Zeitenwenden, die die Geschichte des Kinos in ein „Davor” und „Danach” einteilen, gibt es einige: Der erste Schnitt, der erste Spezialeffekt, der erste dramaturgisch voll ausgefeilte Erzählfilm, der erste Synchronton, der erste Farbfilm – allesamt Etappen auf dem Weg dahin, was man auch heute noch Kino nennt. Und dann natürlich: die großen Filme, die Epochen und Vorstellungen dessen, was unter Kino läuft, schlagartig neu definierten.
Der 25. Mai 1977 ist so ein Schicksalsdatum, nach dem vieles anders war als zuvor: Es ist der Tag, als ein Kinopublikum erstmals einen Blick in die Schwärze des Alls über dem Wüstenplaneten Tatooine warf, bevor ein Blockadebrecher aus der Allianz der Rebellen auf der Flucht vor einem Imperialen Sternenzerstörer die Ruhe jäh zerriss. Nicht nur das Kino wurde in diesem Moment durchgerüttelt, das Publikum wurde von der Wucht des gigantischen Raumschiffs gleich noch regelrecht auf den Boden gedrückt. Neun Jahre zuvor mag Stanley Kubrick die Erhabenheit des Alls, dessen Tiefe und Größenverhältnisse noch elegisch-symphonisch vermessen haben – George Lucas hingegen machte sie als großen Kinoaffekt physisch erfahrbar. Mit einem Mal sind wir in medias res, inmitten der Fronten eines technologisch erbarmungslos geführten Sternenkriegs.
Weite des Alls, Erhabenheit des Raumkreuzers, Blasterschüsse im Großen wie im Kleinen, die ersten handelnden und sprechenden Figuren inmitten des hektischen Getümmels sind dann noch die Androiden C-3PO und R2-D2 – Lucas’ Signale ans Publikum sind eindeutig: Es geht um das Primat des Technischen, um das Primat der Textur einer schroffkantigen, abgenutzten Erzählwelt, deren Geschichte nicht erst mit Auftakt des Films beginnt, sondern auf der bereits der Druck vieler und nicht der allerbesten Jahrzehnte ruht. Man kann ein solches Szenario behaupten und auf den guten Willen des Publikums hoffen – oder man kann es erzählen, in dem man bis ins Detail der Kulisse vordringt und technisch komplexe Bilder schafft, die dennoch den Eindruck einer vorgefundenen, bewohnten Welt vermitteln. Lucas, Filmhochschulabsolvent mit Neigung zum Experiment und mit bereits zwei Kinofilmen im Gepäck (der eine die Dystopie „THX 1138”, der andere das erfolgreiche Nostalgie-Movie „American Graffiti”), entschied sich für Letzeres – eine schicksalsschwere Entscheidung, die nicht nur rund drei Jahre Entwicklungs- und Produktionszeit und zeitweise ein Leben am Rande des psychischen und gesundheitlichen Ruins nach sich zog, sondern Lucas auch langfristig zu einem der reichsten Männer Hollywoods machte, der – schöne Ironie der Geschichte – zu Hollywoods Business-Milieu allerdings immer auf Distanz blieb. Im Grunde ist er immer der Independentfilmer geblieben, als der er sich an der University of Southern California betätigt hatte.Die Lust daran, eine haptisch schlüssige Welt auszugestalten, übersetzte sich auf Seiten des Publikums direkt in Faszination: Diese Welt war spürbar größer als der kleine Ausschnitt, den man hier zu sehen bekam, es war eine begehbare, detaillierte Welt, von der man, wenn man sie schon nicht betreten konnte, zumindest einen Teil besitzen wollte. Merchandise und Fankultur gab es zwar auch schon vor „Star Wars”. Aber „Star Wars” war doch der erste Film der Kinogeschichte, zu dessen wesentlichster Eigenschaft es zählte, den zentralen Knotenpunkt eines hochgradig ausdifferenzierten, sich an eine breite Masse richtenden Warenangebots darzustellen. Wobei: Was heißt Knotenpunkt? Vielleicht doch eher Brennpunkt – schließlich bündeln sich in dem Film die zahlreichen Paratexte, die einer solchen Produktion und ihrer Planung notwendig vorausgehen müssen, um dann vom fertigen Produkt aus wieder in die Massenkultur abzustrahlen.
