Ein Duell zweier schillernder Charaktere – „Undertaker“

Nach dem Auftakt-Zweiteiler um den verschiedenen Minenbesitzer Cusco, der „Gold-Leiche“ (er verschluckte sein Gold und starb daran – ja, ernsthaft), startet nun der neue Zyklus der Western-Serie von Xavier Dorison und Ralph Meyer. Inzwischen hat sich um den Undertaker Jonas Crow ein kurioses Trio gebildet. Er, der eingespielte Einzelgänger, wird nun flankiert von der ebenso starrköpfigen Engländerin Rose Prairie und der resoluten Chinesin Lin. Vordergründig eine Zweckgemeinschaft, auch wenn Rose glaubt, hier ihre Bestimmung gefunden zu haben. Dass sie sich von dem Raubein auch noch zusätzlich angezogen fühlt, würde sie jedoch nie zugeben.

Nach sechs Wochen des Darbens hat das Trio kurz bevor das Geld endgültig ausgeht mal wieder einen Auftrag – sprich eine Beerdigung – an Land gezogen. Doch die feierliche Zeremonie geht gehörig in die Hose und eskaliert völlig, als mit Colonel Warwick ein alter Vorgesetzter von Jonas Crow aus dem Sezessionskrieg auftaucht. Und weiter: Warwick eröffnet dem völlig verdutzten Crow, dass der „Kannibale“ noch am Leben sei. Der Kannibale heißt Jeronimus Quint und war in Kriegszeiten Militärarzt, der wohl mit diversen Experimenten an lebenden Probanden (darunter Warwick selbst, dem Quint unnötigerweise (?) einen Arm amputierte) massiv gegen seinen Eid und seinen Berufsstand verstieß. Trotzdem überstand er unbehelligt den Krieg und galt seitdem als verschwunden. Nun hat Warwicks Sohn den Kriegsverbrecher entdeckt, der seine Dienste als fahrender Doktor der medizinisch kaum versorgten Land-Bevölkerung andient. Nachdem sie ihn aufgespürt haben, soll Rose den ominösen Arzt mit einer List weglocken, aber niemand hat mit der Verschlagenheit und den deduktiven Fähigkeit des „Kannibalen“ gerechnet…

Jeronimus Quint ist der Star des Bandes. Nicht nur optisch von imposanter Gestalt. Auch ein gleichsam charismatischer wie dämonischer Bösewicht, einerseits teuflisch, andererseits eloquent, mit einem gewissen einnehmenden Charme, der auch in heiklen Situationen immer zu seinen Vorteil gereicht. Ein Berg von Mann, der mit seinem roten Vollbart eher dem guten Onkel, als einem Kriegsverbrecher ähnelt. Quint hat es faustdick hinter den Ohren. Sein Verstand ist messerscharf und als Rose ihn unter einem Vorwand aufsucht, wittert er sofort Verrat, mit Rose als Leidtragende. Ein mörderisches Katz-und-Maus Spiel beginnt, bei dem beide Seiten immer mal die Nase vorn haben. Mit Quint bekommt der flapsig zynische Undertaker einen würdigen Gegenspieler vorgesetzt. Auch er ist ein Vertreter der fahrenden Zunft, die wie die von Jonas Crow nicht gerade hohes Ansehen genießt und verächtlich als Quacksalber betitelt durch den Wilden Westen tingelt (vgl. „Lucky Luke, Bd. 86: Das Elixier von Doc Doxey“ oder Dr. King Schultz aus Tarantinos „Django Unchained“). Zwar stellt Quint seinen Patienten oder Kunden auch ein „Allheilmittel“ in Form eines Trankes zur Verfügung, doch als ehemaliger Arzt versteht er sich auf sein Handwerk, auch wenn er es offenbar immer wieder gerne pervertiert. Und: auch Quint hat einen Vogel. Während der Undertaker einen handelsüblichen Geier als „Haustier“ hält, wird Quint von einem besonders hässlichen Exemplar der Gattung Aasgeier begleitet, das auf den Namen Barks hört.

Einige Dinge bleiben noch im Dunkeln, darunter das offenbar komplizierte und hoch belastete Verhältnis zwischen Crow und Quint, das auf einem Vorfall während Krieges beruht. Und wenn er Kriegsverbrecher ist, was sind seine weiteren Taten und warum wird Quint dann nicht offiziell gesucht? Schließlich wird der „Kannibale“ nur aufgrund der Rachegelüste von Colonel Warwick, inzwischen eine gescheiterte Existenz und hoffnungslos dem Alkohol (und dem Elixier Quints) verfallen, ausfindig gemacht. Bisher wissen wir nur, dass er offenbar ethisch fragwürdige Frankenstein-Experimente durchführte und dass er reichlich gewissen- und emotionslos vor Blutbädern – seien sie auch beruflich bedingt – nicht zurückschreckt. Band 4 wird hier sicherlich noch für Aufklärung sorgen. Inzwischen bangen wir um das Wohlergehen der hübschen Rose, die mit Quint ein möglicherweise verhängnisvolles Zweckbündnis eingehen musste. Und Miss Lin sorgt mit ihrer trockenen, sarkastisch zähen Art gerne für den ein oder anderen Schmunzler.

Undertaker“ ist das Ergebnis einer Zusammenarbeit zweier Qualitäts-Garanten: Autor Xavier Dorison glänzt immer wieder mit wunderbaren Plots (Der Waffenmeister, Long John Silver, Heiligtum – außerdem hat er gerade Thorgal übernommen) und Ralph Meyer, dessen Zeichnungen in der Tradition eines Giraud/Blueberry stehen und der mit „Tödliches Wiegenlied“ einen großartigen Einstand feierte. Beide arbeiteten bereits bei „XIII Mystery“ und „Asgard“ zusammen. Meyer bringt realistisch gezeichnetes, stimmungsvolles Western-Ambiente zu Papier, mit viel Liebe zum Detail und in dynamischen Perspektiven, die nicht selten dem Muster klassischer Kino-Western folgen. Das Ganze wird präsentiert in einer angenehm konventionellen Farbgebung und ergänzt durch einige Skizzenseiten und ganzseitigen Tuschezeichnungen, die eindrucksvoll unter Beweis stellen, was der gebürtige Pariser künstlerisch drauf hat. Band 4, „Der Schatten des Hippokrates“, wird jetzt wieder einige Zeit auf sich warten lassen. Gut Ding will eben Weile haben.

Xavier Dorison, Ralph Meyer: Undertaker, Band 3: Der Kannibale von Sutter Camp. Splitter Verlag, Bielefeld 2017. 64 Seiten in Farbe, 15,80 Euro