Deconstructing „Wonder Woman“

Bild aus "Wonder Woman" (2017) / © Warner Bros. Entertainment Germany

War ich, als zwölfjähriger Comic-Verschlinger, eigentlich in Wonder Woman verliebt? Eher nicht. Diana Prince war furchtbar amerikanisch, hatte immer einen pädagogisch-moralischen Erbauungsspruch parat, und dann war da noch dieser uniformierte Langweiler als Freund, Steve soundso. In den siebziger Jahren aber schaute Diana Prince in den Spiegel und entdeckte, dass sie eine Frau war. Ich meine, Superheld und Frau. Wenn Superheld ein Beruf ist, dann ist ja klar: Eine Frau muss immer noch besser sein, um den gleichen Status wie ein Mann zu erreichen. Aber was ist schon „besser“ im Beruf des Superhelden? Vielleicht ist Superheld doch eher Schicksal. Was das anbelangt, hat es Wonder Woman schwer erwischt. Sie ist geworfen aus einer irgendwie altgriechischen Amazonenwelt in das Desaster liberalkapitalistischer, militärtechnizistischer, protestantisch-verklemmter Männlichkeit. Man weiß nie genau, ob Wonder Woman diese Welt von ihren Feinden bewahren muss. Oder doch eher vor sich selbst.

Und dann noch dieses Kostüm! Es ist, so wurde uns in den sechziger Jahren erklärt, „inspiriert“ von den Farben der amerikanischen Fahne. Die Spuren von Steve, dem Langweiler, dem US-Offizier und Agenten, auf Dianas Körper. Die ist sie, trotz aller Design-Kapriolen, nie ganz losgeworden. Und zugleich griechische Heldin und amerikanischer Nationalkörper zu sein, welche Superheldin hält so was schon aus?

1. Dekonstruktion: Der Körper

Der Comic-Hero ist ein öffentlicher Körper. An ihm wird verhandelt, was schön und was hässlich ist, Stärke und Schwäche, gut und böse, statisch und dynamisch, männlich und weiblich, erlaubt und verboten usw. Der Comic-Hero als Superheld ist super, damit er nicht nackt, bloß und gefährlich ist. Denn in den fünfziger Jahren entdeckte ein gewisser Frederic Wertham die „Seduction of the Innocence“ und meinte damit die gefährdende Wirkung der Comics auf das jugendliche Gemüt. Schon im Titel war absolut alles falsch; weder waren wir unschuldig noch stellten Comics eine Verführung dar. Sie bildeten die Welt ab. Und dass sie es, bevor Wertham und der „Comic Code“ kamen, auf so drastische, sarkastische und eben auch kritische Art taten, das passte den Erwachsenen nicht. Die Münder zogen Speichelfäden, das Fleisch verrottete, die poetische Gerechtigkeit führte zum einen oder anderen Gemetzel in den Horror-Comics von EC, bei „Dick Tracy“ waren die Menschen in ihren Visagen zur Kenntlichkeit verzerrt, und das Schlimmste war: Wertham hatte entdeckt, dass Batman (kein Superheld!) schwul war. (Prompt bekam der Männerhaushalt Batmans eine Aufpasser-Tante verpasst.)

Wonder Woman Issue #1 (1942)

Die Comic-Helden wurden super, um die neue Zensur zu überleben. Immun gegen das Fleischliche und gegen moralische und sexuelle Ambiguität. Sie folgten dabei gewiss einem Impuls, den Sigmund Freud den Todestrieb nannte: Sie panzerten den eigenen Körper zum (unsterblichen) Ding, sie zelebrierten paranoide Doppelexistenzen und mussten doch immer wieder erleben, wie sie demaskiert und geschwächt wurden; die Rückkehr des verdrängten Körpers. Deshalb tendieren die Superhelden nicht erst seit gestern dazu, sich gegenseitig zu vermöbeln. Sie prügeln die verschüttete Körperlichkeit aus ihren Superexistenzen heraus. Ein Freundschaftsdienst, wenn man so will.

Den Superhelden als Männerphantasie zu enttarnen ist das Leichteste. Spannend ist deswegen seit den Tagen des „Silver Age“ (einer zweiten Blüte der amerikanischen Comic-Kultur in der frühen zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts) weniger der Sieg und weniger der unendlich suggestive Katalog der Schurken, Dämonen, Aliens und Maschinen, über die er errungen werden muss, als das kritische Rumoren in ihnen. Das Privatleben der Superhelden spielt eine zunehmende Rolle, und bei „Spiderman“ gab es neben der fortlaufenden Soap Opera um den Teenager Peter Parker sogar Spuren einer SitCom. Diana Prince alias Wonder Woman dagegen tat sich mit Scherz, Satire und Ironie lange Zeit eher schwer. Wahrscheinlich um von tieferer Bedeutung nicht zu viel zu verraten. In Patty Jenkins’ Film, so viel sei verraten, sind unter vielem anderen auch die Spuren einer Screwball Comedy aufgelöst.

