Von wiedergeborenem Schleim und tieftauchenden Roboterjungen

Etwas über ein Jahr mischt der Hamburger Verlag Altraverse nun schon kräftig im deutschen Manga-Geschäft mit. Der rasante Aufstieg kommt aber nicht von ungefähr: Das Team um Jo Kaps konnte gemeinsam bereits viele Jahre Erfahrung beim Aufbau von Tokyopop Deutschland sammeln. Mit dieser Expertise und frischen Marketingansätzen konnte der so schnell wie stetig wachsende Katalog an japanischen Comic-Leckerbissen nicht nur bei Fachhändlern, sondern auch bei allen großen Buchhandelsketten positioniert werden. Ich habe mir eine handverlesene Auswahl frischer Altraverse-Titel angeschaut, die auch für Leser ohne Diplom in japanischer Popkultur interessant sein dürften.

Goblin Slayer

Kumo Kagyu (Text), Kousuke Kurose (Zeichnungen): „Goblin Slayer Band 1“.
Altraverse, Hamburg 2018. 188 Seiten. 7 Euro

In einer offensichtlich von populären Videospielen inspirierten Welt versucht eigentlich jeder Held immer größere, eindrucksvollere und natürlich auch lukrativere Ungeheuer über den Jordan zu schicken. Wenig ertragreiche Monster-Massenware wie Goblins sind eigentlich nur für ganz unbedarfte Helden-Novizen interessant. Doch ein mysteriöser Söldner hat sich voll und ganz der Ausrottung dieser gemeinen Gnome verschrieben. Er wählt seine Missionen nur nach dem Kriterium aus, wie viele Goblins er dabei um die Ecke bringen kann…

Die ruppige Fantasy-Schlachtplatte „Goblin Slayer“ weiß mit einer gelungenen Mischung aus harter Action, stimmungsvollen Zeichnungen, vor allem aber mit ihrem pfiffigen, satirischen Abgesang auf Gaming-Klischees zu überzeugen. Ein paar sehr harsche Vergewaltigungssequenzen im ersten Band der Reihe kann mal durchaus als stumpf oder grenzüberschreitend empfinden. Sie als Stilmittel der hier klar dominierenden satirischen Überzeichnung zu betrachten, ist aber ebenfalls eine Option. Die rasante, kompromisslose und tatsächlich auch herrlich zynische Reihe der in Deutschland grassierenden „Manga-sind-sexistisch-und-unmoralisch“-Debatte zum Fraß vorzuwerfen, wäre aber unangebracht und unfair. Eine selbst fiktionale und gezeichnete Vergewaltigung sollten psychisch gesunde Leser per Definition nicht anregend finden. Wenn nun doch jemand einen Ständer bekommen, weil eine gezeichnete Dame von geifernden, grünen Monstern geschändet wird, dann kann man das wohl kaum dem Künstler anlasten. Wer seine Grenzen innerhalb des Wirkungsradius von „Goblin Slayer“ abgesteckt hat, der wird dafür mit aberwitziger, temporeicher und herrlich nerdiger Action belohnt.

Made in Abyss

Akihito Tsukushi (Text und Zeichnungen): „Made in Abyss Band 1“.
Altraverse, Hamburg 2018. 172 Seiten. 10 Euro

Ein gewaltiges Höhlensystem namens Abyss hält eine darum erbaute Stadt von Abenteurern in Atem. Wer tiefer in die unerforschten Felsgänge vordringt und sich dabei auch größeren Gefahren aussetzt, der steigt in Rang und Ansehen. Gemeinsam mit ihren Freunden besucht die kleine Riko eine Höhlentaucher-Schule, um hoffentlich eines Tages ihre in den Tiefen verschollene Mutter wiederzufinden. Dieser Traum scheint zum Greifen nah, als sie eines Tages auf einen Roboterjungen stößt, der die notwendigen Fähigkeiten für diese gefährliche Reise in die Untiefen mitzubringen scheint…

