Der 11 September 1992 war eigentlich kein besonderer Tag. Die Olympischen Spiele in Barcelona waren seit sechs Wochen vorbei, in den USA gewann der Wahlkampf eines unbekannten Gouverneurs aus den Südstaaten namens Bill Clinton langsam an Fahrt. Und im Fernsehen lief die 22. Episode der TV-Serie „Batman: The Animated Series“ (B: TAS) mit dem Titel „Joker’s Favor“. In ihr tauchte erstmals eine neue Figur auf: Harley Quinn, die durchgeknallte Freundin des Jokers. Eine nicht ganz gewöhnliche Freundschaft, denn Harley liebt ihren Joker aus ganzem Herzen, dem Prinzen der Clowns jedoch ist sie herzlich egal.
Es dauerte dann noch einmal genau ein Jahr, bis Harley auch Eingang in die Comics fand: Im Heft #12 der Serie „Batman Adventures“ treffen Harley und ihre beste Freundin Poison Ivy erstmals auf Batgirl und crashen eine Kostümparty. Im Zustand „mint“, also ungelesen, geht dieses Heft heute für 1.700 Dollar über den Tisch des Hauses. Allerdings nur die US-Version, die deutsche Ausgabe findet sich in Heft #9 der „Batman Adventures“, für das man – wenn man Glück hat – 20 Euro bekommt (nicht alles auf einmal ausgeben). In das „reale“ Batman-Universum wurde Harley sogar erst 1999 implementiert, mit dem One-Shot „Batman: Harley Quinn“, der zur „No Man’s Land“-Geschichte gehörte. Seitdem entwickelte sich die Figur zum Fanliebling mit diversen eigenen Serien, der schließlich sogar im Film „Suicide Squad“ auftauchen durfte. Die Unterschiede zwischen der „animated“- und der „realen“-Version sind jedoch bemerkenswert: In der ursprünglichen Version ist Harley süß und sexy und lustig und ein bisschen durchgeknallt. Im realen Universum ist sie ein attraktiver aber brutaler Psychokiller.
Schöpfer der ursprünglichen Harley ist der 1961 geborene Ausnahmekünstler Bruce Timm, dessen Ausstoß an Comics recht überschaubar ist. Dafür hat Timm eine bemerkenswerte Karriere im Animationsbusiness gemacht, die ihn von „He-Man“ über die „Ghostbusters“ und Stationen bei Trickfilmlegenden wie Ralph Bakshi („Fritz The Cat“, „Coonskin“) und Don Bluth („Mrs. Brisby und das Geheimnis von Nimh“, „Feivel, der Mauswanderer“) zum frühen DC Animated Universe führte. Er designte und produzierte fast alle Serien von 1992 bis 2013. Das führte so weit, dass DC-Fans schon vom Timmverse sprachen, wenn sie über die Arbeiten Bruce Timms sprachen.Zwei Stile haben Bruce Timm besonders beeinflusst: Da sind zum einen die dicken klaren Striche und das etwas naive Storytelling eines Jack Kirby oder Alex Toth zu nennen. Zum anderen hat Timm als Jugendlicher – trotz seiner Kindheit im Mittleren Westen – anscheinend sehr viele Animes à la „Kimba“ und „Astro Boy“ gesehen. In den Designs zu „B: TAS“ kann man außerdem eine außergewöhnliche Liebe zu Art-Deco-Architektur entdecken; sein Gotham City sieht aus als hätte William Van Alen, der Architekt des Chrysler Buildings, eine ganze Stadt entworfen.
Viele der Arbeiten von Bruce Timm sind auch storytechnisch bemerkenswert, an erster Stelle wohl das gemeinsam mit Paul Dini, Timms regulären partner in crime geschriebene Batman-Heft „Mad Love“ aus dem Jahr 1994. Bis heute zählt „Mad Love“ zu den besten Batman-Storys aller Zeiten – zu Recht! 1999 wurde die Geschichte für die „New Batman Adventures“, die Nachfolgeserie von „B: TAS“ adaptiert; im deutschen Fernsehen hieß die Folge merkwürdigerweise „Die Piranha-Falle“. In „Mad Love“ bekam Harley erstmals eine volle Origin-Story verpasst: Gezeigt wird, wie sie als karrieregeile Knastpsychologin Harleen Quinzel ausgerechnet den Joker therapieren will. Doch der Irrsinn des Clownprinzen ist ansteckend, aus Dr. Quinzel wird in Rekordzeit Harley Quinn.
Andere bemerkenswerte Arbeiten von Timm umfassen u. a. den Batman-Episoden-Film „Gotham Knight“, in dem der moderne Meister seiner Vorliebe für den japanischen Stil huldigen durfte. Mit „Gotham Knight“ durfte Timm auch in die Kontinuität der Batman-Filme von Christopher Nolan eingreifen: Die Episoden spielen zwischen „Batman Begins“ und „The Dark Knight“. Unter Timms Ägide wurden auch die Frank-Miller-Geschichten „Batman: Year One“ und „The Dark Knight Returns“ für das DC Animated Universe adaptiert. Danach trat Timm für einige Jahre von seiner Rolle als Produzent zurück. Umso triumphaler geriet ihm seine Rückkehr nach dem Sabbat: Mit dem aktuellen DCAU-Streifen „Batman und Harley Quinn“ hat er – man muss es so sagen – ein Meisterwerk vorgelegt, ein Film voller Witz und Charme.Es wäre schön, wenn man das über die Comics mit Harley Quinn auch sagen könnte, aber außer der (auch wieder von Dini und Timm gemachten) Miniserie „Harley und Ivy“ gibt es da wenig bemerkenswertes. Sicher, die Comics von Karl Kesel und Terry Dodson (zwischen 2001 und 2003 schufen sie eine erste Soloserie), ihre Auftritte als Mitglied der „Gotham City Sirens“ (von 2009 bis 2011) und in der neuen Soloserie von Amanda Connor und ihrem Ehemann Jimmy Palmiotti sind sehr erfolgreich. Ihnen fehlt jedoch komplett der Charme und der Humor, die Harleys Auftritte im Animated Universe ausmachten. Ausnahmen, wie die beiden von Darwyn Cooke kreierten Kurzgeschichten aus dem Jahr 2014 und 2015 bestätigen diesen Eindruck nur.
Zeitweise ist Harley zur Antiheldin geworden, einer Identifikationsfigur für Bad Girls, die ohne Reue mordet, foltert und verstümmelt (natürlich nur Leute, die das auch verdient haben! Schon klar…), die ab und zu ihren Schlüpfer durchblitzen lässt. Im vollkommen zerfahrenen „Suicide Squad“-Film, wo sie von der Australierin Margot Robbie gespielt wird, ist sie ein brutaler Freak, der sich natürlich ganz doll nach einem bürgerlichen Leben sehnt. Einige Gimmicks ihrer Solokarriere waren witzig, wie etwa das Annual mit den scratch’n’sniff-Feldern. Aber Harley Quinn ist zu einer Ikone des DC-Universums geworden, ihre Solo-Heftserie erscheint zweimal im Monat, dazu kommt noch die neue „Suicide Squad“, zu deren Anführerin sie letztens wurde. Ein Solofilm im düsteren und brutalen DC Cinematic Universe ist bereits in Planung.