Mit seinem Mammutband „Das Star-Wars-Archiv 1977-1983” betreibt Paul Duncan nun Quell- und Ursachenforschung und fügt damit der schönen Reihe des Taschen Verlags mit extravagant gestalteten, großformatigen Filmarchiven in Buchform ein besonders edles Exemplar hinzu, das in Umfang, Details und versammeltem Material jedes öde, zu PR-Zwecken gedrehte Making of mühelos ersetzt. Neben den obligatorischen, exzellent reproduzierten Film Stills, die allerdings für das Buch eher atmosphärischen Charakter haben, sind es die zahlreichen Fundstücke aus den Produktionsarchiven, zu denen Duncan offensichtlich privilegierten Zugang hatte, die einen minutiös an der kleinteiligen und langwierigen Entstehung eines Kinomythos teilhaben lassen. Das eine oder andere Stück kennt man zwar schon aus anderen Quellen – Ralph McQuarries bis heute faszinierende, im Gegensatz zur Gravitas der „Star Wars”-Filme eher filigran und technisch wirkenden Konzeptgemälde etwa dürfen bei einem solchen Buch nicht fehlen -, doch in dieser dichten Komposition und edlen Optik eines Breitbild-Buchkolosses entwickeln sie eine ganz neue Sogkraft – Interesse an, besser noch: Liebe zu den Filmen natürlich vorausgesetzt.
Zumal das Buch auch über ein exzellentes Text-Rückgrat in Form eines ausführlichen Gesprächs zwischen Paul Duncan und George Lucas selbst verfügt, das sehr sinnig durch Zitateinschübe aus weiteren Gesprächen mit vielen weiteren Produktionsbeteiligten ergänzt wurde. Hinzu kommen zahlreiche Passagen aus den vielen Drehbuchentwürfen, Abstracts, Memos und anderen Hinweisen aus allen Phasen der Produktion bis hin zu Continuity-Berichten zu den einzelnen Klappen und Einstellungen. Man ist ganz dicht dran an der Entstehung dieses Films, sieht und liest, wie Ideen aufkommen, wird Zeuge, wie sie wieder verworfen werden und an anderer Stelle wieder auftauchen – Bespin, die Stadt in den Wolken aus „Das Imperium schlägt zurück” etwa, war ursprünglich ein Entwurf für die galaktische Superwaffe, aus der einmal der Todesstern wurde. Der Blockadebrecher der Rebellen zu Beginn, ist ein Abfallprodukt auf dem langen Weg zu Han Solos Rasendem Falken. Und dass Chewbacca letztendlich „nur” ein großer Bigfoot wurde und nicht so aussieht wie noch in den ersten Entwürfen (eine Art grotesk froschig dreinblickender Hundetroll), dafür muss man bis heute dankbar sein.
Faszinierend an diesem detaillierten Blick in die materielle Ideenwerkstatt ist nicht zuletzt, dass man dabei zusehen kann, wie aus einer Welt, die keinen Begriff von „Star Wars” hat, eine wird, in der die Ikonografie, Ästhetik und Haptik von „Star Wars” aus der Popkultur nicht mehr wegzudenken ist. Mit jeder Seite, die man umblättert, nimmt „Star Wars”, wie man es heute kennt, Kontur und Gestalt an, schält sich aus einem potenziell schier unerschöpflichem Ideenreservoir heraus und wird konkret. Insbesondere Material zum allerersten „Star Wars”-Film ist – da hier Form, Gestalt und Feeling dieses Erzähluniversums erst noch gefunden werden mussten – so reichhaltig versammelt, dass man darüber staunt, durch wie viele Ideen-Generationen und Entwürfe dieser Stoff gegangen ist: Dass der erste „Star Wars”-Film der relativ straighte, zumindest aber atmosphärisch stimmige New-Hollywood-Fantasy-Western geworden ist, der er schließlich wurde, war nicht direkt von Anfang an eine ausgemachte Sache. Ohne weiteres hätte „Star Wars” auch kulissiger, mit Blafasel-Sprache vollgesogener Fantasy-Kohl werden können, der an der Kasse wie Senkblei untergegangen wäre.
Ein Mythos der Film-Phantastik, lernt man hierbei eindrucksvoll, fällt nicht einfach so vom Himmel. Er wird der physischen Wirklichkeit unter viel Blut, Schweiß und Tränen mühsam abgetrotzt. Nimmt man das hier versammelte Material zur Grundlage, wäre eigentlich nur jemand wie Werner Herzog dazu in der Lage, ein adäquates Making of der geradezu athletischen Dreharbeiten des ersten Teils zu inszenieren: Die Fülle an Verzögerungen, Pannen, technischen Herausforderungen, Termin-Bredouillen, schlechten Wetterlagen, das noch während der Dreharbeiten mehrfach überarbeitete Drehbuch und nicht zuletzt die Arbeiten an den aufwändigen Special-Effects lassen staunen, dass der Film überhaupt in die Kinos kam (George Lucas berichtet an einer Stelle davon, noch wenige Tage vor dem offiziellen Kinostart am Material geschliffen zu haben) und George Lucas sich nicht durch Freitod aus der Affäre zog.
