Schwarwels autobiografische Graphic Novel „Gevatter“ (Glücklicher Montag) ist eine harte Auseinandersetzung mit dem Tod und gehört zum Besten, was der hiesige Comic zu bieten hat. Das haben wir bereits 2020 anlässlich der Veröffentlichung der ersten drei Hefte festgestellt. Zunächst in fünf bibliophilen Heften (ja, das gibt’s) vorveröffentlicht, wurde die Story nun mit einer Gesamtausgabe abgeschlossen. Im Presse-Interview erklärt der Leipziger Künstler den Hintergrund des Projekts – ein intensives Gespräch über Depressionen, Endlichkeitskultur und den schweren Stand des Comiczeichner*innenberufs.
Um was genau geht es in der gesamten Geschichte von „Gevatter – Die fünf Phasen“ im Grobabriss?
Wie auch in unseren letzten Trickfilmprojekten greife ich bei „Gevatter“ auf meine eigene Vita zurück, einfach weil ich mich damit am besten auskenne und hier weiß, was die Protagonist:innen fühlen, wie sie reagieren und was davon ich in der Graphic Novel erzählen möchte.
Die Geschichte handelt vom Aufwachsen meines Alter Ego Tim und seinem gleichzeitigen Begreifen der eigenen als auch der allumfassenden Endlichkeit – was bei mir persönlich mit sehr viel Angst, Unsicherheit und Irritation verbunden war. Ich möchte die Leser:innen einladen auf eine Berg- und Talfahrt durch meine Ängste und Neurosen als Beispiel dafür, wie man eben mit den großen Themen umgeht und sie anzupacken lernt in der Hoffnung, die Rezipient:innen erkennen etwas davon in sich wieder und bekommen damit vielleicht auch einen klareren Zugang zu ihrer eigenen Vergänglichkeit und dem Wert, den das Leben dadurch bekommt. Vorausgesetzt, sie sind nicht sowieso schon mit sich im Reinen, was ich allen nur wünschen kann… Depression, Alkohol und Traumata spielen genauso eine Rolle wie das Streben meines Protagonisten nach künstlerischem Ausdruck in Musik, Comics und Kunst, was für mich natürlich untrennbar miteinander verbunden ist.
„Gevatter“ ist in fünf Phasen aufgeteilt. Was bedeuten die fünf Phasen?
Die fünf Phasen, die die fünf Kapitel von „Gevatter“ bilden, beziehen sich auf die fünf Trauerphasen, die die Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross aus ihrem Ende der Sechzigerjahre entwickelten Fünf-Phasen-Modell des Sterbens abgeleitet hatte. Ich fand diese fünf Phasen – Verleugnung, Zorn, Verhandlung, Depression und Akzeptanz – für mich und mein Erleben absolut zutreffend, weshalb ich sie für „Gevatter“ als einen Zeitstrahl verwendet habe, auf dem sich die Geschichte entlang bewegt.
Kannst du bei deinen Arbeiten deine Depression „aufarbeiten“ und in etwas Positives verwandeln?
Meine Depression tickert da eigentlich meist eher nur im Hintergrund mit. Sie wirkt da so vor sich hin und macht, was Depressionen eben so machen, und bei manchen Comic-Panels, Trickfilm-Frames oder Fall-Illustrationen schnellt sie mal hervor, aber ich nehme mir bei keiner meiner Arbeiten bewusst vor: „So, jetzt arbeite ich mal meine Depression auf.“ Was sollte ich da aufarbeiten? Sie ist Teil meines Wesens. Ich kann sie maximal beschreiben, aber aus reinem Selbstzweck interessiert mich das nicht. Bei „Gevatter“ ist es notwendig für die Geschichte, dass ich da Aspekte miterzähle, aber einen kathartischen Effekt erhoffe ich mir davon nicht.
„Leipzig von oben – Leben und Sterben in der Stadt“ hat mir mit Sicherheit dabei geholfen, den Tod meines Vaters zu verarbeiten, aber ich habe bei diesem Trickfilm als Autor anfangs eigentlich nur nach einem Weg gesucht, wie ich das Thema „1000 Jahre Leipzig“ so erzählen kann, dass man vor Langeweile nicht wegschläft beim Zugucken.
Ist eine Graphic Novel oder ein Trickfilm als Zeichner mit ganz viel Hölle, Selbstzweifeln, Überwindung und Existenzängsten verbunden?
Natürlich habe ich das alles, und manchmal scheint es fast unerträglich, aber ich weiß immer, dass das meine eigenen Höllen, Selbstzweifel und Existenzängste sind, und dass ich der Einzige bin, der sie überwinden kann und muss, wenn ich diesen einen Trickfilm oder jenen einen Comic zu Ende bringen will. Umso öfter man das macht, umso leichter erkennt man die Krisenherde. Reintappen tut man trotzdem, weil die genau dafür da sind, jedoch ist da ganz hinten im Hinterkopf eine kleine Zuversicht, die mir sagt, dass ich diese Aufgabe jetzt meistern kann, weil ich andere Aufgaben auch schon gemeistert habe. Scheitern gehört einfach dazu.
