Manche Comics besitzen in ihrem Herkunftsland einen legendären Ruf, dem deutschen Publikum sind sie aber nur schwer zu vermitteln. Das ist nachvollziehbar, wenn die Zielgruppe begrenzt und die kulturellen Differenzen erheblich sind. Der satirische Comicstrip „Doonesbury“ etwa, der seit 1970 von Gary Trudeau geschrieben und gezeichnet wird, ist zwar genial, erfordert aber eine große Vertrautheit mit den Wechselfällen der US-amerikanischen Politik und Gesellschaft (eine Auswahl seiner Strips zu Donald Trump erscheint im August bei Splitter).
Aber auch Comics, die sich an eine breite Leserschaft richten und wegen ihres universalen Appeals wenig voraussetzen, tun sich bei uns nicht zwangsläufig leicht – ein Beispiel hierfür ist die italienische Serie „Dylan Dog“. Erfunden wurde sie vor 31 Jahren von dem 1953 geborenen Romanautor und Szenaristen Tiziano Sclavi. Die Hauptfigur ist ein in London lebender Privatdetektiv, der sich auf das Paranormale spezialisiert hat, daher sein Spitzname „Jäger des Grauens“.
Dylan Dog weist zunächst einmal viele Merkmale einer klassischen Heldenfigur auf. Er schaut blendend aus – wie ein südländischer Beau – und hat entsprechenden Erfolg bei Frauen. Seine immer gleiche Kleidung ist symbolisch aufgeladen: Blue Jeans und Sportschuhe signalisieren Lässigkeit, rotes Hemd und schwarzes Sakko sorgen für eine Anmutung des Diabolischen. Einen kuriosen Sidekick hat Dylan auch: Sein Gehilfe Groucho ist ein Doppelgänger von Groucho Marx; mit Herumgehampel und irrwitzigen Wortspielen kommt ihm die Aufgabe zu, für comic relief zu sorgen.
Zugleich wäre die Serie aber nicht denkbar ohne das italienische Horrorkino der Sechziger bis Achtziger, das die englischen und amerikanischen Genremuster gern auf die trashig-manieristische Spitze treibt. Die ersten drei Geschichten orientieren sich sehr eng an einschlägigen Vorbildern. In „Morgendämmerung der Untoten“ taumeln Zombies durch die englische Provinz; in „Jack the Ripper“ beschwören Okkultisten leichtfertig den Geist des Berühmtesten aller Serienmörder. „Vollmondnächte“ spielt in einem Mädcheninternat im Schwarzwald, das direkt aus Dario Argentos „Suspiria“ (1977) in den Comic transferiert worden ist.
In späteren Folgen agiert Sclavi freier. Er plagiiert und kombiniert, variiert und zitiert in der kühnsten Weise. In „Die Schönheit des Dämons“ verfällt ein Gangster einer attraktiven Teufelin, die einer Film- noir-Femme-fatale gleicht. In „Alpha und Omega“ verbinden sich Motive aus „Flying Saucers Attack!“-Filmen der Fünfziger, aus Kubricks „2001“ und aus Lovecrafts Cthulhu-Storys. Besonders bizarr: In „Killer!“ kommt es zu einem Mash-up von Terminator- und Golem-Mythos.
Dass Umberto Eco ein begeisterter, regelmäßiger „Dylan Dog“-Leser war, verwundert nicht. Faszinierend an dieser Serie ist, dass sich in ihr etwas zutiefst Widersprüchliches manifestiert, etwas, das es eigentlich gar nicht geben kann: eine naive Postmoderne. Dem etwas altklugen, sich selbst auf die Schulter klopfenden Hipstertum, das mit Hyperreferenzialität sonst einhergeht, steht diese Ästhetik sehr fern: Sie zeugt von einer gleichsam naturwüchsigen Gefräßigkeit.
Wie in jedem Horror, der seinem Namen gerecht werden will, wird in „Dylan Dog“ zudem an Urängste gerührt. In Splatterszenen werden Körper furchtbar versehrt. Hilfloses, albtraumhaftes Ausgeliefertsein und die Unausweichlichkeit des Todes sind ebenfalls wiederkehrende Motive. Einmal finden sich erst ein Mann, dann seine Tochter kommunikationsunfähig, aber mit wachem Bewusstsein auf einem OP-Tisch wieder. Ein anderes Mal springt Dylan durch einen splitternden Spiegel der Sensenmann entgegen: „Keine Angst, wir sehen uns wieder“, versichert der bleiche Geselle dann zum Abschied mit grimmiger Miene.
Tiziano Sclavi hat „Dylan Dog“ lange fast allein geschrieben; die Zeichner dagegen wechselten sich von Anfang an ab. Es gibt bessere und schwächere unter ihnen, aber ein solides handwerkliches Niveau unterschreitet keiner. Ungewöhnliche Perspektiven und Einstellungsgrößen werden zumeist gemieden. Die Seitenaufteilung ist streng; meistens besteht sie aus drei Reihen zu je zwei Panels. Die Bilder treten in den Dienst der Handlung, indem sie zu deren Patchwork-Exzessen kein visuelles Äquivalent bilden, sondern an eine Tradition anschließen, die in die Zeit zurückreicht, als Comics noch ausschließlich in Zeitungen erschienen.
Bisherige Anläufe, „Dylan Dog“ in Deutschland zu etablieren, sind recht kläglich gescheitert. Dies ist nun der dritte und ambitionierteste Versuch. Die Serie wird erstmals in der korrekten Reihenfolge veröffentlicht; jedes der solide designten Hardcoverbücher enthält drei Abenteuer. Ein wenig bedauern muss man die Kolorierung – das ursprüngliche Schwarz-Weiß ist doch wesentlich atmosphärischer. Unbedingt zu wünschen ist aber, dass der kleine Münchener Libellus Verlag das langjährige Unternehmen, auf das er sich da eingelassen hat, durchhalten wird. In Italien erscheint „Dylan Dog“ monatlich: Es liegt also Material für über 120 Sammelbände vor.
Tiziano Sclavi (Text) und diverse Zeichner: Dylan Dog. Aus dem Italienischen von Monja Reichert. Libellus Verlag, München 2015–2017. Bislang 6 Bände, je 304 Seiten, je 29,90 Euro
Dieser Text erschien zuerst in der taz.