Wonder Woman, das unterscheidet sie immer noch von einer Reihe ihrer Berufskolleginnen oder Schicksalsgenossinnen, wie man es nimmt, ist nicht jemand, der als Frau die Superhelden-Funktion für sich erobert, sondern ihr Superhelden-Dasein ist originär weiblich. Sie wird super nicht obwohl, sondern weil sie Frau ist. Und ihre Weiblichkeit entsteht nicht allein im männlichen Blick. In der Story Line, die Greg Rucka in den Comics unserer Tage entwickelte, ist Diana Prince offen bisexuell, aber das zu verleugnen hat sie sich auch früher nicht allzu sehr abgemüht.

2. Dekonstruktion: Die Politik

Es gibt die These, dass Superhelden eine „jüdische“ Erfindung sind. Festgemacht wird diese These einerseits an der Häufung jüdischer Autoren und Zeichner im Genre (beginnend mit den beiden New Yorker Jungs, die Superman erfunden haben), andererseits an einer gewissen Kongruenz der Mythen. Curt Siodmak, der es mit den Werwölfen und den unsichtbaren Männern hielt, sprach vom jüdischen Traum der heimlichen Verwandlung von Ohnmacht in Allmacht und davon, angesichts der Feinde unter seiner Kippa zu verschwinden.

© DC Comics

Wonder Woman indes ist eine ausgesprochen WASP-Erfindung. Sie wurde von William Moulton Marston und seiner Frau, Elizabeth (Sadie) Holloway Marston, im Kriegsjahr 1941 geschaffen. Die Marstons bezeichneten sich als Feministen und entwickelten nebenbei die Urform des „Lügendetektors“. Und Wonder Woman war nicht nur Inkarnation einer Quantifizierung von Wahrheit, sondern auch die grafische Fortsetzung einer queeren, „skandalösen“ Dreiecksbeziehung im Hause Marston. Sexuelle Polyvalenz und der Glaube an psychosoziale Kontrollierbarkeit gingen in ihr eine gespannte Einheit ein. Noch größer als die Verwirrung, der sie ausgesetzt war, ist die Verwirrung, die sie anrichtet. Mit nichts als einem „Lasso der Wahrheit“ und, zugegeben, ausgeprägten Kick-Ass-Fähigkeiten ausgestattet, den Dämonen der Kriegstraumata entgegenzutreten – Göttin!, das ist schon was. Wonder Woman konnte schließlich zur Ikone der Women’s Lib-Bewegung in Amerika werden; für europäische Verhältnisse war sie indes wohl immer noch, nun eben, zu amerikanisch.

In Patty Jenkins’ Wonder Woman-Film spielt die israelische Schauspielerin und einstige „Miss Israel“ Gal Gadot den Part der mehrfach erweckten Superheldin, und auch in den neuen Comics, in der „Rebirth“-Serie der DC-Comics (der Neuerzählung der alten Comic-Legenden), übrigens nach Greg Ruckas Scripts von den Zeichnerinnen Nicola Scott aus Australien und Bilquis Evely aus Brasilien gestaltet, scheint sie, Olymp hin oder her, die Zusammenfassung aller Merkmale zu sein, welche die populäre Kultur der „schönen Jüdin“ zugeschrieben hat. Allgemeiner vielleicht: Wonder Woman ist mittlerweile jene (Super-)Frau, die der weißen, protestantischen, heterosexuellen, männlichen Hegemonie am deutlichsten entkommen konnte. Und die pinkfarbenen Herzchen umtanzen nicht sie, sondern Steve …

„Wonder Woman“ mit Gal Gadot / © Warner Bros. Pictures Germany

Die „schöne Jüdin“, wie wir sie einst in Gestalt von Elizabeth Taylor in „Ivanhoe“ als aktives Gegenbild zur passiven blonden Vertreterin der Herrschaft kennenlernten, und wie sie immer wieder, noch in Genres wie dem Western auftaucht (sogar Lucky Luke ist in seinem letzten Abenteuer einer von ihnen nicht ganz gleichgültig), hat in Wonder Woman nun eine autonome Form gefunden. Auch sie hat ihre Gegenbilder, mal in Gestalt der Indiana Jones-mäßigen Barbara Ann Minerva, mal in der von Steves pummeliger Sekretärin Etta Candy, die ihrerseits eine wundersame Transformation vom üppig-hedonistischen, urbanen wasserstoffgebleichten It Girl zu einer durchtrainierten afroamerikanischen Offizierin durchmacht. Wonder Womans ambigue Semantik kann man eben immer zugleich erotisch und politisch sehen.