Du hast eine Psychotherapie gemacht und erzählst davon in „Gevatter“. Wie hat dir diese geholfen?
In einer der ersten Sitzungen bat mich mein Psychotherapeut, meinen Lebenslauf niederzuschreiben und ihn bei Gelegenheit mitzubringen. Also setzte ich mich am Wochenende hin und versuchte, den Wust in meinem Kopf aufs Papier zu bringen. Wochen später war ich immer noch nicht weiter, das Chaos schien nur noch größer geworden zu sein. Sobald ich an die einzelnen Sachen ran wollte, schlugen die Wogen hoch, und ich versank in ihnen. Den Lebenslauf hab ich ihm nie geliefert – stattdessen habe ich jetzt gut zwanzig Jahre später „Gevatter“ fertig. Da ist sehr viel von dem zu sehen, was ich damals wohl hätte aufschreiben sollen. Also ja, die Therapie hat mir geholfen, weil sie viel gelöst hat und meine Gedanken klarer geworden sind.
Klinische Depression und Angststörung. Hat dir deine Diagnose geholfen, um einen besseren Umgang zu finden?
Definitiv. Ich hab zum Beispiel die Bilder und Erinnerungen aus meiner Kindheit und Jugend noch mal aus einer anderen Perspektive erleben können. Das war irgendwie befreiend, auch wenn dadurch die Depression natürlich nicht verschwindet. Die Angstzustände erlebe ich seitdem auch anders. Beherrschter. Ich verwechsele diese Zustände nicht mehr mit mir selbst. Das schafft Abstand und das geflügelte Wort „Auch dies wird vorübergehen“ erhält eine erlebte Bedeutung, aus der ich Energie und sogar so etwas wie Zuversicht ziehen kann.
Du thematisierst deinen problematischen Umgang mit Alkohol. Und bist jetzt seit über 20 Jahren trockener Alkoholiker. Wann war für dich der Punkt gekommen, dass du aufhörst, nüchtern wirst und bleibst? War es für dich eine Herausforderung, komplett keinen Alkohol mehr zu trinken?
Bevor ich von einem auf den anderen Tag mit dem Alkohol aufgehört habe, hatte ich einen Höhepunkt erreicht, was den Konsum bzw. Missbrauch angeht. Mir war vollkommen klar, dass ich am Scheideweg stand: Entweder ich saufe mich tot oder ich muss komplett damit aufhören. Aber lange Zeit fehlte mir dazu die Kraft, und ich dachte, okay, dann trink ich eben Weißweinschorle statt Wodka, ist bestimmt besser. War es nicht. Ich trank, um mein Gedankenkarussell zum Stehen zu bringen, nahm Baldriantabletten gegen die Panikattacken und kiffte zum Schlummertrunk (lies: eine halbe Flasche Wodka), um irgendwie einschlafen zu können. Kompletter Wahnsinn.
Als ich irgendwann nach durchgesoffener Nacht versuchte, früh um sechs im Vollrausch die Schulschnitten zu schmieren, sah ich, was ich da tat: Brotklumpenpampe mit Marmelade, eingeknüllt in Alufolie. Ich nahm den Wodka aus dem Eisfach, kippte ihn in den Ausguss und bin seitdem trocken. Inzwischen denke ich nicht mehr jeden Tag an Alkohol. Es wird leichter mit der Zeit, weil ich weiß, welchen Preis ich für ein Glas Whiskey zahlen würde. Und den bin ich nicht bereit zu zahlen. Da hilft mir meine Sturheit.
Welche Rolle spielen Musik und Bands in „Gevatter“ und in deinem Leben?
Musik war und ist für mich identitätsstiftend – natürlich vor allem in meiner Jugend, weshalb sie in „Gevatter“ auch eine große Rolle spielt. Die Auseinandersetzung mit den Inhalten von Liedtexten, die Images der Bands, das T-Shirt-Tragen, um der Welt zu zeigen, wo man sich selbst verortet oder wie man wahrgenommen werden will, schließlich das selbst Musizieren… das war alles sehr prägend, und das wirkt auch heute noch. Wenn ich einen neuen Song cool finde, google ich als Erstes die Lyrics, um zu checken, ob ich mich von dieser Musik tatsächlich einfangen lassen will, weil ich das ja dann für immer in meinem Gehirn haben werde. Eine Trennung zwischen Kunst und Künstler bzw. Künstlerin mache ich nicht. Wenn die Person neben ihrer Musik krudes Zeug erzählt oder sich wie ein Dinosaurier benimmt, fliegt sie von meiner Playlist und aus meinem Leben.
Wie hat dich deine Zeit bei der Volkssolidarität als Jugendlicher in der DDR geprägt?
