Unterhaltsame Persiflagen auf die Werke zweier weltbekannter Dichter.
Wenn es eine Comicgemeinde auf dieser Welt gibt, die prädestiniert ist für Hommagen, Parodien, Persiflagen und Anspielungen auf die Pop- und Hochkultur, dann sind es die Bewohner Entenhausens. In der Tat gehören solche Auftritte der Enten und Mäuse u. a. zum festen Repertoire des Lustigen Taschenbuchs, wo z. B. im Sommer 2016 in „Ein Kieks kommt selten allein“ die legendären Körperfresser zu anthropomorphen Gummitierchen stilisiert wurden oder im Dezember 2015, als sich Phantomias in „Odyssee im All“ gleich auf die Spuren mehrerer Science Fiction-Filme und -Bücher begab.
Vor solch einer Auslegung sind natürlich auch Literaturklassiker nicht gefeit. Bereits 2001 erschien der Sammelband „Die göttliche Entenkomödie und andere Streifzüge durch die Weltliteratur“, in dem Tolstois „Krieg und Frieden“, Homers „Odyssee“, Dantes „Inferno“ und weitere Klassiker von Micky, Donald und Co. umgedeutet wurden. 2016 gab es gleich zwei hochwertig aufgemachte Hardcoverbände, die sich drei kanonrelevanten Dichtern widmeten. Während in „Duck oder nicht Duck – Duckspeares gesammelte Werke“ Verballhornungen von William Shakespeares Dramen präsentiert werden, sind in „Hier bin ich Ente, hier darf ich‘s sein“ drei von Goethes wichtigsten Werken und Schillers „Die Räuber“ zu finden. Es handelt sich hierbei um Nachdrucke aus diversen Lustigen Taschenbüchern, die zum ersten Mal in einem Band erhältlich sind.
In der Einleitung gibt Duck-Experte Wolfgang J. Fuchs einen Einblick in die lange Tradition der Disney-Persiflagen und die Faszination italienischer Künstler mit der Erzählform. Auch eine Einführung in das literarische Werk der beiden Stürmer und Dränger Johann Wolfgang von Goethe und Friedrich Schiller ist vorhanden, in der auf die Entstehungsgeschichte der persiflierten Romane und Stücke eingegangen wird.
Natürlich wurden die Entenversionen von „Die Leiden des jungen Werthers“ oder „Faust I“ sehr frei interpretiert, da in den Disney-Comics weder das Sterben einer Figur noch Hexen-Orgien auf dem Blocksberg dargestellt werden. Stattdessen handelt es sich bei den vier Comics um unterhaltsame, witzige und kindgerechte Geschichten für Enten-Fans und Germanisten. So ist „Die Leiden des jungen Ganthers“ (gezeichnet von Guido Scala), wie Fuchs im Vorwort anmerkt, eher von Goethes Leben und dem vermuteten Schreibprozess hinter dem „Werther“ inspiriert als vom Roman selbst. Die Grundstruktur bleibt jedoch: der Ganther (Donald Duck) verliebt sich unsterblich in Daisylotte (Daisy Duck), die jedoch mit Gustalbert (Gustav Gans) verlobt ist. Statt sich wie das literarische Vorbild das Leben zu leben, schreibt sich der Ganther seinen Liebeskummer von der Seele und landet einen Bestseller.
Bereits die erste Episode zeigt, warum die Ducks so geeignet sind für diese Art von Comics: zu jeder Figur gibt es ein passendes Familienmitglied. Und natürlich bleiben die familiären Konstellationen bestehen: Tick, Trick und Track sind die gewitzten Jungspunde, Dagobert Duck ist der reiche Knauser, Donald der ewige Pechvogel und Gustav sein ärgster Rivale um die Gunst seiner Daisy. So auch in den beiden Teilen von „Doktor Duckenfaust“ (von Luciano Bottaro), in dem ein merklich gealterter Donald von Mephisto und der Hexe Hicksi dazu gebracht wird, Krieg zwischen zwei Lehen zu stiften. Zum Abschluss schlüpft Donald in „Donald und die Räuber“ (von Guido Scala) in die Rolle von Graf Karl, in der er sich als Räuberhauptmann an der Spitze der Panzerknacker Bande beweisen, seine Angebetete retten und das Vermögen des Onkels vor den raffgierigen Banditen retten muss.
Das 240 Seiten umfassende Hardcover ist auch optisch und haptisch ein echter Hingucker. Im Stil der Universalbibliothek gehalten erstrahlt es im bekannten Reclam Gelb. Als Titelbild fungiert eine von Ulrich Schröder und Daan Jippes angefertigte duckisierte Zeichnung des bekannten Gemäldes „Goethe in der Campagna“ von Johann Heinrich Wilhelm Tischbein. „Hier bin ich Ente, hier darf ich‘s sein. Goethes Entenhausener Klassik“ ist nicht für LTB-Komplettisten gedacht, sondern eher als schmuckes Geschenk für all diejenigen, die die alten Klassiker im Disney-Gewand erleben und somit von einer anderen Seite kennen lernen wollen.
Guido Scala, Luciano Bottaro u. a. – Hier bin ich Ente, hier darf ich‘s sein. Goethes Entenhausener Klassik. Egmont Comic Collection, Köln 2016. 240 Seiten, 19,99 Euro