Luke Cage ist ein schwerer Junge. Im Knast unterbreitet ein mysteriöser Mediziner dem durchtrainierten Gangster ein angesichts seiner ausweglosen Lage verlockendes Angebot: Wenn Luke sich als Versuchskaninchen für ein riskantes Experiment zur Verfügung stellt, ist er ein freier Mann. Aber natürlich nur, wenn er es überlebt. Selbstredend verkraftet der stählerne Muskelprotz den Eingriff unbeschadet und erfreut sich fortan an einem besonders in seinem ungastlichen Viertel Harlem äußerst praktischem Upgrade: Seine Haut ist nahezu unzerstörbar. Statt sich mit den neu erworbenen Fähigkeiten der guten Sache zu verschreiben, schutzlose Bürger zu retten oder zu einem spleenigen Superschurken zu werden, entscheidet sich der geschäftstüchtige Mister Cage allerdings für einen Mittelweg. Er wird ein „Held für Geld“ und stellt seine Talente nicht etwa den ehrbarsten, sondern den höchstbietenden Mitmenschen zur Verfügung.
Die Miniserie „CAGE“ aus Marvels leider inzwischen eingestelltem Erwachsenen-Label MAX hievte die trashige Blacksploitation-Hommage erfolgreich in das neue Jahrtausend und verpasste dem ehemaligen „Power Man“ genau den bombastischen und modernen Gangster-Auftritt, den die Figur brauchte. Wie bereits bei seiner Schöpfung in den Siebzigern bewegt sich das Konzept dabei stets auf einem schmalen Grat zwischen stereotypem Abziehbild und Popkultur-Ikone. Cage ist dreckiger, härter und kompromissloser als je zuvor. Mit dem Crime-Epos „100 Bullets“ und seiner großartigen „Joker“-Interpretation hat Kult-Autor Brian Azzarello schließlich mehr als einmal bewiesen, dass ihm außer vielleicht „Sin City“-Schöpfer Frank Miller wohl niemand das Wasser reichen kann, wenn es um düstere Milieu-Thriller geht.
Die realistischeren und dadurch wesentlich furchteinflößenderen Neuinterpretationen von klassischen Spider-Man-Gegnern wie „Hammerhead“ und „Tombstone“ dienen dem Hünen dabei als stilechte Widersacher in einem Katz- und Maus-Spiel, das mit seiner Handlung mehr als einmal augenzwinkernd Clint Eastwoods legendäre „Dollar“-Western zitiert. Die lebende Zeichner-Legende Richard Corben (Poe: Geister der Toten) war eine ausgezeichnete Wahl, um all das Blut, den Schweiß und den Schmutz des wohl brutalsten New Yorks, welches das Marvel-Universum je hervorgebracht hat, gebührend in Szene zu setzen. Schade und nicht wirklich nachvollziehbar, dass man sich für das Titelbild gegen Corbens großartige Werke entschieden hat. Trotz exzellentem, vom altehrwürdigen Wu-Tang-Clan orchestriertem Trailer wird es die Netflix-Serie zu „Luke Cage“ ab dem 30. September schwer haben, mit diesem Band mitzuhalten. Shimmy Shimmy Ya!
Brian Azzarello, Richard Corben: Luke Cage – Ein Mann räumt auf. Panini, Stuttgart 2016. 132 Seiten, Softcover, 14,99€.