Durch meinen Job bei der Volkssolidarität habe ich eine Lebensrealität kennengelernt, die mir zuvor weitgehend unbekannt war. Da wurde ich hinter fast jeder Tür mit entsetzlicher Einsamkeit konfrontiert. Verlorene Seelen, die im Schatten vegetierten. Viele von ihnen warteten einfach auf den Tod, weil für alles andere einfach keine Energie mehr da war. Das war niederschmetternd. Ohne unsere Bandproben, bei denen ich mich regelmäßig heiser schrie, als emotionalem Ventil hätte ich damals keine Kraft gefunden, am nächsten Tag wieder in der Großküche aufzutauchen, um meine Essgeschirre, die Äpfel, den Speisequark und den Adresszettel entgegenzunehmen. Das macht was mit einem. Trotzdem möchte ich keine Minute davon missen, denn irgendwie hab ich da auch für jede Person Liebe gespürt. Da war irgendwie Nähe da. Privateste Momente. Das war pur. Irgendwie hatte ich da auch das Bedürfnis, die Situation der Leute wenigstens für die paar Minuten mit meiner Anwesenheit aufzulockern.
Für meine ganze künstlerische Arbeit inklusive der Karikaturen sind diese Erfahrungen ungeheuer viel Wert, weil sie meinen Fokus geschärft und meinen moralischen Kompass justiert haben. Es hat zwar eine ganze Weile gedauert, bis ich diese Realität mit meiner Arbeit verbinden und sie durch meine Arbeit schildern konnte, aber besser spät als nie.
Hattest du bei der Entstehung deiner Graphic Novel Vorbilder, an denen du dich orientiert hast?
Graphic Novel klingt immer recht hochgestochen, als Comiczeichner habe ich mit der Begrifflichkeit natürlich irgendwie ein Problem. Für „Gevatter“ habe ich mich deshalb an den beiden Werken orientiert, die den Begriff allgemein definiert haben: Will Eisners „A Contract with God“ sowie Alan Moores und Dave Gibbons „Watchmen“. Bei Eisner finde ich die auf Natürlichkeit angelegte Dialogführung ganz großartig, weil sie sich real anfühlt, und von „Watchmen“ habe ich die strenge Einzelbildeinteilung übernommen, die auf einem klaren Neun-Bilder-pro-Seite-Raster, Drei-Bilder-pro-Zeile beruht. Mit dieser Einteilung komme ich wunderbar klar, weil sie ein rhythmisches Erzählen gestattet, das mir sehr entgegenkommt. Größere Bilder wie Establishing Shots kann man dramaturgisch gut eintakten, ohne dass es nach alberner Superhelden-Action aussieht, und Rückblenden kann ich einfach mit gewellten Panelframes ausdrücken.
Stilistisch orientiere ich mich bei dieser Schwarz-Weiß-Geschichte natürlich an Vorbildern wie Charles Burns, Mike Mignola, Frank Miller oder Daniel Clowes: kontrastreiche, solide Bilder, in denen die feinen Linien der realistisch angelegten Figuren nicht zu kurz kommen – was sicher wie ein Haufen Arbeit klingt. Ist es auch. Und es macht sehr große Freude beim Zeichnen.
Warum hast du dich bei „Gevatter“ für genau diesen Stil entschieden? Schwarz-weiß. Sehr realistisch. Und unglaublich detailreich?
Beim Stil einer Geschichte und ihrer Umsetzung bin ich immer das arme, arme Opfer der Umstände, denn es ist umgekehrt: Der Stil entscheidet sich für mich. Wenn ich mich an den Rechner setze, um die Geschichte zu schreiben, bauen sich die Bilder und Situationen im Kopf auf, und ich versuche nur zu beschreiben, was ich da höre und sehe.
Da sich „Gevatter“ wie auch schon „1989 – Unsere Heimat…“, „Leipzig von oben“ und „1989 – Lieder unserer Heimat“ aus meiner Autobiografie speist, sehe ich natürlich sehr viel, weil alles präsent ist: die Erinnerungen und Gefühle, Gerüche und Töne, weil ich eben selbst erlebt habe, wie sich etwas anfühlt, wie es aussieht oder sich anhört… Da besteht dann die Schwierigkeit darin, all das wegzulassen, was den Fluss der Story stört oder den Betrachter nur unnötig ablenkt. Fokussiert zu bleiben, finde ich bei solchen Geschichten ziemlich tricky, da es so viele Sachen gibt, die man noch mit reinpacken könnte… Deshalb versuche ich – wie wahrscheinlich jede:r Erzähler:in – nur die Sachen darzustellen, die der Geschichte dienen und sie vorantreiben. Bei „Gevatter“ muss es für mich schon etwas detailreicher sein, weil ich ja möchte, dass sich die Leser:innen auf die Geschichte einlassen. Sie sollen sich in vertrauter Umgebung fühlen, Bekanntes wiedererkennen, eintauchen und sich so auf das einlassen, was ich ihnen erzähle.
Das Schwarz-Weiß ist zum einen meiner Vorliebe für Undergroundcomics geschuldet, die ja zu Anfang auch immer Schwarz-Weiß waren. Zum anderen liebe ich viele andere Comics und Graphic Novels in Schwarz-Weiß: „Black Hole“, die originalen Popeye-, Calvin-und-Hobbes- und Peanuts-Strips, Will Eisners „The Spirit“, „Mr. Monster“, Bernie Wrightons „Frankenstein“, „Akira“… überhaupt die ganzen fantastischen Manga von „Dragonball“ bis „Parasyte“, die alle nur mit dieser reduzierten Farbgebung irre Ergebnisse erzielen. An ihrem unverwaschenen Strich erkennt man immer, was die Leute wirklich draufhaben.
