„Das Goldene Zeitalter“ ist ein mittelalterliches Epos, dessen Heldin leidenschaftlich für eine Utopie eintritt: eine Welt ohne Krieg und Unterdrückung; eine Welt ohne soziale Ungerechtigkeit; eine Zukunft, die allen gehört. Auf dem diesjährigen Comicfestival Angoulême haben sich Roxanne Moreil und Cyril Pedrosa abseits des Trubels ein wenig Zeit genommen, um mit Katja Schmitz-Dräger über ihre erste Zusammenarbeit, über Politik und Phantastik, grafisches Vokabular und feministische Comics zu sprechen. Wir präsentieren das folgende Presse-Interview mit freundlicher Genehmigung des Reprodukt Verlags.
Wie kam es zu diesem Projekt – wer hatte die Idee, wie habt ihr dafür zusammengefunden? Gab es die Idee schon länger?Roxanne Moreil: Also, eigentlich war der Anfang eher zufällig: Cyril hatte nach „Jäger und Sammler“ keine großen Projektpläne mehr. Und in diesem Moment der Offenheit fing er an, im Zug von Paris nach Nantes eine Figur in sein Notizbuch zu zeichnen, eine Prinzessin, etwas kriegerisch. Diese Zeichnung haben wir uns dann angeguckt und angefangen, uns auszudenken, was das sein könnte: das Leben dieser Figur, ihre Abenteuer. Das hat supergut funktioniert, es ließ sich wirklich gut an und hat uns gepackt. Und so haben wir uns entschlossenen, diese Geschichte zusammen weiterzuschreiben.
Cyril Pedrosa: Ich hatte mal versucht, Roxanne davon zu überzeugen, eine Story über die Geschichte der Linken in Frankreich zu machen, und Roxanne sagte: Nein, das wird langweilig… Aber tatsächlich sind die beiden Themen dann ziemlich schnell doch wieder zusammengetroffen. Das heißt, bei dem, was wir uns zusammen anhand der Zeichnungen ausgedacht hatten – die Abenteuer und Wendungen, die dieser Figur widerfahren könnten – haben wir auch sofort gemerkt, dass wir auch Lust hatten, noch Politik dort reinzumischen, und dass das auch sehr, sehr gut funktionierte. Und das hat dazu geführt, dass wir, als der Zug schließlich in Nantes ankam, uns gesagt haben: Diese Geschichte schreiben wir zusammen.
Also habt ihr das von Anfang an zusammen entwickelt?
RM: Ja, als wir dann zurück waren und weiter zusammen an der Geschichte gearbeitet haben, haben wir die Geschichte quasi mündlich geschrieben, indem wir diskutierten, und uns natürlich Notizen machten, aber es war wirklich so, als ob man sich gegenseitig eine Geschichte erzählt. Und so haben wir auch noch ziemlich lange weiter gearbeitet, bevor wir wirklich in eine Schreibphase übergegangen sind.
CP: Ja. Wir haben die ganze Geschichte fertiggestellt, weil wir anfangs nicht vorgesehen hatten, zwei Bücher zu machen. Wir wollten, dass es eine einzige Erzählung wird. Und bevor die nicht als Ganzes geschrieben war, habe ich praktisch nicht angefangen zu zeichnen. Ich habe gegen Ende angefangen, ein kleines bisschen zu zeichnen, weil dann nur noch ein paar letzte kleine Dinge zu klären waren. Als wir etwa ein Jahr damit verbracht hatten, diese Geschichte voranzubringen, und sie dann wirklich fertig war – da habe ich dann zum Zeichenstigt gegriffen. Und da fingen auch die Probleme an (lacht), weil es schwierig war, die passende Richtung für die Zeichnungen zu finden. Ich habe eine erste Version der Bilder gemacht, und dann haben wir gemeinsam diskutiert und uns gesagt: Vielleicht muss man noch ein anderes grafisches Vokabular finden – eine andere Art, die Geschichte zu zeichnen. Und das war dann die zweite Etappe unserer Arbeit: herauszufinden, wie man die Märchenhaftigkeit des Ganzen erzählen kann.
Das wollte ich fragen: War es eine friedliche Zusammenarbeit?
CP: Wir haben uns nicht viel gestritten. (lacht)
RM: Nein, es lief wirklich flüssig. Wir hatten beide gleichzeitig wirklich Lust, eine echte Abenteuergeschichte zu machen, eine richtige Saga – und zugleich war uns die politische Botschaft ein wichtiges Anliegen. Da war es praktisch, zu zweit an der Story zu arbeiten. Wenn es zum Beispiel mal zu sehr in die Abenteuerrichtung ging, und wir den Kern der Geschichte darüber ein bisschen vergessen haben – dann gab es immer den anderen, der sagte: Oh, darauf müssen wir achten… Und umgekehrt. Das war sehr bereichernd.
