Einen charismatischen Führer von seinem Sockel zu stürzen ist meist beschwerlich und nicht selten blutig. Leichter wird’s, wenn sich der Popanz bloß als vermeintlicher entpuppt. Gleich zwei neue französische Kindercomics entmystifizieren Fuchs und Wolf als bösartige Raubtiere des Waldes – und zeigen spielerisch, dass ihre Opfer in spe eigentlich nur der Einfältigkeit ihrer Gruppe erlegen sind.
In Benjamin Renners „Der große böse Fuchs“ möchte der titelgebende Held zwar nur zu gerne Angst und Schrecken unter den Tieren eines angrenzenden Bauernhofs verbreiten, allein es fehlt der Glaube an ihn. „Er sollte vielleicht versuchen, weniger plattfüßig zu rennen, oder?“ kommentieren Schwein und Hase seine missglückte erste Attacke und trösten ihn mit einem Korb voller Steckrüben. Nach weiteren peinlichen Fehlversuchen stiehlt der Fuchs schließlich auf Anraten seines sinistren Jägerkollegen, dem großen bösen Wolf, eines nachts drei Hühnereier. Die sollen ausgebrütet werden, um die Küken zu verspeisen, sobald sie fett genug geworden sind. Problem nur: Die drei identifizieren den Fuchs als ihre alleinerziehende Mutter und sich selbst schon bald ebenfalls als Füchse. Derweil formieren die Hühner des Bauernhofs eine Anti-Fuchs-Bürgerwehr, deren Fanatismus Orwells „Farm der Tiere“ alle Ehre macht. So slapstickt Renner auf rund 200 Seiten in einem bildhübschen Cartoon-Stil, der eine Lunte bis zu Tex Averys Körperdeformationsstudien legt, eine herzallerliebste Fabel zurecht, die um die Genese von Identitäten und Vorurteilen kreist (und auch um Fragen der Erziehung!). Der unterschwelligen Didaktik wird ein ordentliches Pfund Nonsens und Sprachwitz beigemischt, sodass die Chancen nicht schlecht stehen, dass sich Eltern wahrscheinlich weitaus länger als ihr Nachwuchs mit dem humoristischen Gesamtpaket amüsieren werden.
Das selbstgewählte Vorurteil, das nichts mit Erfahrung, aber viel mit dem blinden Vertrauen in eine Kolportage zu tun hat, deren Ursprung sich im Mythendickicht verliert, verbindet die Tiere des Bauernhofs mit jenen des Waldes in „Der Wolf im Slip“. Hier hat sich eine regelrechte Mikro-Kulturindustrie um die verfemte Wolfskreatur gebildet: Auf dem Marktplatz einer Waldlichtung wird allerlei Nippes zur Wolfsbekämpfung feilgeboten: Zäune, Fallen, Literatur über die Untaten des Wolfs, Haselnüsse, die die Angst vor dem Wolf nehmen sollen, aber auch wissenschaftliche Podien, auf denen seine Physiognomie erläutert wird, und Anti-Wolf-Karate-Workshops. Als sich selbiger dann tatsächlich mal im Wald blicken lässt, staunen die Tiere nicht schlecht, dass er mit seinem Slip eine recht lächerliche Gestalt abgibt. Nach seiner freundlichen Selbsterklärung („Ich friere nämlich leicht am Po…“), die auch den restlichen Aberglauben der Tiere entlarvt, macht sich nicht etwa Erleichterung breit, vielmehr sitzt der Schock tief, dass nun ein Glaubenssystem samt der dazugehörigen Ökonomie generalüberholt werden muss: „Wer kauft jetzt meine wolfssicheren Zäune?“ „Die Gazette des Waldes handelt nur von ihnen!“ „Worüber sollen wir von nun an berichten?“ Eine kleine Lehrstunde über die deformierende Kraft des Kapitalismus.
Im Vergleich zum „Fuchs“ ist dieser Band wesentlich kompakter geraten. Autor Wilfrid Lupano und Zeichnerin Mayana Itoiz erzählen, mit künstlerischer Beteiligung von Paul Cauuet, ihre Geschichte im Kinderbuchillustrationsstil meist mit großformatigen Wimmelbildern auf 36 Seiten. Der Gag: Das Album ist als Spin-off zum zeitgleich veröffentlichten vierten Band der „Alten Knacker“ konzipiert, für den Lupano und Cauuet ebenfalls verantwortlich zeichnen. Dieser wird nämlich mit einem kleinen Puppenspiel eröffnet, dessen gesamte Länge nun also in „Der Wolf im Slip“ präsentiert wird. Das verdammt komische Kleinod funktioniert aber auch ohne Kenntnis der „Knacker“ ganz prächtig.
Benjamin Renner: Der große böse Fuchs. Avant Verlag, Berlin 2017. 192 Seiten. 25 Euro
Wilfrid Lupano, Mayana Itoiz, Paul Cauuet: Der Wolf im Slip. Splitter Verlag, Bielefeld 2017. 36 Seiten. 14,80 Euro