In ihrer ganzen schlichten Eleganz lässt Flix die Grenzabfertigungshalle an der Friedrichstraße – auch Tränenpalast genannt – erstrahlen. Dann das Palasthotel an der Spree, das ungeheuer stylisch wirkt, mit seiner wabenförmigen 70er-Jahre-Fassade. Und später inszeniert der Comiczeichner eine furiose Verfolgungsjagd auf dem spektakulären Berliner Fernsehturm. Es scheint, als soll der Band „Spirou in Berlin“ auch eine Würdigung der DDR-Architektur sein.
Flix: „Es ging mir darum, schon an der Architektur klar zu machen, wo wir uns befinden. Die hat ja einen ganz charakteristischen Look. Da sind tolle zeitlose Sachen dabei, die mitunter durch die Wende erst mal entwertet wurden und dadurch ein bisschen verloren gegangen sind und wo ich nur hoffen kann, das die wiederkommen und das die irgendwann wieder entdeckt werden.“
Der Hotelpage Spirou und sein Freund, der Chefredakteur Fantasio, reisen nach Ost-Berlin, weil Graf Rummelsdorf entführt wurde und alle Spuren dorthin führen. Ost-Berlin scheint ein Ort des Friedens zu sein, mit strahlendem Sonnenschein und fröhlichen Menschen. Fantasio will dieses Ambiente einfach nur genießen – vielleicht wurde Graf Rummelsdorf ja doch nicht entführt? Spirou ist skeptischer. Er wird beobachten, wie Graf Rummelsdorf in Fesseln abgeführt wird – und dann kommt auch noch die Stasi und verhaftet Fantasio. Flix mixt damit ein ziemlich ernstes Thema in eine Comic-Reihe, die eigentlich vor allem lustig sein soll.Flix: „Und da fängt das an so ein bisschen zu knirschen, weil das natürlich mit einer Humorserie nicht in erster Linie assoziiert wird. Zum Beispiel, wenn man von der Mauer spricht, finde ich es falsch, von den Mauertoten nicht zu sprechen. Tote sind aber verboten in dieser Serie – schießen darf man schon, sterben aber nicht – und Blut soll man auch keins sehen. Wie bring‘ ich trotzdem das Thema rein, dass das eine reale Bedrohung wird für die Figuren?“
Flix gelingt das durch Verknappung – zum Beispiel erzählt er von der Stasi-Überwachung in eher nüchternen Beschreibungen – und setzt ein Bild darunter, auf dem jede Figur von einer anderen beobachtet wird. Die Bedrohungsszenen sind in gräulichen gelb-grün Tönen gehalten. Wenn es dagegen um die Freiheit im Privaten geht, fangen die Farben an zu strahlen. Und dann spielt Flix auch noch virtuos mit dem Personal der Reihe: Der Bösewicht Zantafio wird in dieser Geschichte seinen Cousin Fantasio als Stasioffizier verhören.
Flix: „Wenn man sich die Bösewichte anguckt, die es im ‚Spirou‘-Universum gibt, finde ich den am interessantesten – weil das so eine richtig skrupellose Arschgeige ist. Und gleichzeitig ist er aber auch noch mit Fantasio verwandt, die haben dadurch so eine Nähe, aber auch eine Aversion zueinander. Und gleichzeitig ist das so eine Figur, die sich immer wieder in so kriminelle Strukturen reinwanzt, der sich mit der Mafia zusammentut, der auch mal einen diktatorischen Staat aufbaut. Und eigentlich ein ganz guter Charakter war, von dem man sich vorstellen kann, der arbeitet mit der Stasi zusammen.“
Ganz nebenbei zitiert Flix auch anderen Figuren des „Spirou“-Universums, die gar nicht auftauchen. Besonders schön: das Marsupilami – ein Tier, das seinen ultralangem Schwanz blitzschnell in eine Schlagwaffe verwandeln kann, darf eigentlich aus urheberrechtlichen Gründen bei Flix gar nicht auftauchen, kommt irgendwie doch immer wieder vor – zum Beispiel im Logo einer Frittenbute. Der Band „Spirou in Berlin“ wimmelt nur so von guten Ideen: Die maroden Staatsfinanzen der DDR sollen mit künstlich hergestellten Diamanten aus einer riesigen unterirdischen Maschine gerettet werden, DDR-Witze und Wortspiele wechseln einander ab. Und dann bricht Flix auch noch die strenge Panel-Struktur der „Spirou“-Bände auf und lässt eine Verfolgungsjagd durch ein Lüftungssystem über eine ganze Seite mäandern. Mit allem war das „Spirou“-Stammhaus einverstanden. Nur nicht mit den typischen Flix-Nasen: „Ich hab‘ ja oft so klassische Kastennasen, die ich in meinen Comics zeichne, das konnten sie sich überhaupt nicht vorstellen, und da war ich echt ein bisschen angepisst erst, wo ich gedacht hab‘: ‚Mann, das ist mein Markenzeichen, und ihr wollt das nicht haben, verdammt!‘ Und dann habe ich eben angefangen, andere Nasen zu machen, rundere Nasen und überhaupt eine größere Nasenvielfalt. Und irgendwann habe ich gemerkt: Das ist eigentlich cool, weil mir das viel mehr gestalterische Freiheit gibt.“
Trotz Nasenvielfalt wirken einige Figuren, als seien sie aus Flix‘ früheren Comics entsprungen. Zugleich wirken Spirou und Fantasio so authentisch wie in den klassischen franko-belgischen Produktionen. Flix hat mit „Spirou in Berlin“ eine herrliche Melange gezaubert, die viele Gimmicks für Spirou-Fans parat hält – aber auch einfach nur als herrlich unterhaltsame Geschichte gelesen werden kann.
Dieser Text erschien zuerst auf: Deutschlandfunk.
Ein Interview mit Flix findet sich hier.
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.