaktion René Goscinnys, testeten die jungen Wilden ihre Grenzen aus. Darin erschienen auch erstmals die Kurzgeschichten um „Lone Sloane“, eine SF-Figur Philippe Druillets. Druillet, 1944 in Toulouse geboren, war damals gerade mal Anfang zwanzig und ein enger Freund Moebius’, der seinerseits (noch als Jean Giraud) mit „Blueberry“ bereits dem frankobelgischen Western neue Härte injizierte. Aber erst ihre 1975 gegründete Zeitschrift Métal Hurlant sollte die Bandbreite der kreativen Innovation offenbaren, immerhin eines der wenigen Erwachsenencomicmagazine, das mit Heavy Metal in den USA und dem deutschen Schwermetall sogar internationale Ableger hervorbrachte.

Druillet und Moebius gelten heute selbstverständlich als Klassiker, letzterer vielleicht als der wichtigste Europas. Moebius’ Arbeit ist hierzulande weitgehend editorisch erschlossen, Druillet jedoch blieb stets Nische. Es ist dem derzeitigen Wachstum des Comicmarktes in die Breite zu verdanken, dass mittlerweile auch ins Deutsche übersetzt die Meisterwerke des Comics zuhauf in bibliophiler Aufmachung veröffentlicht werden, und der Berliner Avant Verlag schließt mit den beiden überformatigen „Lone Sloane“-Alben eine gewaltige Lücke.

Lone_Sloane_Delirius_Cover_web1Lone Sloane ist ein Neoterraner, ein Drifter, der dann und wann auf Planeten strandet und üble Kämpfe bestreiten muss. Mehr muss man nicht wissen, denn was Druillet auszeichnet, hat weder mit narrativen Finessen noch mit gesetztem Storytelling zu tun, und auch die etablierten Codes des Comics nutzt er überaus zurückhaltend. Seine Bilder sind surrealistische Höllenvisionen, die Farben expressiv und grell und die Figuren allenfalls Interieur monströser Architekturen. Die Seitenarchitektur ist es auch, die Druillet zum Spielball wird. In seiner Arbeit sind Panelrahmen die Ausnahme. Stattdessen verschmelzen Sequenzen in großformatigen Bildern, die sich teilweise über mehrere Doppelseiten erstrecken. Kosmischer Schrecken, deutlich inspiriert von Lovecraft: pulsierende Planeten, die über gigantische Brücken miteinander verbunden sind, monströse Dämonenhände, übersät von kreischenden Kreaturen, die im dunkelrot gefärbten All nach freischwebenden Palästen greifen – schwarze Kosmos-Romantik, darunter macht’s Druillet nicht. Die Zeichnungen mögen heute etwas zu sehr vor alchemistisch-esoterischer Inbrunst seufzen, als Zeitdokument, das beweist, wie weit und eigensinnig sich europäische Genre-Comics vom Pfad des tugendhaften Erzählens entfernen können, sind sie nach wie vor unerlässlich.

Philippe Druillet: Die sechs Reisen des Lone Sloane. Avant Verlag, Berlin 2015. 80 Seiten. 29,80 Euro

Philippe Druillet, Jacques Lob: Lone Sloane Delirius. Avant Verlag, Berlin 2015. 80 Seiten. 29,80 Euro