Schöne Bescherung – „Das Wassergespenst von Harrowby Hall“

Alle Jahre wieder wird Schloss Harrowby Hall am Heiligabend von einem Wassergespenst heimgesucht, das schweren Schnupfen beschert – und mitunter sogar den Tod bringt. Die preisgekrönte Barbara Yelin hat die über 120 Jahre alte Schauergeschichte mit einer guten Portion Humor als Comic adaptiert.

Auf einer triefenden Trage muss der Weihnachtsgast aus dem Schloss getragen werden. Das Wassergespenst hat sein Zimmer heimgesucht. Für den Leser sind schon diese ersten Bilder das reinste Vergnügen. Denn Barbara Yelin hat über die grauen Bleistiftzeichnungen vom gediegenen Schloss das Wasser in so strahlendem Blau fließen lassen, dass es ungeheuer lebendig wirkt.

Barbara Yelin (Autorin und Zeichnerin): „Das Wassergespenst von Harrowby Hall“.
Carlsen, Hamburg 2018. 64 Seiten. 12 Euro

Dass dieses Wasser tatsächlich lebendig ist, wird schon auf der nächsten Seite klar. Ein Jahr später erscheint das Wassergespenst in ebendiesem strahlenden Blau und ist selbst eigentlich nur Wasser: eine junge Frau, die im wahrsten Sinne des Wortes zerfließt. Kleid und Haare sind Rinnsale und Wasserfälle, die sich am Boden zu einer Welle formieren. Wenn das Gespenst wütet und heult, ergießt es sich furios über den Hausherrn.

Ganz im Gegensatz dazu sind die grauen Bleistiftzeichnungen vom Leben auf Harrowby Hall klar umrissen: das kantige Gesicht des Schlossherrn, sein Gehrock und die stets adrett sitzende Bügelfaltenhose. Der Autor John Kendrick Bangs hat dem alten Adel mit seiner Gespenstergeschichte ein Denkmal gesetzt. Zugleich ironisiert er dieses Setting, denn Bangs schreibt im ausgehenden 19 Jahrhundert, als die Industrialisierung alles verändert. Allein die Namen „Harrowby Hall“ und „Henry Hartwick Oglethorpe“ wirken so übertrieben distinguiert, dass sie sich auch Loriot hätte ausdenken können. Doch diesem Gespenst ist mit den üblichen Methoden einfach nicht beizukommen. Beschwörung hilft nicht und auch nicht das Aussprechen der Ursachen für den Fluch.

Es ist ausgerechnet der junge Schlosserbe, der dem Gespenst beikommt – mit so modernen Methoden, wie sie zuvor nie in einer Spukgeschichte beschrieben wurden. So weit die Vorlage.

Barbara Yelin treibt das Spiel mit den Zeitebenen weiter. In ihrer Comicadaption lässt sie das Schlosspersonal über die Zunahme von Paketdiensten lästern oder Whisky on the Rocks reichen. Es sind solche kleinen Details, die die Geschichte wunderbar komisch machen. Wenn Yelin das Ganze bis in unsere Zeit weiterspinnt, wird es noch lustiger. Warum, kann natürlich nicht verraten werden. Nur so viel: Die Geister der Verwandtschaft tauchen immer wieder auf – vor allem an Weihnachten.

Dieser Beitrag erschien zuerst am 18.12.2018 auf: kulturradio rbb

Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.