Planet der Monster und Stürme – „Siberia 56“

siberia1-cvrSchlimm muss es um sie bestellt sein. Um die gute alte Erde. Wie sonst soll man sich erklären, dass die Menschen versuchen Siberia zu kolonisieren? Einen Planeten, der nicht nur 80 Millionen (!) Lichtjahre entfernt seine Bahnen zieht, der obendrein auch noch komplett von Eis, Schnee und ultra-schroffen Gebirgen bedeckt ist. Mit Temperaturen von bis zu -200 Grad und Stürmen bis zu 300 km/h? Gastlich sieht anders aus. Trotzdem versucht das STC, das Secunda Terra Consortium, ein Privatkonzern, der von den Regierungen der Erde unterstützt wird, Siberia als bereits 56. Planeten der Präkolonisierungs-Phase zu besiedeln. Was, das können wir ohne schlechtes Gewissen verraten, unter keinem guten Stern steht. Nicht im Geringsten…

Alles beginnt mit der 13. Versorgungsmission. Deren Raumer muss 250 km von der Zentral-Basis entfernt notlanden. Beim Crash stirbt gleich das erste Crew-Mitglied. Auf dem langen Marsch, der nur durch wahre Wunder-Raumanzüge ermöglicht wird, werden weitere folgen. Denn die – man möchte fast sagen – „üblichen Gefahren“ lauern auf die tapferen Fußgänger: neben den bereits erwähnten klimatischen Bedingungen erwarten gigantische Eiswürmer die Neuankömmlingen auf Siberia. Und eine neue, geheimnisvolle Spezies schlägt zu und dezimiert die Crew. Ein unsichtbares Monster, das man – in Anlehnung an den SciFi Klassiker „Alarm im Weltall“ (kann man nur jedem empfehlen!) – Morbius nennt. Auch beunruhigend: die Entdeckung eines gigantischen Lochs, erschaffen von unbekannter Hand, das über 2 km tief und von schwarzen Monolithen flankiert ist, die Stanley Kubrick offenbar noch übrig hatte. Am Ende wird nur ein Besatzungsmitglied, Ned Wilcox, die Basis erreichen. Und damit auch unsere Hauptfigur.

siberia2-cvrBand 2 beginnt mit diversen Zeitsprüngen und kehrt zum Beginn der Präkolonisierung Siberias zurück. Und damit zu den ersten, tödlichen Begegnungen mit dem unsichtbaren Morbius, ein Monster mit vermutlich riesigen Tentakeln. Dazwischen sehen wir wieder Ned und seinen Chef Boyett, den Leiter der Basis. Man beschließt das Loch und Höhlenzeichnungen, die Ned entdeckte, zu untersuchen und damit mehr über die vermeintliche außerirdische Zivilisation zu erfahren, die einst hier lebte. Wieder geht die Sache schief und Ned steht ganz alleine dem Morbius gegenüber. In einem wahrlich ungleichen Duell. Der letzte Band der Trilogie beginnt ernüchternd, nimmt er doch das Ende vorweg. Für Boyett und Ned steht ein weiteres Artefakt der Außerirdischen auf der Agenda. Eine Pyramide, glatt und ohne Eingang, die wie das Loch schon Millionen von Jahre auf dem Buckel hat. Die Expedition muss gründlich vorbereitet werden, da die Pyramide in der wettertechnisch wildesten Region des Planeten steht. Mit einem Bohrgerät schafft man sich Zugang zum Bauwerk und beschwört damit Mächte herauf, gegen die die Morbiusse (genau, es gibt mehr davon) reinste Waisenknaben sind…

siberia3-cvrDie drei Bände sind angenehm verschieden strukturiert. Der Auftakt erinnert mit dem gestrandeten Häuflein, das immer mehr dezimiert wird, an diverse SciFi/Horror-Filme, während in Band 2 und 3 der Bec’sche Gigantismus gepaart mit seiner immer wieder gerne gesehenen Geheimnistuerei das Ruder übernimmt. Stets garniert mit dem Auftauchen des/der Morbius(se), wodurch immer eine Aura der Gefahr das Geschehen einhüllt. Zuerst ist da das riesige Loch, 2600 Meter tief, in dessen Boden ganz offensichtlich Überreste der Aliens begraben sind. Dann, in Band 3 steht die Pyramide mit ihrer gigantischen Struktur im Mittelpunkt – über die ursprüngliche Funktion beider Bauwerke vermag selbst der Wissenschaftler Boyett nur Vermutungen anstellen. Am Ende greift noch die paramilitärische Truppe des offenbar allmächtigen STC ein, aber da ist es schon fast zu spät und das Unheil, das sich stetig seit Band 1 anbahnt, scheint sich endgültig seinen Weg zu bahnen. Begünstigt durch menschlichen Leichtsinn, Neugier, Unvermögen und Ignoranz. Wie so oft.

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Wie bei anderen Werken Becs bleiben die Personen auch hier blass. Man erfährt kaum etwas über sie. Die Story wird zu weiten Teilen nur von Ned und Boyett bestritten, die übrigen Menschen dienen als Statisten. Ned beweist einerseits immer wieder Mut und Verwegenheit, ist dann aber wieder desillusioniert, weil er seine nächsten Jahre auf Siberia verbringen muss. Und Boyett ist der clevere Kopf, der versucht, Erklärungen zu liefern. Die der Leser glauben kann, aber nicht muss. Star der Trilogie ist vielmehr Siberia. Der Planet voller Monster und miesem Wetter. Der immer wieder deutlich „nein danke“ sagt, wenn die Menschen ihre Präsenz darauf zeigen oder erweitern wollen. Schon früh vermutet man, dass die Sache nicht gut ausgehen wird. Alexis Sentenac (der im dritten Band der „Carthago Adventures“ bereits mit Christophe Bec zusammenarbeitete) packt diesen Alptraum in eindringliche Bilder. Schnee und Eis wirken stets bedrohlich. Es ist immer finster, die spitzen Felsformationen, Berge und Schluchten sind furchteinflössend. Ständig drohen Stürme und Monster – sichtbare wie unsichtbare. Und die das Geheimnisvolle ist immer präsent, wenn es um die Vergangenheit des Planeten geht.

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Und die Außerirdischen? Bleiben mysteriös, sind lange weg und haben trotzdem eine Spur hinterlassen, die das Schicksal des Planeten lenkt. Warum dauert die Präkolonisierung schon über 90 Jahre? Was ist mit der Erde? Warum hat man Loch und Pyramide nicht längst untersucht? Erfahren wir nicht. Vieles bleibt unerklärt, was gerade den Reiz des Geschehens ausmacht. Wie auch die Protagonisten steht der Leser vor Rätseln, über die er maximal mutmaßen kann. Wer Bec’sche Aliens sehen will, der sei auf „Eternum“ verwiesen, Christophe Becs andere aktuelle Science-Fiction-Reihe bei Splitter, von der jüngst Band 2 erschienen ist (dazu in Kürze mehr). Siberia hingegen bewahrt vorerst seine Geheimnisse. Und die Menschen, die sich die Welt untertan machen wollten.

Christophe Bec, Alexis Sentenac: Siberia 56 Band 1-3. Splitter, Bielefeld 2015-2017. Band 1-2, 48 Seiten, je € 13,80. Band 3, 56 Seiten, € 14,80.