„Batman – The Animated Series“ (1992-98) gilt vielen Fans als eine der besten Leinwandadaptionen des Dunklen Ritters. Nicht nur wegen der besonderen Ästhetik, die von den Produzenten als Dark Deco (in Anlehnung an „Art dèco“) beschrieben wurde, sondern auch aufgrund der starken Erzählungen – kein Wunder, mag man sagen, immerhin war Paul Dini maßgeblich an der Serie beteiligt. Was der Serie eine besondere Bedeutung verleiht, ist die Tatsache, dass einer der derzeit wichtigsten Charaktere des Batman-Kosmos nicht im Comic erschaffen wurde, sondern eben im Film: Harley Quinn. Sie feierte ihren ersten Auftritt in Episode 22 (1992) und wurde erst danach in den Comic reimportiert, besonders prominent in dem Eisner-Award-prämierten Comic „Mad Love“ von Paul Dini und Bruce Timm (1994).
Abraham Riesman hat 2020 betont: „Harley Quinn is the best-selling female character in comics.“ Und David Harper stellte 2016 in einem ausführlichen Vergleich zwischen Harley Quinn und Wonder Woman fest, dass Erstere inzwischen beliebter und offenbar auch ökonomisch erfolgreicher sei. Es ist also keine Überraschung, wenn derzeit einige Comics über die Gefährtin des Jokers erscheinen.
Joker/Harley: Psychogramm des Grauens Bd. 3
Kami Garcia hat mit Mico Suayan u. a. eine dreiteilige Serie im Rahmen von DCs Black Label aufgelegt (hier die Besprechungen von Band 1 & 2).
Harley Quinn arbeitet als Forensische Psychiaterin und Verhaltensanalytikerin in Gotham City, als sie mit einem Mordfall konfrontiert wird, den ihre älteren und weniger kompetenten Kollegen für einen belanglosen Gangmord halten. Weitere Morde folgen, und der Killer erweist seine Brutalität wie auch kunsthistorische Expertise, indem er die Opfer anhand von bekannten Motiven der Kulturgeschichte arrangiert: Leonardo Da Vincis „Der vitruvianische Mensch“, Salvador Dalis „Adel der Zeit“ sowie dessen „Venus mit Schubladen“. Es hat sich schon angedeutet, dass John Kelly, der von seinem Vater misshandelt wurde, durch diese Erfahrung zum Joker geworden ist. Durch eine im dritten Band („Criminal Sanity“ #6-8 umfassend) geschilderte Autodidakten-Ausbildung erlernt John Kelly die Fertigkeiten, die er zum Zerstückeln der Leichen benötigt, ganz wie Batman in seiner ersten Origin Story (nur ohne das Zerstückeln).
Die Beziehung von Harley Quinn und dem Joker ist seit jeher als eine Gewaltbeziehung erzählt und dementsprechend auch diskutiert und kritisiert worden: Ist Harley Quinn eher Täterin oder Opfer in einer einseitig gewalttätigen Beziehung? In „Joker/Harley“ entwickelt sich keine Liebesbeziehung zwischen den Schurken, das Verhältnis beider ist von Gewalt und Bedrohung geprägt, ohne dass es zwischen den beiden etwa knistern würde. Die Parallelführung von Joker und Batman einerseits, Harley und Joker andererseits ermüdet sichtlich zum Ende der Serie hin. Die Zeitsprünge und Ortswechsel funktionieren nur, weil sie in den Textboxen brav angekündigt werden, und die Zeichnungen unterscheiden sich sehr in ihrer Detailfreude. Das Fazit fällt entsprechend blass aus: „Das Böse existiert. Und selbst wenn wir es erkennen, ist es schwer zu stoppen.“ Kalenderspruchrhetorik.
Harley Quinn: Schwarz, weiß + rot
Das Konzept ist klar: Verschiedene Künstler*innen arbeiten sich im Kurzgeschichtenformat an einzelnen Superheld*innen oder Schurk*innen ab, verzichten aber weitgehend auf Farbe. „Schwarz, weiß und Blut“ heißen die Versionen von Wolverine, Carnage oder Deadpool (auch „Moon Knight“ ist in Arbeit), und gerade ist bei Panini die Harley-Quinn-Variante unter dem Titel „Schwarz, weiß + rot“ erschienen. Solche Kurzgeschichtenprojekte bieten die Chance, die klassischen Plots ein wenig auf den Kopf zu stellen und interessante Facetten der bekannten Figuren zu entdecken, und die Namen der Beteiligten sind ein großes Versprechen: Tim Seeley, Mirka Andolfo, Sean Murphy und Paul Dini sind nur einige der großen Namen, die in diesem Band vereinigt sind. Die 17 Storys erschienen zuerst digital zwischen Juni und Dezember 2020.