Etwas weniger haarsträubend sind die Kapitel zu den folgenden Filmen – zumal hier die Form gefunden war und die technischen Herausforderungen zwar nicht gemeistert, aber doch besser in den Griff zu kriegen waren. Zu Herzen geht dann aber doch jene Passage, in der Lucas davon berichtet, wie die schmerzlich erkämpfte Produktions-Unabhängigkeit nach zwei Dritteln der Produktion von „Das Imperium schlägt zurück” wegen einer heftigen Kreditsache zu zerbröseln droht. Und spannend zu lesen sind auch jene Passagen aus dem ersten Drehbuch, das die Science-Fiction-Autorin Leigh Brackett kurz vor ihrem Tod 1978 auf Grundlage eines Entwurfs von George Lucas verfasste, von diesem aber als untauglich verworfen wurde.
„Das Star Wars Archiv 1977-1983” ist daher ein auf mehrfache Weise lesbares Buch: Als Fan versenkt man sich im staunenden Blättern durch die großformatigen, schönen Bilder, freut sich an Fotografien von den Dreharbeiten, entdeckt Neues und Altes, hat manchen Aha-Effekt und schmunzelt mehr als einmal (etwa über die Lösung, wie sie Anthony Daniels als zerschmetterten C-3PO in „Das Imperium schlägt zurück” an den Rücken von Chewbacca gebracht haben – manchmal greift man in einer „galaxy far far away” eben auch auf klobige Kiefernholzlösungen zurück). Oder aber man versenkt sich in die Produktionsparaphernalia, studiert Drehbuchseiten, Drehberichte, Anmerkungen aus dem Qualitätsmanagement und andere Dokumente. Oder man liest die sorgfältig zusammengestellte Interview-Collage als einen sämig-süffigen, von Anekdoten gespickten Oral-History-Longread – oder begreift das Gesamtpaket als eine Art Filmhochschule in nuce, die einem beibringt, das insbesondere auch in der harten Welt der Blockbuster-Produktion Allmachtsfantasien noch beständig an der Beharrungskraft des Faktischen reiben.
Seinem Archivkonzept wird das Buch im übrigen nicht nur im Hinblick auf die drei Filme der klassischen „Star Wars”-Filme gerecht. Auch die weiteren, allerdings apokyrphen Star-Wars-Filme jener Zeit werden in einem knappen Anhang umrissen und im Kontext einiger versammelter Materialien dargestellt: Neben dem berüchtigten „Holiday Special” (eine so langatmige wie lausige, vor allem für Trash-Fans interessante TV-Produktion, derentwegen George Lucas bis heute Tischkanten mit seinen Zähnen perforiert) handelt es sich hierbei vor allem um die „Ewoks”-Filme – fürs Fernsehen entstandene, bei uns aber tatsächlich im Kino ausgewertete Spin-Offs, die die pelzigen Guerilla-Krieger aus „Die Rückkehr der Jedi-Ritter” noch mal kindgerecht aufgriffen, ohne sich dabei allzu konkret zu den eigentlichen „Star Wars”-Filmen zu verhalten.
Sicher: Hartgesottene Fans kann man mit diesen Filmen jagen – aber die Geste ist aus archivarisch-historischen Gründen richtig. Ein gut brauchbares Register rundet das im übrigen auch äußerlich haptisch liebevoll gestaltete Buch stimmig ab. Was es über die Entstehung und Produktion der klassischen „Star Wars”-Filme zu wissen gibt – hier, in diesem definitiven „Star Wars”-Buch ist es in luxuriöser Fülle großformatig versammelt.
Diese Kritik erschien zuerst am 01.04.2019 auf: CulturMag
Thomas Groh, Jahrgang 1978, lebt seit 1997 in Berlin, ist Redakteur bei Deutschlandfunk Kultur und schreibt u. a. für die taz, den Tagesspiegel, den Perlentaucher und weitere Medien über Filme. Im Netz anzutreffen ist er in seinem Blog und auf Twitter.