Gezeichneter Grusel – Comicreihe „Die Unheimlichen“

„Der Fremde“ von Nicolas Mahler hat alle Zutaten für eine gute Horrorgeschichte: Es ist Nacht, ein einsamer Fremder steigt einen schmalen Weg zu einem Berg hinauf, und dann hat dieser Fremde auch noch verdammt spitze Eckzähne. Doch schon bald zeigt sich, dass hier nichts ist, wie es zu sein scheint – der Fremde wurde in dem Dorf, in dem er nun zu Besuch ist, geboren, ein anderes Mal ist dieser Fremde plötzlich eine Frau. Nicolas Mahler adaptiert in seinem Comic „Der Fremde“ die gleichnamige Erzählung von Elfriede Jelinek. Dafür übernimmt er Textfragmente aus dem Original und zeichnet dazu seine Protagonisten als hoch aufgeschossene, langnasige Figuren. Die groben Striche sind so präzise hingeworfen, dass eine Serviererin schon mal die gruselige Pose eines Nosferatu einnimmt. Damit transportiert Mahler, was schon Jelinek in ihrer Vorlage angelegt hat: die beunruhigende Erkenntnis, dass man auf Gewissheiten nicht bauen kann: „Die ganze Geschichte wird von so einer Mischung aus Morbidität geprägt und so einer wabernden Erotik, die das ganze Buch durchzieht. Das habe ich auf jeden Fall adaptiert.“

Nicolas Mahler (Zeichnungen), Elfride Jelinek (Text): „Der Fremde“.
Carlsen, Hamburg 2018. 64 Seiten. 12 Euro

Lukas Jüliger hat sich für die Serie „Die Unheimlichen“ eine Liebesgeschichte von Edgar Allen Poe ausgesucht. In „Berenice“ verliebt sich der Ich-Erzähler in seine kränkelnde Cousine und verliert darüber den Verstand. Diesen Erzählstrang hat Jüliger übernommen – alles andere nicht. Lukas Jüliger versetzt die Handlung konsequent ins Heute – und erzählt die Liebesgeschichte eines Jungen zu einem Camgirl, also zu einem Mädchen, das sich Nacht für Nacht im Internet vor der Webkamera inszeniert, mit all ihrem Charme, ihren Höschen und Selbstmordversuchen: „Weil Camgirls das Potenzial haben, zu Objekten im Sinne von ‚objects of desire‘ zu werden, also im Sinne von Objekten von Besessenheit.“

Für Lukas Jüliger sind Camgirls ein Sinnbild für Liebe im Internetzeitalter. Der Zeichner steht am Anfang seiner Karriere. Die Horrorgeschichte „Berenice“ zeichnet er in strahlendem Blau – als wäre die ganze Welt lichtdurchflutet. Daraus entsteht ein seltsamer Kontrast zur Handlung der Geschichte, die vor allem in geschlossenen Räumen spielt – zwischen Internet, japanischen Animes, Cosplay-Utensilien und japanischen Tütensuppen. Selbst das Camgirl trägt einen japanischen Namen: Hatsune Miko. „Das Japanische halte ich für eine spannende kulturelle Erscheinung, die so komplett um sich greift und am Ende ja gar nichts Japanisches mehr ist, sondern ein globales Phänomen, das überall aufgegriffen wird.“ Der Grusel der alten Edgar Allen Poe-Geschichten funktioniert auch heute noch, das zeigt Lukas Jüliger mit seiner sehr individuellen „Berenice“-Adaption.

Isabel Kreitz (Zeichnungen), Sarah Khan (Text): „Den Nachfolgern im Nachtleben.“
Carlsen, Hamburg 2018. 64 Seiten. 12 Euro

„Es ging mir bei der Auswahl eher um Kollegen, die wirklich einen eigenen Erzählstil haben, nicht nur einen eigenen grafischen Stil. Und diesen Erzählstil zu nutzen, um die Geschichten, die wir eigentlich schon alle kennen – also klassische Horrorgeschichten -, wirklich in ihre eigene Form zu bringen. Es macht keinen Sinn, so eine 1:1-Adaption einer Geschichte, die wir schon aus tausend Filmen kennen, wieder neu zu sehen. Es geht wirklich um einen persönlichen Zugang zu der Geschichte.“

Die Comic-Künstlerin Isabel Kreitz ist für ihre Literaturadaptionen bekannt und hat dafür schon einige Preise bekommen. Auch sie hat sich eine Gruselgeschichte vorgenommen: Sarah Khans „Den Nachfolgern im Nachtleben“. Es geht um die urbane Bourgeoisie, die im Grill Royal essen geht, aber sich keinen Babysitter leisten will. Die schicken Protagonisten mit ihren selbstgefälligen Mienen skizziert Isabel Kreitz mit ihren typisch-weichen Bleistiftzeichnungen und unterlegt sie mit einer gallegelben Hintergrundfarbe. Neid ist eines der Themen in dieser Runde. In den Gesprächen geht es auch um die Frage, was besser war: das exzessive Nachtleben der Vergangenheit oder die wohlgeordneten Partys der nachfolgenden Generation, die sich stets im Griff hat. Um dies zu beantworten, wird sogar ein Freund aus dem Grab geholt. Das Grauen hat in dieser Geschichte viele Gesichter – die selbstgefälligen Mienen gehören dazu.

Horror kann sehr unterschiedliche Ursachen haben – das will Isabel Kreitz mit ihrer Reihe „Die Unheimlichen“ zeigen. „Die andere Idee, die hinter der Reihe steckt, ist, eine neue Form zu finden, die die teuren, dicken Graphic Novels ablöst oder zumindest ergänzt. Also nach neuen Formen zu suchen, die der vorherrschenden aktuellen Form so ein bisschen Geleit geben, dass der Comic nicht wieder in der Versenkung verschwindet, wie er das schon zwei Mal in anderen Formen getan hat. Nämlich nachdem die Alben einen Niedergang erlebt haben und dann die Magazine: Das möchte ich ungern noch mal erleben.“

Dieser Text erschien zuerst auf: Deutschlandfunk.

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.