Eine Erdkugel, die immer kleiner und schließlich zum explosiven Spielball von kriegslüsternen Generälen wird. Ein Reporter, der begeistert dokumentiert, wie in einer Geflügelverarbeitungsfabrik ungewöhnliches Hühnerfrikassee entsteht. Ein Mann, der Möwen füttert und dabei selbst zum Vogelfutter wird. Ein Hund, der am Grab seines Herrchens vermeintlich treu und tief trauert, der aber nur sein Spielbällchen wiederhaben will. Alles Beispiele aus den „Schwarzen Gedanken“, makabre One-Pager, triefend vor schwarzem Humor und nicht selten nachdenklich machend, geschaffen von dem Belgier André Franquin, der mit der Serie „Spirou“ zu einem der bedeutendsten Comic-Künstler überhaupt aufstieg. Mit seinen „Idées Noires“ entfernte er sich von seinem bisherigen Werk, das den Stil der École Marcinelle des Verlagshauses Dupuis prägte. Wobei er – anders als beispielsweise Hergé, der sich an abstrakten Gemälden versuchte und damit jegliche künstlerische Verbindung zu seinem „Tintin“ und der Ligne Claire bewusst kappte – seinem charakteristischem Strich treu blieb und stattdessen die Figuren und die Szenerie dem Tenor des Inhalts entsprechend in tiefstes Schwarz tauchte.

André Franquin, Gotlib, Édika u. a. (Text und Bilder): „Es waren einmal Schwarze Gedanken“.
Carlsen, Hamburg 2017. 120 Seiten. 24,99 Euro
Natürlich kommen auch etliche der Strips zum Abdruck, die nach Themen geordnet sind, jeweils mit einem vorangestellten passenden (neuen) Sekundärartikel oder einem (alten) Interview mit dem Meister selbst. Doch schaut der Band auch über den Tellerrand hinaus. Ehemalige Weggefährten wie Gotlib (der 2016 starb) oder Frédéric Jannin kommen zu Wort, wie auch Franquins Tochter Isabelle. André Franquin war längst berühmt, als er die „Schwarzen Gedanken“ ersann und seit jeher im Dauerstress, da er schlichtweg zu nichts und niemandem Nein sagen konnte, der ihn in Sachen Comics mit Arbeit bescherte (siehe „Mausi und Paul“). Welche in immer gleicher Akribie erledigt wurde. Trotzdem blieb er stets ein sensibler Künstler, dem eine tief innewohnende sympathische Bescheidenheit auszeichnete. Ob die „Schwarzen Gedanken“ nun direkt mit seinen Depressionen in Verbindung gebracht werden oder nicht, die Strips, die man als konsequente Weiterentwicklung des bereits anarchischen Gastons werten kann, sprühen vor pechschwarzem, durchaus auch kritischem Humor und präsentieren eine künstlerische Facette Franquins abseits von Spirou & Co. Wer sich eingehender mit dem 1997 verstorbenen Franquin und dessen Werk beschäftigen will, ist mit dem aktuellen Sekundärband „Meister des Humors“ (ebenfalls bei Carlsen) gut versorgt.
Dieser Text erschien zuerst auf: Comicleser.de
Bernd Weigand ist schon über vier Jahrzehnte in Sachen Comics unterwegs: lesen, sammeln, übersetzen. Schreibt auch seit 20 Jahren über Comics, seit 2010 auf comicleser.de.