„Made in Abyss“ ist in jeder Hinsicht bezaubernd. Vom vergrößerten Format, über die aufwändige Graustufen-Schattierung der filigranen Zeichnungen, bis hin zum detailverliebten Bonusmaterial, das immer tiefer in die Welt des Abyss entführt, stimmt hier einfach alles. Auch wenn sich manche altbekannten Erzählmuster wie etwa Tezukas viel zitierte Astroboy-Formel wiederfinden, wirkt das unterirdische Abenteuer insgesamt sehr erfrischend und unverbraucht. Vor allem wissen die putzigen Höhlen-Kids ihre Leser aber emotional zu überzeugen, muss man die mutige, freche Rasselbande einfach schon nach wenigen Seiten ins Herz schließen. Die zum Schneiden dichte Atmosphäre verdankt „Made in Abyss“ seiner minutiös ausgearbeiteten Fantasie-Welt mit ihrer sorgsam konzipierten Fauna, ihren sozialen Strukturen und ihrem Ränge-System für Nachwuchsforscher. Darüber hinaus bietet das Szenario natürlich noch gewaltiges Potential für viele überraschende Wendungen. Selbst ohne solche erzählerische Kunstgriffe werden die sympathischen, beinahe ekelhaft niedlichen Charaktere, aufwändigen Perspektiven und ein insgesamt sehr hoher Detailgrad der Zeichnungen auch bislang wenig mangaaffine Leser lang unterhalten und begeistern.

Meine Wiedergeburt als Schleim in einer anderen Welt

Fuse (Text), Taiki Kawakami (Zeichnungen): „Meine Wiedergeburt als Schleim in einer anderen Welt Band 1“.
Altraverse, Hamburg 2018. 236 Seiten. 7 Euro

Nach seinem so unverhofften wie tragischen Ableben wird Satoru Mikami in einer anderen Welt wiedergeboren. Tatsächlich ist er aber nicht länger ein Mensch, sondern eine wabernde Masse, ein „Schleim“. Dieser verfügt zunächst über keinen nennenswerte Fähigkeiten, außer Dinge und Lebewesen auffressen zu können. Das sichert ihm das Verständnis und die Sympathie des Autors dieses Artikels. Nach dem erfolgreichen Verzehr von Tieren, Mineralien und allem was Mikami sonst noch so vor die nicht mehr vorhandene Futterluke kommt, kann er deren Fähigkeiten, Gestalt und Eigenschaften kopieren und selbst einsetzen. Ein bizarres Abenteuer in einer Welt voll von Goblins, Riesenwölfen und sogar majestätischen Drachen beginnt…

So sperrig und wild der Titel auch klingen mag, „Meine Wiedergeburt als Schleim“ ist ein echter Glücksgriff. Von der beeindruckenden, psychedelischen Sequenz gleich nach Satorus Reinkarnation, bis zu der grotesken Situation, in der eine Gruppe Zwerge den grimmig schauenden Wackelpudding als Helden feiert, bleibt der Ausnahme-Manga zu jeder Zeit eine charmante Achterbahnfahrt voll knuddeliger „What the Fuck“-Momente. Die extrem eigenwillige und besondere Stimmung des Manga lässt sich schwer zusammenfassen. Trotz der vordergründig vor allem lustigen Grundstimmung des Titels versprüht die epische Erzählung einen ganz eigenen, folkloristisch-mythologischen Charme, den er mit keinem seiner zahlreichen Gags der Lächerlichkeit preisgibt. Gerade im direkten Vergleich mit den anderen hier vorgestellten Altraverse-Titeln ist der Schleim deutlich klassischer und einfacher präsentiert, variiert seine Perspektiven wenig und baut eher auf sehr einfache bis angedeutete Hintergründe. Das sorgt aber auch für einen sehr zeitlosen und klassischen Gesamteindruck, der dem ambitioniert-liebenswertem Wahnsinn sehr gut zu Gesicht steht. Ohne Frage einer der originellsten und beeindruckendsten Manga auf dem deutschen Markt und eine so dringende wie bedingungslose Leseempfehlung.

Dieser Text erschien zuerst auf: DeinAntiheld.de

Mattes Penkert-Hennig ist Betreiber des Online-Comicmagazins DeinAntiHeld.de, Autor für Comic.de und den Berliner Tagesspiegel, war Juror beim „Rudolph Dirks Award“, Panelmoderator auf Comicmessen und hat zahlreiche Video-Interviews mit internationalen Comic-Künstlen geführt. Darüber hinaus produziert er animierte Video-Trailer für Comics und artverwandte Medien.