War es von Anfang an klar, dass es dieses mittelalterliche Setting und den Look haben würde?CP: Ja. Wir haben uns von Anfang an gesagt, dass die Verortung von dieser Geschichte in dieser Epoche das Mittel war, die Idee der Utopie so zugänglich wie möglich zu machen. Dass es so am einfachsten wäre, den Leser akzeptieren zu lassen, dass die Welt sich verändert, dass man sie beeinflussen kann. Und sehr schnell war auch klar, dass wir auch diese Bilderwelt aufgreifen würden – weil sie so reich ist, weil sie anschlussfähig in der kollektiven Vorstellung ist und gleichzeitig eben auch ein überraschendes Moment hat, weil in dieser Geschichte Fantasie möglich ist; es gibt Magie… Aber es ist eine Magie – und das ist ein bisschen speziell, weil es mit dieser Mischung aus Märchen und Politik zusammenhängt -, die von dem politischen Kern getragen wird. Alle Magie in dieser Geschichte kommt aus der Fähigkeit der Menschen, zu handeln, Privilegien infrage zu stellen, die Welt zu verändern, etc.
RM: Aber am Ende kamen auf der visuellen Seite die Mittelalter-Referenzen Stück für Stück: Es gab einen Besuch im Musée de Cluny, zu einem Zeitpunkt, als Cyril noch ganz am Anfang der Recherche für die grafische Umsetzung war, und da waren mittelalterliche Ausstellungsstücke, ungeheuer farbig und im Grunde superpoppig. Und das hat das Buch sehr beeinflusst, aber wir sind nicht direkt von da losgegangen und haben das als unsere Inspiration festgelegt, sondern haben erst mal das Buch als Ganzes versucht abzuschätzen, und die einzelnen Szenen, die ja ziemlich unterschiedlich sind.
Habt ihr euch viel Bildmaterial aus der Zeit angesehen?
CP: Ich glaube, Roxanne hatte eigentlich mehr den Reflex, in diesem Bereich zu recherchieren und noch mehr Bilder zu finden. Ich hatte eher die Tendenz, bei meinen eigenen grafischen Referenzen anzufangen, also davon auszugehen, was ich schon gemacht hatte, was ich gut kann… Und so war es wirklich sehr bereichernd, dass Roxanne immer wieder kam und sagte: Du musst dir das hier angucken, das passt super zu der Geschichte. Roxanne hat auch sehr darauf gedrungen, bestimmte Elemente der Erzählung aufzulockern – zum Beispiel Figuren zu verwenden, die sich vor einem Hintergrund durchs Bild bewegen, was der Geschichte eine ganz spezielle Atmosphäre verleiht und die Art und Weise verändert, wie man sie lesen kann.
CP: Nein, ich glaube, das ist nicht besonders wichtig.
RM: Wir haben damit angefangen, zunächst ein paar Vorbilder anzuschauen, zum Beispiel Thomas Müntzer oder die Volksaufstände in Deutschland. Das war Teil der ursprünglichen Recherche, aber dann haben wir uns sehr schnell klargemacht, dass wir überhaupt keinen historischen Bericht machen wollen, sondern dass wir das Ganze neu denken müssen. Und zwar vor allem, weil wir überhaupt keine religiösen Elemente in der Geschichte haben wollten, wir wollten keine Religion. Das hat uns zu schaffen gemacht; wir wussten nicht so recht, wie wir es anfangen sollten – und ab diesem Punkt konnten wir aber wirklich erfinden und uns unser eigenes Mittelalter ausdenken. Und so gibt es zwar ein bisschen Jeanne d’Arc in der Figur der Tilda, es gibt etwas mittelalterlichen Gesang, es ist insgesamt sehr nah an einer Fabel oder einem Märchen – aber wir haben keine besonders spezifischen historischen oder literarischen Vorbilder.
CP: Nein, das hat keine Bedeutung für das Verständnis der Erzählung oder ihrer Bedeutung. Es ist wirklich eine Fantasie des Mittelalters in Europa – ja, europäisch ist es schon, und vielleicht ist es darum für Menschen in den USA oder so schwieriger, weil es nicht so viele Assoziationen hervorruft, aber andererseits bin ich da gar nicht sicher, denn mittlerweile gehört es doch zur kollektiven Vorstellung, mit „Herr der Ringe“ und ähnlichem. Und letztlich ist das ja eine genauso imaginäre Welt wie diese hier.