Zum Gegencheck für „Gevatter“ und die Frage, ob ich da mit Farbe arbeiten sollte, habe ich mir auch ein paar geliebte Klassiker als Schwarz-Weiß-Editionen reingezogen, die ich vorher nur als Vollfarbcomics kannte: „Swamp Thing“, „Howard the Duck“, „The Dark Knight Strikes Again“ und natürlich „Watchmen“… auch diese Sachen habe ich viel intensiver wahrgenommen als vorher das Gleiche in Farbe. Schwarz-Weiß ist es natürlich weniger gefällig, rougher, konkreter – aber genau das mag ich. Man sieht die ursprüngliche Intention der Zeichner, die Strichführung, die Kontraste.
Das mochte ich schon für „Seelenfresser“ – und Dank des iPad kann ich bei „Gevatter“ noch mehr ins Detail gehen, und ich habe mehr Kontrolle über den Strich, obwohl ich da immer aufpassen muss, dass ich die Panels nicht tot zeichne. Mignola weiß, wie viel Kontrolle gut für seinen schwarz-weißen Hellboy ist, Charles Burns übertreibt es meiner Meinung nach manchmal zu sehr in seiner strengen Strichführung, und die Figuren wirken dann wächsern, entfernt und leblos. Das möchte ich für „Gevatter“ natürlich nicht. Es soll locker hingeworfen wirken, auch wenn genau das eine scheiß Arbeit ist.
Du zeichnest und produzierst Animationsfilme, zeichnest jeden Tag zwei tagespolitische Karikaturen, dazu regelmäßig Illustrationen und Comic-Strips. Doch das Erstellen einer eigenen Graphic Novel liegt mit deinem zweiten „Seelenfresser“-Album „Glaube“ von 2012 schon viele Jahre zurück. Wie kam es zu „Gevatter”?
Graphic Novels sind leider richtig harte Arbeit, die niemand einfach mal nur so nebenbei abliefern kann. Die bisherigen zwei „Seelenfresser“-Alben zu produzieren, war schon ein ziemlicher Kraftakt, da ich diese tatsächlich immer irgendwie zwischen Tür und Angel geschrieben und gezeichnet habe. Trotz ideeller und auch finanzieller Unterstützung stecke ich da momentan im dritten der auf vier Alben angelegten Serie fest, da schon allein die Überwachung der Continuity – also bspw. wer hat wann welche Klamotten an – bei so einem seitenstarken Projekt zum Haareraufen sein kann, wenn man keinen Freiraum hat, um sich voll darauf zu konzentrieren. Da wir mit Glücklicher Montag seit 2012 unglaublich viele andere, ebenso aufwändige Projekte umgesetzt haben, fiel „Seelenfresser“ leider immer hinten runter und kam in die Warteschleife. Umso mehr freut es mich, dass wir „Gevatter“ als Projekt der FUNUS Stiftung in den ganz normalen Studioalltag integrieren konnten und ich beim Schreiben oder Zeichnen nicht ständig darüber nachdenken musste, welche Deadlines anderer Projekte ich gerade gefährde, weil ich mir die Zeit abknapse, um ein paar Panels zu gestalten. Das fühlte sich jetzt sehr gut und richtig an.
Wie kam es zur Zusammenarbeit mit der FUNUS Stiftung?
Die FUNUS Stiftung kennen wir als Glücklicher Montag und ich schon seit ein paar Jahren. Hervorgegangen ist die Stiftung vor allem aus dem Wunsch ihres Vorsitzenden Frank Pasic – der zwei ganzheitliche Feuerbestattungseinrichtungen leitet –, die Bestattungs- und Endlichkeitskultur mit ihren Themen Tod, Trauer, Verlust und Aufarbeitung in Deutschland von gesellschaftlichen Tabus zu lösen und die Beschäftigung mit der Vergänglichkeit wieder ins Zentrum unseres gemeinsamen Lebens zu rücken, wo sie m. E. ja auch hingehört. Um das zu erreichen, veranstaltet die FUNUS Stiftung jährliche Symposien und gibt u. a. auch das Magazin „drunter+drüber“ heraus. Der Zufall wollte es, dass wir meinen Vater in einer dieser Feuerbestattungseinrichtungen einäschern ließen, noch bevor ich Frank kannte. Dadurch habe ich einen ungetrübten Eindruck davon bekommen, wie dieser aufmerksame Umgang mit der Endlichkeitskultur in der Praxis aussieht, was mich davon überzeugt hat, mich auch mehr in dieser Richtung zu engagieren.