Und wie die Fiktionen in die Wirklichkeit zurückfließen: Der Film, ansonsten ein offenbar universaler Blockbuster, darf im Libanon und in Tunesien nicht gezeigt werden. Rania Masri von der „Campaign to Boycott Supporters of Israel-Lebanon“ erklärte kategorisch: „First and foremost she is Israeli. We don’t distinguish between a good Israeli and a bad Israeli.“ Gal Gadot, die aus ihrer patriotischen Gesinnung nie einen Hehl macht, ist auch als „Wonder Woman“ als Metapher des israelischen Widerstands gegen eine Welt von Feinden zu verstehen, als Kriegerin einer im Herzen friedlichen Gesellschaft, die erkannt hat, dass mit der Gegenseite (hier etwa: dem deutschen Kaiserreich und dem Kriegsgott Ares, dort mit der Hamas) nicht zu reden ist. Aber auch hier lässt sich neben der propagandistischen Rekrutierung eine allgemeinere Botschaft erkennen: Das weibliche Kriegertum bindet sich an das Endziel des Friedens, schön wäre es jedenfalls.

3. Dekonstruktion: Cinematografie

© Warner Bros. Entertainment Germany

Patty Jenkins, die Regisseurin von „Wonder Woman“, hat zuvor „Monster“ (2003) gedreht, das Bildnis einer „bösen Frau“, oder anders gesagt, das größte Verzweiflungsbild von Weiblichkeit der Milleniumsjahre: Die wahre Geschichte der Serienmörderin Aileen Wuornos und ihrer Geliebten Selby, gespielt mit wunderbarem Mut von Charlize Theron und Christina Ricci. Aileen, Prostituierte seit ihrem 13. Lebensjahr, entschlossen sich zu erschießen; Selby, die von ihren streng christlichen Eltern zu einer Tante geschickt wurde, um sie von ihren lesbischen Verirrungen zu „heilen“. Beginn einer blutigen amour fou. Viele Jahre und Männer-Morde später steht Aileen vor Gericht, und Selby sagt gegen sie aus. Nach zwölf Jahren in der Todeszelle wird sie mit der Giftspritze hingerichtet. Schlimmer aber: Aileen und Selby haben kein Wort mehr miteinander gewechselt, kein Gespräch, kein Brief, keine Nachricht.

Der Film brachte für Charlize Theron Ehr und Preis, es war die Rolle ihres Lebens. Patty Jenkins aber tauchte erst einmal in der Abteilung gediegenes Handwerk in gehobener Serienproduktion beim Fernsehen ab. „Wonder Woman“ ist ihre Rückkehr auf die große Leinwand, und der Film zeugt von eben jenem Zwiespalt, den auch die Heldin umtreibt. Dramatisches Außenseitertum vs Anpassung. Man darf „Wonder Woman“ sowohl als Abkehr als auch als Fortsetzung des ersten Films sehen: Wo „Monster“ war, soll „Wonder Woman“ werden. Schön wäre auch das.

Die Sache ging gut aus. Als multimediales Projekt der sexuellen und politischen Häresie scheint „Wonder Woman“ gerade das Genre der Superhelden-Erzählung vor der endgültigen Auflösung in Selbstreflexion, Bedeutungshuberei und Merchandising-Kniffen gerettet zu haben. Durch ein gerade noch marktverträgliches Maß an Eigensinn und überraschender Entspanntheit.

Dieser Text erschien zuerst am 18.06.2017 auf getidan.de.

Hier findet sich eine Filmkritik zu „Wonder Woman“.

Georg Seeßlen, geboren 1948, Publizist. Texte über Film, Kultur und Politik für Die Zeit, Der Freitag, Der Spiegel, taz, konkret, Jungle World, epd Film u.v.a. Zahlreiche Bücher zum Film und zur populären Kultur, u. a.: Martin Scorsese; Quentin Tarantino gegen die Nazis. Alles über INGLOURIOUS BASTERDS; Blödmaschinen. Die Fabrikation der Stupidität (zusammen mit Markus Metz); Tintin, und wie er die Welt sah. Fast alles über Tim, Struppi, Mühlenhof & den Rest des Universums; Sex-Fantasien in der Hightech-Welt (3 Bände) und Das zweite Leben des ›Dritten Reichs‹. (Post)nazismus und populäre Kultur (3 Bände). Kürzlich erschien im Bertz+Fischer Verlag Liebe und Sex im 21. Jahrhundert. Streifzüge durch die populäre Kultur.