Dieser Comic ist eine Collage – das wird schon auf der ersten Seite klar: Da tummeln sich Micky Maus und Popeye, Marlene Dietrich, Charlie Chaplin und andere Größen der Unterhaltungsindustrie vor der schmutzigen Kulisse einer amerikanischen Großstadt. Es sind die Helden der Kindheit von Andy Warhol, Sohn einer bitterarmen russischen Migrantenfamilie, die erst in Osteuropa und dann in den USA gelandet ist. In Schwarz-weiß zeichnet der Comickünstler Typex die elende Wohnsituation der Familie, die kraftraubende Fabrikarbeit, aus der kein Aufstieg möglich scheint. Nur wenn der kleine Andy in seinen Comics blättert, werden die Bilder bunt – und wenn er seinem Idol Shirley Temple lauscht.
Später ist auch der Alltag von Andy bunt. Dann ist aus dem armen Migrantenjungen der berühmte Künstler Andy Warhol geworden. Damit verkörpert er den typischen amerikanischen Traum vom Aufstieg, meint Typex:
„Aber er ist auch der amerikanische Albtraum, weil er schwul ist, seine Kunst provoziert und in den 60er-Jahren umgibt er sich mit lauter Junkies. Er zeigt die dunkle Seite von Amerika. Damals waren Künstler ziemlich grobe Typen, Machos, die haben ihre Gemälde gespritzt und geschüttet, wie Jackson Pollock. Und dann kommt Andy, und in seiner Kunst sieht man nicht mal einen Pinselstrich. Der dreht einfach alles um. Und trotzdem macht der sehr amerikanische Kunst. Er ist ein Teil von Amerika.“
Wegbegleiter in Form von SammelkartenSiebdruckposter von Suppendosen, die genauso aussehen wie auf der Plakatwerbung – das soll Kunst sein? Typex zeigt, wie die Galeristen mit den Arbeiten von Warhol hadern. Weil seine Bilder nur abbilden und keine Position beziehen. Und weil dieser schüchterne Typ so anders ist, als alle anderen Künstler.
„Das Buch ist aber nicht nur ein Portrait seines Lebens, es geht auch um das 20. Jahrhundert von den 30ern bis in die 80er. Und alles, was ich an Filmen, Comics und Kunst liebe, hat seinen Ursprung in diesen Jahren.“
Immer wieder taucht Dick Tracy in Andy Warhols Alltag auf, Mitunter wird die Geschichte in Werbeplakaten weitererzählt, und dann charakterisiert Typex am Anfang jedes Kapitels die jeweiligen Wegbegleiter in Form von Sammelkarten zum Ausschneiden. Truman Capote ist ebenso darunter wie Basquiat oder der Schah von Persien. Vor allem die Nähe zu Letzterem hat Warhol in Verruf gebracht, auch das zeigt der Comic.
Geradezu virtuos nutzt Typex die Mittel der Popkultur, mit der er aufgewachsen ist. Für Musikmagazine hat er schon hunderte von Porträts gezeichnet. Den großen Durchbruch als Comickünstler hatte er mit einer Rembrandt-Biografie – ein Auftragswerk. Der Andy-Warhol-Comic ist eine Herzensangelegenheit.
„Für mich ist The Velvet Underground die beste Band aller Zeiten. Und weil ich wollte, dass Musik in meinem Buch ist, war Andy ideal.“
Songtexte transportieren den Sound
Immer wieder laufen Songtexte durch die Bilder, Plattenteller drehen sich. Auch als Andy Warhol wilde Partys in seinem Atelier feiert, das er Factory nennt.
„Weil ich die Atmosphäre jeder bestimmten Zeit einfangen will. Und dafür habe ich hauptsächlich sehr bekannte Songs gewählt. Denn im Comic fehlt nur eins – und das ist der Sound. Und wenn man da Songs einbaut, dann sollten die Leute den kennen, damit sie den beim Lesen in ihrem Kopf hören.“
Ähnlich wie die Musik sollen auch die Stile der Zeichnungen die verschiedenen Stimmungen einfangen. Wenn Andy Warhol Anfang der 60er-Jahre mit seinen Suppendosen rauskommt, ist die Geschichte in schrillem Gelb, Blau, Pink gehalten und wirkt wie Warhols Porträt von Marilyn Monroe. Bei den Drogenpartys fließen die Farben ineinander.„Ein anderer Teil ist, als der Vietnam Krieg anfing, es gab radikale Feministinnen, die Black-Panther-Bewegung. Da gab es viel Gewalt, das war der Tod der 60er-Jahre. Zur selben Zeit wurde Andy niedergeschossen, das war eine wirklich sehr düstere Zeit. Und diesen Teil habe ich im Stil der Pamphlete gestaltet, die die radikalen Gruppen damals veröffentlicht haben. Neben schwarz gibt es nur eine weitere Farbe, oft Rot, und das sieht sehr derb aus, sehr nach Underground.“
Denkmal in Comicform
Nachdem Andy Warhol von einer radikalen Feministin niedergeschossen wurde, zieht er sich zurück, schließt die Factory und engagiert einen Sicherheitsdienst. Typex zeigt, wie sich die alten Freunde an Andy Warhol ranschmießen, weil er ein reicher Künstler ist. Und er zeigt, dass Andy Warhol trotz allem weitermacht.
„Er hat wirklich etwas in Bewegung gesetzt, viele haben nach ihm Pop Art gemacht. Roy Lichtenstein zum Beispiel mag ich sehr gern, der ist immer bei dem Stil geblieben, den er in der Pop Art gefunden hat. Und Andy hat sich immer weiter bewegt. Er hat Filme gemacht, obwohl er vorher nie eine Kamera in der Hand hatte. Was ich wirklich an ihm mag, ist, dass er alles komplett auf den Kopf stellt.“
Mit dem Comic „Andy“ Hat Typex eine ausgesprochen vielschichtige Geschichte der Popkultur des 20. Jahrhunderts gezeichnet. Vor allem aber hat er der Popkultur mit diesem Comic ein Denkmal gesetzt.
Dieser Text erschien zuerst am 05.11.2018 in: Deutschlandfunk
Andrea Heinze arbeitet als Kulturjournalistin u. a. für kulturradio rbb, BR, SWR, Deutschlandfunk und MDR.