Der kroatische Autor und Zeichner Stjepan Šejić („Sunstone“) führt mit „Harleen: Red“ in den Band ein. Wir wohnen einer Therapiesitzung bei, die eine Psychiaterin im Arkham Asylum mit Harley Quinn durchführt – eine Situation, wie wir sie schon oft genug mit dem Joker in der Hauptrolle gesehen haben. Auch Harley fühlt sich, während sie sich erinnert, in ihre Gespräche mit dem Joker zurückversetzt. Aber Männer, das macht Šejić deutlich, spielen hier nur eine Nebenrolle. Was die rote Karte für sie bedeute, fragt die Psychiaterin, indem sie den Lüscher-Farbtest durchführt, und erhält diverse Antworten von ihrer Patientin: „Rot ist die Farbe unserer ersten gemeinsamen Nacht“ und „Sein Grinsen war rot“, aber damit führt sie uns nur ganz weit aufs Glatteis hinaus, denn Rot ist für sie vor allem die Farbe von Poison Ivys Haaren, die sie aus Arkham Asylum befreien wird. Šejić setzt sich mit dem feministischen Harley-Quinn-Diskurs auseinander, den etwa Joe Sutcliff Sanders zu rekonstruieren versucht hat (Batman: The Animated Series, 2021), und radiert die Männer geradezu aus – ganz konsequent ist es, dass der Joker nur in Erinnerungsfetzen aufblitzt und Batmans Name noch nicht einmal ausgesprochen wird: „Haben Sie schon mal an Batm—“ – „Nein!“
Ganz und gar verspielt kommt „Die wahre Geschichte“ von Saladin Ahmed und Javier Rodriguez daher. Drei Ganoven erzählen einander, wie sie bei Harley Quinn eingebrochen sind und sie im Kampf überwältigt haben. Nur erzählt jeder die Story unterschiedlich, jeweils mit sich selbst in der Rolle des strahlenden Superschurken. Stilistisch sehr individuell und in interessanten Seitenlayouts erfahren wir, mit welcher Eitelkeit die Gauner sich selbst sehen und dabei blind dafür werden, dass Harley ihnen gefolgt ist, um die Hintermänner des Einbruchs zu finden. Nun ist der Hintermann eine Hinterfrau und wird als einzige verschont, während die drei Kerle bekommen, was sie verdient haben: Prügel.
Noch humorvoller ist die Story von Tim Seeley und Juan Ferreyra geraten, in der Harley sich auf der Bühne in einem Rap Battle gegen allerlei Nachwuchsmusiker mit klangvollen Namen wie Young Croc oder 2-Dented versucht. Während Poison Ivy sich im Publikum für ihre Freundin schämt, besiegt Harley alle Kontrahent*innen nicht zuletzt dank ihrer psychologischen Erfahrungen. Am Ende steht sie mit dem Rapper Goth.I.Am (der ein Batman-Shirt und eine Batman-Mütze trägt) und dem Joker auf der Bühne, und der Wortwettkampf geht natürlich zugunsten der Frau aus: „Du hältst dich für cooler als Freeze, aber du erntest meinen Spott. Du legst mehr faule Eier als Oswald Cobblepot!“
Die Liste der gelungenen Storys ist lang, aber es finden sich, mit Harley gesprochen, auch manche „faule Eier“ darin, etwa die öde „Endstation“ von Daniel Kibblesmith und Marguerite Sauvage, aber das lässt sich verschmerzen.
Gerrit Lungershausen, geboren 1979 als Gerrit Lembke, hat in Kiel Literatur- und Medienwissenschaften studiert und wurde 2016 promoviert. Er hat Bücher über Walter Moers, Actionkino und den Deutschen Buchpreis herausgegeben. 2014 hat er zusammen mit anderen das e-Journal Closure gegründet und ist bis heute Mitherausgeber. Derzeit lebt er in Mainz und schreibt für Comicgate und die Comixene. An der TU Hamburg-Harburg unterrichtet er Comic-Forschung.