Frank und seine Frau Dina hatten uns als Glücklicher Montag bereits bei bisherigen Projekten wie unseren Trickfilmen „Leipzig von oben – Leben und Sterben in der Stadt“ und „1989 – Lieder unserer Heimat“ tatkräftig und finanziell unterstützt und irgendwann während der Vorplanungen für „Die Stadt der Sterblichen“, dem Endlichkeitsfestival im September 2019 in Leipzig, kamen wir auch auf meine „Gevatter“-Idee für eine Graphic Novel zu sprechen, die ich spätestens seit „Leipzig von oben“ schon mit mir herumtrug. Da Frank als eingefleischter Comicfan sofort Feuer und Flamme für die Art der Herangehensweise und geplanten Umsetzung von „Gevatter“ war, stand einer Beauftragung des Projekts durch die FUNUS Stiftung nichts im Wege. Herrlich!
Wie und in welcher Weise beschäftigst du dich mit dem Tod?
Seit Kindesbeinen lebe ich mit einer endogenen Depression, weshalb ich mich auch irgendwie schon immer für den Tod, die Dunkelheit und die Abgründe des Lebens interessiert habe. In meinen Anfangszwanzigern entwickelte sich dann eine handfeste Angstneurose, die ich wie vorher schon meine Depression mit viel Alkohol und Tabletten lange verdrängt habe, bis ich mich aufgrund des unhaltbar gewordenen Leidensdrucks und meiner manchmal latenten, oft ausgelebten Aggressivität gegenüber mir selbst und meinen Mitmenschen irgendwann doch mal endlich in Behandlung begeben habe. Das war ein wichtiger Schritt. Lebensrettend. Das heißt, ich kann jetzt zwar viele Krisen meistern oder wenigstens durchstehen, aber die Depression und die damit einhergehenden finsteren Gedanken und Unwelten sind natürlich weiterhin da.
Mir geht es jedoch besser, wenn ich mit diesen Zuständen offen umgehe und mich aktiv mit Terror, Tod und Teufel auseinandersetze. Meine Arbeit ist natürlich auch bestens dazu geeignet, solche Themen in die Welt zu bringen wie jetzt durch meine Graphic Novel „Gevatter“ oder vorher unseren Animationsfilm „Leipzig von oben – Leben und Sterben in der Stadt“, der sich mit dem Tod meines Vaters – aber eben auch und vor allem mit dem Leben davor – beschäftigt. Die Beschäftigung mit dem Tod und der eigenen Endlichkeit wirft mich direkt auf das Leben zurück und lässt mich die Zeit besser nutzen, die mir auf dieser Welt bleibt.
Warum ist es deines Erachtens nach notwendig, dass sich jede:r mit dem Leben, Sterben und Tod auseinandersetzt?
Weil das alles ist, was wir haben. Die Anhäufung von Gütern, Ämtern und Auszeichnungen wird uns am Ende nichts nutzen, wenn wir daraus nicht Kapital für eine bessere Welt geschlagen haben. Der Spruch „Das letzte Hemd hat keine Taschen“ ist dabei ein guter Ratgeber, weil er in sehr schön verkürzter Form zusammenfasst, worum es geht: Materielle Güter sind kein echter Reichtum, der erstrebenswert ist. Echten Reichtum schöpft man nur aus Erfahrungen, aus Erleben, aus dem Leben selbst. Und dieses Leben ist endlich und verdammt kurz. Hast du eben noch selbst im Pool geplanscht, schaust du jetzt deinen Enkelkindern dabei zu. Das, was dazwischen mit mir passiert ist, macht den Wert meines Lebens aus. Das ist seine Summe. Und so was sollte man stets vermitteln, weil es offensichtlich noch nicht alle in die Köpfe gekriegt haben, wenn man sich so umschaut auf der Welt.
Bei Castaneda nennt Don Juan diese Menschen „Unsterbliche“ und meint damit Leute, denen ihre Sterblichkeit nicht bewusst ist und die deshalb jede Menge Torheiten wieder und wieder begehen, ohne dass ein Lernprozess in Gang gebracht wird, und die somit ihr einziges Leben verschwenden, bis es plötzlich einfach zu Ende ist. Ungenutzt verstrichen. Bedeutungslos. Vor allem für sie selbst.
Hast du Empfehlungen, wie man den einzelnen Individuen in unserer Gesellschaft den Umgang mit Trauer, Verlust, Leid, Angst und Schmerz erleichtern kann, um damit einen besseren Umgang pflegen zu können?
Das ist wie mit der fürchterlichen Schulbildung unserer Tage. Wenn nicht grundsätzlich ein Umdenken auch und vor allem in der Politik – also auf der Lenkungsebene – stattfindet, werden alle anderen Bestrebungen nur kleine Graswurzelbewegungen sein, deren Erfolge nur sehr, sehr langsam greifen können, wenn sie nicht vorher schon ausgerissen werden. Eine klare Enttabuisierung von Suizid und was dazu führen kann, von psychischen und physischen Erkrankungen von Burnout bis Borderline und von Krebs bis AIDS, von Trauerarbeit, Schmerz und Leid im Allgemeinen ist ein machbarer Weg, unserer Leistungsgesellschaft und den damit verbundenen Denk- und Sprachschranken menschliche Reaktionen und menschliches Handeln entgegenzusetzen. Pflege-, Sozial- und Palliativberufe genießen momentan nicht gerade den besten Ruf unter Jugendlichen. Im konfuzianischen China hieß es mal, der ist der beste Arzt, dessen Patienten nicht krank sind. Da müssen wir hin. Weg vom leistungsorientierten, inhumanen Turbokapitalismus und seinen krankmachenden Auswirkungen auf die menschliche Seele und hin zu einer Gesellschaft, die auf ein Miteinander aufgebaut ist, auf Teilhabe aller und Empathie.
