Als Greg (Michel Régnier) 1966 die Rolle als Chefredakteur beim Comic-Magazin „Tintin“ übernahm, erlebte dieses in den Jahren 1966 bis 1974 eine der erfolgreichsten Phasen überhaupt.
Mit einer ganzen Reihe neuer Serien und Helden brachte Greg das berühmte Magazin wieder auf einen erfolgreichen Kurs. Eine dieser Serien, die 1967 mit Test-Kurzgeschichten begannen, war „Bruno Brzil“, für die Greg sich das Pseudonym Louis Albert zulegte, um eine Überpräsenz seines Namens als Autor zu vermeiden und die von William Vance gezeichnet wurde.
William Vance wurde am 8.9.1935 als William van Cutsem in Anderlecht/Belgien geboren. Er studierte an der Akademie der schönen Künste in Brüssel und arbeitete ab 1956 zunächst sechs Jahre als Werbegrafiker. Nach ersten Illustrationen im Jahre 1962 entstand für die Zeitschrift „Tintin“ 1964 die von Horatio Hornblower inspirierte Seefahrerserie „Howard Flynn“ nach einem Szenrio von Yves Duval. Zusammen mit dem Texter Jacques Acar kreierte Vance 1965 die Westernserie „Ringo“.
Aber erst ab 1967 wurde Vance richtig berühmt: Zunächst entstand nach Texten von Louis Albert, ebenfalls für „Tintin“, die Serie „Bruno Brazil“. Dann folgte im gleichen Jahr die Übernahme der Science-Fiction-Serie „Bob Morane“, die Vance nach Erzählungen von Henri Vernes zeichnete und die in dem wöchentlichen Magazin „Femmes d’Aujourd’hui“ erschien.
Parallel zu den Serien „Bruno Brazil“ und „Bob Morane“ zeichnete Vance für „Femmes d’Aujourd’hui“ zwei neue Ritterserien: zunächst ab 1973 „Roderic“ nach einem Szenario von Lucien Meys und ab 1974 „Ramiro“ nach einem Szenario von Jaques Stoquart. 1976 folgte eine neue, im 18. Jahrhundert angesiedelte Seefahrer-Serie: „Bruce J. Hawker“ (Szenarios: Vance, André-Paul Duchâteau). Ab 1984 zeichnete Vance die sehr erfolgreiche Agentenserie „XIII“ nach einem Szenario von Jean van Hamme. Gemeinsam mit Jean Giraud (Text) verwirklichte Vance 1991 und 1993 die ersten beiden Bände der Serie „Marshal Blueberry“.
Bruno Brazils Abenteuer begannen mit fünf Kurzgeschichten (zusammengefasst in Carlsen Album 10), in denen der Held, ebenso wie im ersten Album zunächst weitgehend allein agierte. In diesen ersten Kurzgeschichten dominierte Humor und Slapstick, und es gab einige Anleihen an Ian Flemmings James Bond . Doch die Autoren Greg und Vance entwickelten Bruno Brazil weiter und ließen die Serie aus dem Bond- bzw. Agentenklischee ausbrechen, indem sie die Reihe völlig neu konzipierten: Bruno gründete das Agenten-Team Kommando Kaiman, das in der Folge die eigentliche Hauptrolle in der Serie übernahm. Titelheld Bruno Brazil selbst spielte „nur noch“ als Mitglied, wenn auch als Anführer des Kommandos, eine Rolle.
Für sein sechsköpfiges Kommando Kaiman rekrutierte Bruno Brazil seinen Bruder Billy, den Schusswaffenexperten Gaucho Morales, den schlagkräftigen Cowboy Texas Bronco, den Jojo spielende Big Boy Lafayette und natürlich die hübsche, Peitschen schwingende Whip Rafale. Mittels eines Dschungel-Spezialtrainings wird die Truppe in kürzester Zeit zu einer schlagkräftigen Einheit geformt. Mit seinem Team kämpft Bruno Brazil in acht albenlangen Abenteuern weltweit u. a. gegen die Mafia, Menschenhändler und Agenten. Sicherlich die bekannteste dieser Gegner dürfte „Rebelle“ sein, eine ebenso hübsche wie erbittere Feindin des Teams.
Startete Greg seine Agentenserie anfänglich noch ganz im Stil gängiger Heldenmuster des Agenten-Genres, so brach er 1973 in „Tintin“ mit einem Klischee, indem er mit einem „Kaiman“ eine Hauptperson sterben ließ: Big Boy Lafayette. Bei der Veröffentlichung dieser Geschichte im Comic-Magazin „Zack“ ging man 1974 sogar so weit, Big Boy nicht sterben zu lassen, da man dem Leser diesen „Schock“ nicht zumuten wollte. Kurzerhand wurde die Textstelle in der Handlung geändert und Big Boy schwer verletzt ins Krankenhaus verlegt.
Als völliger Bruch mit den Lesegewohnheiten und ungeschriebenen Seriengesetzen wird im letzten albenlangen Abenteuer (Carlsen Album 9, Quitte ou double pour Alak 6, dt. Die Myxin-Formel) das Kommando Kaiman komplett demontiert: Bei dem Versuch einen Ex-Agenten und Geheimnisträger einer wichtigen Formel in Sicherheit zu bringen, sterben mehrere Mitglieder oder werden zu Krüppeln. Lediglich Bruno und der zur „heimlichen Hauptfigur“ avancierte Gaucho Morales kommen einigermaßen heil davon. Das Team ist damit nicht mehr einsatzfähig. Mit diesem fulminanten Höhepunkt war die Serie aber gleichzeitig auch am Ende.
„Bruno Brazil“ liegt als Gesamtausgabe in drei Bänden bei Egmont vor. Band 1 ist allerdings vergriffen.
Text via PPM.