Und wo wir gerade von Referenzen reden – es gibt ja aktuell relativ viel feministische Literatur und feministische Comics. War euch die feministische Komponente in eurer Geschichte wichtig?RM: Ja, denn ich arbeite gerade an einer Ausstellung über feministische Comics in Nantes, mit 50 Comicautorinnen. Und so hatte ich nicht wenig recherchiert zum Platz der Frauen im Comic, über weibliche Figuren im Comic und wie sie dargestellt werden. Das sind noch große Herausforderungen, auch wenn inzwischen viele Frauen Comics machen und die darin einen sehr feministischen Ansatz verfolgen. Das finde ich super – und das ist auch schon die Geschichte. Aber in jedem Fall wollten wir von Anfang an die Figur der Tilda nicht als eine Heldin anlegen, die eine unrealistische Fantasie ist, sexy und naiv. Sie sollte eigenständig und von vielen Widersprüchen geformt sein, wie ein männlicher Held auch.
Und dann gibt es ja noch diese Frauengemeinschaft, die versteckt im Wald lebt – auch das ist von vielen Ereignissen aus unserer Umgebung beeinflusst. Zum Beispiel war da gerade Nuit debout aktuell. Ich weiß nicht, wie bekannt das ist? Das ist eine große soziale Vereinigung in Frankreich, unabhängig von politischen Parteien, die, besonders in Paris, jeden Abend gegen Änderungen im Arbeitsrecht protestiert hat. Das war gerade, als wir an der Geschichte schrieben, und es hat uns viel über Gruppen nachdenken lassen, die in ihrer Zusammensetzung eben nicht gemischt sind, und was das für ihre Dynamik bedeutet. Da ging es um Momente, die exklusiv Frauen vorbehalten sind, um frauenfeindliche Politik – das hat uns alles sehr inspiriert.
CP: Ja – und ich glaube, wir haben in dem Buch auch versucht, ein bisschen zu zeigen, wie Emanzipationsbewegungen sich nähren. Das ist natürlich der Fall gewesen in der Geschichte unserer Länder, aber hier war auch interessant, zum Beispiel in der Figur des Bertil, der seine eigene Position hinterfragt, der einem Herrn dient, und dann miterlebt, wie die Frauen sich von dieser gesellschaftlichen Ordnung selbst emanzipieren. Denn das ist ja Tatsache: Die feministischen Bewegungen haben die linken Bewegungen mit vorangetrieben und umgekehrt – durchaus auch manchmal mit Konflikten und Widersprüchen. Aber das hat uns sehr gut gefallen, dass das so ein Weckruf für eine männliche Figur war, zu entdecken, wie diese Frauen da zusammenleben.
Gibt’s eigentlich von Band 2 schon Neuigkeiten?RM: Cyril hat angefangen, die ersten 50 Seiten zu zeichnen. Die Story war schon vorher komplett fertig. Es war eigentlich als ein Buch angedacht; erst später haben wir entschieden, es in zwei Bände zu teilen – weil es einfach sehr, sehr lang war.
CP: Der Band soll März 2020 erscheinen. Aber ich bin ein bisschen hintendran mit den Zeichnungen. Ich müsste es bis Ende des Jahres fertigstellen; ich habe ein Jahr insgesamt… Aber ich habe noch 150 Seiten zu zeichnen. Ich möchte es natürlich gerne fertigkriegen, in jedem Fall wird es nächstes Jahr, ob nun März oder September. Aber es ist noch viel Arbeit, denn das Zeichnen dauert sehr lang; das Schreiben hat schon lang gedauert, aber die Technik hier ist sehr aufwändig, und für Band 2 gibt es noch viele komplexe Dinge zu zeichnen: Krieg, überall Soldaten… Schlösser…
RM: Action.
CP: Action. Und darum dauert es lange.
Ja, so sieht es auch aus. Und noch eine Frage zur Kolorierung: Die machst du am Computer?
CP: Ja, am Computer, aber ich arbeite mit zwei Sidemen und –women. Ich habe allein angefangen, aber nach einer Weile ist mir klargeworden, dass es einfach wirklich lange dauern würde und ich vermutlich längst tot wäre, bevor ich das fertigkriege; das wären einfach Jahre und Jahre. Ich habe dann sehr schnell zwei Leute gefunden, die mir helfen, Claire Courrier, eine junge Frau, die im Animationsfilm arbeitet, und Joran Treguier, ein junger Comiczeichner. Sie haben mir bei Band 1 sehr geholfen, und da ich noch kaum mit dem Kolorieren angefangen habe, denke ich, dass sie auch bei Band 2 mitarbeiten werden, und so arbeiten wir zu dritt. Ich habe sogar ein bisschen mit meinem Sohn gearbeitet – das war wie eine kleine Kolorationsfabrik zu Hause; es war sehr niedlich.
RM: Studio Pedrosa.
CP: Ganz genau – Studio Pedrosa.