Was bedeutet für dich „Endlichkeitskultur“?
Das ist, soweit ich weiß, ein Kunstbegriff, den die FUNUS Stiftung zur Taufe ihrer Zeitschrift „drunter+drüber“ in den öffentlichen Raum geworfen hat. Ich finde ihn sehr passend, da er die Frage aufwirft, wie wir als Einzelpersonen und als Gesamtgesellschaft eigentlich mit unserer Endlichkeit umgehen – angefangen bei ganz praktischen Fragen wie „Feuer- oder Erdbestattung?“ bis hin zu geopolitischen Fragen wie der Ausbeutung der endlichen Ressourcen ohne Rücksicht auf nachkommende Generationen. Da steckt „Nachhaltigkeit“ mit drin, und wir sollten uns fragen, was wir hinterlassen, wenn wir nach einer ziemlich kurzen Daseinsspanne die Weltbühne wieder verlassen: Nach uns die Sintflut oder pflanze ich einen Baum, in dessen Schatten erst meine Enkelkinder sitzen werden?
Wie gehören für dich Comic, Trickfilm und Musik zusammen? Was bedeuten sie für dich als Künstler und in deinen eigenen Werken?
Comic, Trickfilm und Musik sind als Erzählmedien meine drei großen Vorlieben, die für mich immer irgendwie zusammengehören, da alle drei dieser Ausdrucksformen – zusammen mit dem Realfilm – auf Rhythmus und Melodie basieren, auf Dynamik, rauf und runter, hoch und tief, auf das Vergehen von Zeit, während sich eine Handlung oder Geschichte entwickelt und man im Idealfall am Ende schlauer ist als vorher. Das lässt sich natürlich auch auf Einzelillustrationen, Karikaturen oder Bücher herunterbrechen… Für mich ist das alles eine Soße, nur mit verschiedenen Ausprägungen in Geschmack und Sämigkeit und es kommt nur immer darauf an, was gerade umgesetzt werden soll, wie die Aufgabenstellung ist, um zu sehen, für welches Medium man sich letztlich entscheidet.
Da ich als Knirps zu großen Teilen durch Westcomics und Westmusik sozialisiert wurde – die verbotenen oder schwer erreichbaren Früchte sind eben immer viel reizvoller als das Gemüse im eigenen DDR-Garten –, wollte ich eben unbedingt Comics machen. Klassische Illustration, Grafik, Malerei und Buchgestaltung haben mich zwar auch interessiert und tun es noch, aber wirklich eingetaucht bin ich nur in Marvel-Comics, Asterix-Hefte oder die Abenteuer von Spirou und Fantasio, die ich noch als Pit und Pikkolo kennengelernt habe. Dazu gabs immer Musik. Mein Onkel, der nur fünf Jahre älter ist als ich, war natürlich mit ausschlaggebend – während meine Großeltern Operetten von Lehar und Gluck und Helga Hahnemann im Radio hörten, lief bei ihm im Zimmer Status Quo, UFO oder „A Whiter Shade Of Pale“ von Procol Harum. Das war für mich als Neunjähriger natürlich viel cooler. Als ich selbst dann im Cliquenalter war, entdeckte ich Metal, Punk und NDW – und das passte irgendwie alles viel besser zum gewaltigen Hulk als der „Ball im Savoy“.
Mit Undergroundcomix wie „Zap“ von Robert Crumb oder „The Fabulous Furry Freak Brothers“ von Gilbert Shelton entdeckte ich dann, dass man Comicgeschichten auch anders erzählen konnte – das war rauh, ungeschliffen, überdreht, herzlich, dreckig und gemein, und es war insgesamt viel ehrlicher und lebensnaher als das Marsupilami oder der edle Superman. Zugleich entdeckte ich Motörhead, die Ramones, DAF und die Sex Pistols, und ich fand mit „U-Comix“ und Gerhard Seyfried heraus, dass es auch deutsches Zeug gab – man musste kein US-Amerikaner sein, um so was selbst zu erschaffen. Infolgedessen kreisten die ersten Texte unserer Band Tishvaisings natürlich um das Alien, um H. P. Lovecraft und um die eigenen Befindlichkeiten zu Themen wie dem Tod, Ekel, Trauer, Alkohol, Wut und Tristesse…
Natürlich hat es Jahrzehnte gedauert, bis ich mich halbwegs von meinen Vorbildern gelöst hatte, und inzwischen habe ich manchmal sogar den Eindruck, dass ich tatsächlich meine eigenen Geschichten erzähle, schreibe oder singe und dafür all die Tricks anwende, die ich beim Lesen, Sehen und Hören gelernt habe, aber der rattenscharfe Beat von „Blitzkrieg Bop“ wummert eigentlich immer im Hinterkopf, wenn ich eine Story zeichne oder an einem Trickfilm sitze – das soll alles auf den Punkt kommen, es soll akurat sein, straight, und es soll die Rezipient:innen möglichst aus den Socken hauen: One-Two-Three-Four – BOUM!
