Comic-Trash und radikaler Relaunch: „Elektra“ als Ninja-Auftragskillerin und eine neue muslimische „Ms. Marvel“ – es besteht Anlass zum Jubeln.
Superheldinnen haben es nicht immer einfach. Als die Fantastic Four debütierten, regten sich manche Fanboys darüber auf, dass das Team kein reiner Männerbund war, sondern tatsächlich eine Frau mitmischte. Das ist lange her, über 50 Jahre. Heute dürfen und können Heroinnen längst alles, was ihre männlichen Kollegen machen. Weniger populär sind sie, von einigen Ausnahmen wie der kecken Catwoman abgesehen, aber nach wie vor. Zudem sind sie oft einem lächerlichen Aussehens- und Dresscode unterworfen: Melonengroße Brüste müssen ebenso sein wie Outfits, die an die Berufskleidung von Stripperinnen und Dominas erinnern.

W. Haden Blackman (Text), Mike Del Mundo (Zeichnungen): „Elektra. Bd 1+2“.
Panini, Stuttgart 2015. 124/140 Seiten. Je 16,99 Euro
Ein kleiner, überraschender Anlass zum Jubeln ist dagegen die „Ms. Marvel“-Serie. In ihrer bürgerlichen Identität war diese Heldin, die es seit 1977 gibt, bislang ein leuchtend blondes, langbeiniges All-American Girl namens Carol Danvers. Mit dem Relaunch hat sich dies radikal verändert: Kamala Khan, wie Ms. Marvel nun im normalen Leben heißt, lebt nicht im coolen New York, sondern im biederen New Jersey. Sie ist gerade 16 Jahre alt und eher ein Nerd: brünett, mittelhübsch, nicht allzu groß und schüchtern. In ihrer Freizeit publiziert sie im Internet Fanfiction. Vor allem aber: Kamala ist das Kind pakistanischer Einwanderer und daher, als erste amerikanische Superheldin, eine Muslimin.

G. Willow Wilson (Text), Adrian Alphona (Zeichnungen): „Ms. Marvel Bd. 1-3“.
Panini, Stuttgart 2015/2016. 124/140/180 Seiten. 16,99/16,99/19,99 Euro
Mit wenigen Strichen, aber differenziert skizziert Wilson, was es für Kamala bedeutet, als Muslimin aufzuwachsen, im Zangengriff zwischen partyfreudigen Mitschülern, die ihr mitunter mit Spott, mit Misstrauen begegnen, und einer Familie, die Wert auf Glauben, Tradition und Bildung legt. Die religiösen Werte, denen sich Kamalas Eltern verpflichtet fühlen, erscheinen als ambivalent: Friedlichkeit und soziale Verantwortung gehen Hand in Hand mit patriarchalischem Zwang. Kamalas Bruder, ein Nichtstuer, verkörpert die Versuchungen des Islamismus.
Ausbalanciert werden diese schwierigen Themen durch die zart kolorierten Bilder von Adrian Alphona, die zwischen Realismus und cartoonhafter Übertreibung oszillieren, wie auch durch Komödiantisches – etwa wenn sich Kamala in ihrer neuen Rolle tollpatschig anstellt oder feststellen muss, wie sehr ihr Kostüm im Schritt kneift. Die schönste Pointe besteht aber darin, dass „Ms. Marvel“, bei aller Innovation, den Superheldenmythos letztlich auf seine Ursprünge zurückführt: Denn schon Clark Kent alias Superman, der vom Planeten Krypton auf unsere Erde gelangte, ist ja nichts anderes als – ein Migrant.
Dieser Text erschien zuerst in der taz.
Christoph Haas lebt im äußersten Südosten Deutschlands und schreibt gerne über Comics, für die Süddeutsche Zeitung, die TAZ, den Tagesspiegel und die Passauer Neue Presse.