Wie kann man sich ein Leben als Comiczeichner vorstellen? „Hobby und Leidenschaft zum Beruf gemacht. Den ganzen Tag zeichnen, was, wie und wann man will. Du kannst dich als Künstler verwirklichen und entfalten. Besser geht’s ja wohl nicht. Dich ausdrücken.“ So in etwa?
Keine Ahnung, wie andere das erleben. Für mich ist es zum einen ein Privileg, das ich mir jeden Tag hart erkämpfen muss, dass ich die Zeit und die Konzentration finde, mich an einer Geschichte abzuarbeiten und da alles reinzuhauen, was ich habe, denn das Tagesgeschäft und das „ganz normale Leben“ nehmen eigentlich keine Rücksicht darauf, ob ich mich gerade damit rumschlage, Heizkörper aus den Siebzigern, Lichtschalter, Fenstergriffe oder Bahnabteile in die Hintergründe einzuarbeiten, damit die Geschichte real und glaubhaft wirkt. Zum anderen ist es natürlich hausgemacht, wenn ich auf allen Hochzeiten tanze. Es zwingt mich ja keiner, jeden Tag zwei Karikaturen zu machen, Workshops zu veranstalten oder Eilaufträge anzunehmen, die es ebenso erfordern, dass ich da voll bei der Sache bin.
Zwar habe ich schon als Kind immer Comiczeichner sein wollen, aber ich interessiere mich für viel zu viele andere Sachen, um auf diese verzichten zu können. Einen Badewannenmord für MDR „Spur der Täter“ oder eine Fahrerflucht für MDR „Kripo Live“ zu illustrieren, gibt mir ja auch die Möglichkeit, dieses neue Wissen und die gemachten Erfahrungen in die anderen Projekte einzubringen, auch oder gerade wenn das Aufträge sind, die einen psychisch mitnehmen, weil ich immer wieder neu erstaunt bin, was der Mensch dem Menschen antut und wozu wir fähig sind.
Mit Schweinevogel habe ich das ganze Comiczeichnerdaseinsding ziemlich vollständig durchexerziert: Da war 1987 erst die Figur. Irgendwie süß, aber nutzlos. Die musste also irgendwas Spannendes machen, damit ich das als Comic erzählen kann, sodass ich gleich zu Beginn 1989/1990 im vollen Undergroundfieber völlig überzogene, selbstreferenzielle Geschichten gemacht habe. Dann wollte ich das Ganze etwas sozialisieren, weil ich ja „Beruf Comiczeichner“ im Blick hatte – das ging 30 Jahre lang, ein ewiger Kampf mit Schweinevogel, bis ich kapiert habe, dass man einen wie auch immer definierten „Erfolg“ einfach nicht erzwingen kann. Die Figur ist die Figur. Die hat ihr Eigenleben, und ich kann das annehmen oder mich abwenden. „Reformer“ und die ganzen Sachen für EEE waren immer damit behaftet, dass ich wie Bisley zeichnen wollte oder wie Mignola, wie Kevin O’Neill, Kelley Jones oder sonst wer – der Fokus lag darauf, Seiten effektvoll vollzubekommen, anstatt gute Geschichten zu erzählen. Insofern ist „Seelenfresser“ wirklich für mich meine erste eigenständige Story, die sich selbst genügt und bei der ich mich meiner selbst als Zeichner und Autor sicher fühle. Da weiß ich, was ich mache und kämpfe nur damit, es so in Szene zu setzen, wie ich es vor meinem geistigen Auge sehe. Klar lasse ich mich weiter von anderen Zeichnern inspirieren, aber es fühlt sich komplett anders an als vorher, wo ich immer irgendwohin wollte und die Einzelseiten immer nur eine Station auf dem Weg zu Ruhm und Ehre waren. Was für eine Zeitverschwendung.
Wie lebt es sich als Comiczeichner (in Deutschland), insbesondere wenn man seine eigenen Geschichten erzählt und Comics zeichnet? Kann man damit seinen Lebensunterhalt verdienen, kann man davon leben? Wie ist es bei dir und „Gevatter“?
Irgendwie hat es der Comic in Deutschland nie geschafft, die Aufmerksamkeit als Massenmedium zu bekommen, die er in meinen Augen verdient hätte. Das mag daran liegen, das ihm immer noch das „Schund- und Schmutzliteratur“-Image anhängt, das er seit den Nachkriegsjahren hatte, als die US-amerikanischen GIs ihre Mickey-Mouse-Hefte an die Kinder verteilten. Oder daran, dass es einfach zu wenig mutige Verlage gibt, die Erwachsenenthemen publizieren und vor allem fördern. Comic ist nach wie vor ein Nischenthema, auch wenn sich viele Verlage bemüht haben, mit dem Label „Graphic Novel“ neue Leserkreise zu erschließen oder die Leser:innen von Kinder- und Teenagercomics auch als Erwachsene an sich zu binden. Ein Blick ins Zeitschriftenregal des HIT-Marktes reicht eigentlich, um zu wissen, wo der Comic in Deutschland angesiedelt ist: Da liegen ein wiederaufgelegtes Lucky-Luke-Album neben einem alten Asterix, Bussi Bär, Star Wars (Lego!), dem Mosaik (eins mit Jungs, eins mit Mädchen), Feuerwehrmann Sam und dem unvermeindlichen „Lustigen Taschenbuch“, das mich schon als Kind angekotzt hat, weil’s einfach nicht so cool war wie „Fix & Foxi-Extra“. Eine Regalabteilung weiter liegen dann die neuesten Romane, Weltliteratur, Geschichtsbücher und Filmbildbände… Wer hat da schon Lust, so einen unsexy Beruf wie den des Comiczeichners zu ergreifen?
Wenn ich in den sozialen Netzwerken sehe, was die Kolleg:innen so hauptberuflich machen, weiß ich nicht, ob ich lachen oder weinen soll: Bibi Blocksberg, Pferdecomics, Weltraumgeschichten oder man arbeitet als Übersetzer:in. Die interessanteren Sachen fristen ein Schattendasein, weil es den Macher:innen aufgrund von mangelndem Marketingbudget und mangelnder Berichterstattung einfach nicht gelingen kann, für ihre Sachen eine breite Öffentlichkeit zu generieren, aus der sich eine Stammleserschaft herausbilden könnte.
Ich bewundere jede:n Kolleg:in, der/die sich nur allein von seinen/ihren Comicgeschichten ernähren kann – aber die wenigsten können das. Hier ein Workshop, da ein Wimmelbild, dort eine Comic-Lesung (Wie doof bitteschön ist das denn?!)… Ich weiß nicht, ob die Leute sich das so vorgestellt haben, als sie damit angefangen haben, Bildgeschichten zu zeichnen, ich jedenfalls nicht. Ich dachte, man kann den ganzen Tag wie Jack Kirby an seinem Zeichenbrett sitzen und eine geile Seite nach der anderen raushauen. Dann macht man das Licht aus und chillt mit der Crowd. Und am nächsten Tag geht’s genau so weiter. Kurzum: Es ist wie in allen kreativen Berufen, die auf Konkurrenz und Publikum aufgebaut sind. Man muss sich den Arsch abarbeiten, um gut zu werden, jede Menge Klinken putzen, sich ein bisschen prostituieren und dabei irgendwie hoffen, dass noch dieses Quentchen Glück und diese eine günstige Gelegenheit dazu kommen, um „es zu schaffen“. Was immer dieses „es“ dann sein mag.
Nach zehn Jahren als Verlagsleiter von EEE mit echt guten Lizenztiteln wie „Hellboy“, „Heavy Metal: FAKK II“, „Faust“, „Body Bags“, „Satanika“ und „Death Dealer“ und vielen schnuckeligen Eigentiteln wie „Schweinevogel“ und „Extrem Terror“ könnte ich heute echt nicht sagen, dass EEE „es geschafft hatte“. In der Comicszene war EEE natürlich eine namhafte Größe, aber bei etwa 5.000 Comic-Ultras auf 80.000.000 Millionen Einwohner konnte so ein Verlag in Deutschland einfach nicht existieren, geschweige denn den vorhandenen Nachwuchs angemessen fördern, indem man korrekte Seitenpreise bezahlt und die Titel auch marketingtechnisch betreut.
Mit der Patchwork-Taktik, die wir bei Glücklicher Montag fahren, funktioniert das alles seit ein paar Jahren ziemlich gut: Trickfilme, Schulbuch-Illustrationen, Karikaturen, Zeichnungen für Fahndungssendungen, Demokratie-Workshops, Plakatgestaltungen und dazwischen immer wieder Comics. Für „Gevatter“ hatten wir das Glück, mit Frank von der FUNUS Stiftung einen Comicfan kennengelernt zu haben, der das Projekt wegen seines Inhaltes – also der Auseinandersetzung mit der eigenen Sterblichkeit – unterstützen wollte, und nicht wegen des Mediums. So was ist ideal, und ich wünsche mir deutschlandweit mehr davon. Mehr Förderer:innen, Unterstützer:innen und Mäzene. Comics und Graphic Novels zu machen, ist verdammt zeitaufwändig, kleinteilig und irrsinnig kompliziert. Da tut es gut, wenn man verständige Leute hat, die so was finanziell und ideell unterstützen und einen auch einfach erst mal machen lassen. Was Verlage so an Honoraren ausloben, ist mitunter ein Witz, aber ich weiß auch, dass sich die Verlage meistens gar nicht mehr als diesen Witz leisten können, weil man wirklich viele Hefte oder Alben verkaufen muss, um einen anständigen Seitenpreis an die Macher:innen zahlen zu können.
Schwarwel: Gevatter. Die fünf Phasen • Glücklicher Montag, Leipzig 2024 • 172 Seiten • Softcover • 19,90 Euro